Allein und Einsam – kämpft als Brüder und Schwestern!

Allein zu sein, ist sehr hilfreich, um die Tiefe und Begrenztheit des Eigenen spüren zu lernen. Wenn ich mich dann noch weiter analysierse, was mich von anderen unterscheidet, wird es dünner, das Eis, auf dem ich Schlittschuh fahre mit meinen Mitmenschen.

Es gibt gar nicht den Unterschied, den ich finden könnte. Uns verbindet mit jedem anderen Menschen viel mehr, als wir von einander getrennt sind. Aber wir erleben das Getrenntsein immer wieder, wenn wir ganz ehrlich zu uns sind. Dann sind wir nicht nur allein, wir sind einsam. Einsamkeit in ihrer Kälte, Härte und Ausschliesslichkeit läßt uns erstarren. Unbewegt starren wir in die konturlose Weite – in ein Nichts und Niemand, das uns keine Antworten entgegenweht.

In der Einsamkeit befinde ich mich in höchster Höhe mit gutem Rundumblick – ohne irgend etwas zu erkennen und ohne irgend etwas zu spüren. Erst wenn ich wieder allein auf dem Gipfel des Berges sitze, vermag ich die Erhabenheit zu fühlen, die darin liegt. Einsamkeit fühlt sich auch manchmal so an, als säße ich in einem tiefen dunklen Loch – berührt nur von kalter, feuchter Erde. Selbst der Ausschnitt des Himmels, der dort oben aus dem Erdreich ausgestanzt ist, birgt keine Hoffnung.Erst wenn die Kühle und Feuchte der Erde mich wieder birgt, bin ich allein.

Hoffnungslosigkeit ist ein Merkmal der Einsamkeit. Wenn du dich niemals einsam gefühlt haben solltest, wird es dir ziemlich schwer fallen, mit der Einsamkeit anderer Menschen umzugehen. Du wirst nicht verstehen können, wo hinein Einsamkeit sich einfräst. Und du wirst die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Geborgenheit als Schwäche interpretieren.

Bedürftigkeit ist, wenn der Druck, deinen Bedürfnisse zu befriedigen, übermächtig dein Handeln bestimmt. Wenn der Mangel an gefühlter Nähe und Gemeinsamkeit so gross geworden ist, bleibt dir kein Ausweg als in die erstbeste Nähe zu flüchten. Du hast dann keine Wahl, keine Option, da gibt es kein Abwägen oder Planen – alles Kennzeichen der autonomen Selbstregulation. Im Moment der Bedürftigkeit, verfolgst du keine Ziele – außer die Bedürftigkeit, den Mangel zu beseitigen. Ob der empfundene Mangel dazu beiträgt, dass du authentisch du selbst bist (oder bleibst) ist mehr als fraglich für mich.

Solche Bedürftigkeit anzunehmen und zu befriedigen ist ein Gebot elementarer Menschlichkeit für mich. Wenn ich aufpasse, dass es nicht in Mitleid umschlägt, sondern beim Mitgefühl bleibt, kann das sogar wirklich Liebe sein. Wenn der Modus der Interaktion fast immer so bleibt, sind es aber vermutlich nicht Amor oder Eros, die da spielen, sondern die Verwertung menschlicher Bedürfnisse – es ist ein Modus eines Egoismus, der sich auf die Einverleibung des Fremden ins Ich versteht. Das eigene Ich schwingt sich um so höher empor, wie der Partner am Boden liegt. Und darin ist nichts Eigenes des Mitleidigen mehr, das diese Hierarchisierung rechtfertigen könnte. Es ist in gewisser Weise gerade das Gegenteil jeglicher Liebe – darin kommt der Haß auf das Schwache, Wehleidige und Einsame des Partners zum Vorschein. Es ist, als stände der Eine in der Licht der Sonne und der Andere bliebe (für immer) in der Tiefe der Nacht. Das kann ich spielen – aber niemals leben!

Ich kenne die Einsamkeit sehr gut. Die Erstarrung, das Versteinerte in mir. Die Einsamkeit selbst ist für mich aber nicht eigentliche Schwäche. Sie ist der notwendige Pol des Allein-Seins. Die Einsamkeit ermöglicht Allein-Sein. Das Allein-Sein erlaubt Liebe. Liebe macht Verschmelzung und Einheit. Einheit schafft Fülle im Inneren. Fülle, die ausdruckslos wird, ist Einsamkeit. Das Auftauchen daraus schafft Allein-Sein.

Der „erwachende Morgen“ (Feinberg) ist der Mut, sich berühren zu lassen und zu berühren im lichten Tag. In der Hitze der Mittagssonne verschmelzen die Fremden zu einem Ganzen. Und wenn die Abenddämmerung heraufzieht, gehen sie ihrer Wege, beide allein – gefüllt mit den gemachten Erfahrungen. Aus dieser Fülle treten sie in ihre je eigene Nacht. Wenn ich Alles sozusagen in mich aufgenommen habe bin ich im Zustand tiefster Einsamkeit – aus der Sichtlosigkeit, einer Fremdblindheit. Wird die Fülle der Welt (des Außen) so prall, dass sie sich ins Allein-Sein entladen kann (als würden sich die Augen öffnen) beginnt die Morgendämmerung. Wenn die Einsamkeit die tiefste Nacht ist, ist das Allein-Sein die Dämmerung.

„Der Mond ist nützlicher als die Sonne, weil es nachts dunkel ist“ (Mullah Nasrudin). Der Mann, der in sich die Formgebung aktiviert und die Frau, die die Wonne der Kraft spürt: darin ist ein möglicher Schlüssel gegeben, wie jenseits eines Spiels mit Hierarchie und Macht, Unterschiedlichkeit und Ununterscheidbarkeit in einen Tanz einsteigen könnten.

Der Zyklus zwischen tiefster (oder höchster) Einsamkeit zweier Fremder, Getrennter bis hin zur ununterschiedenen und unnunterscheidbaren Einheit der Beiden läßt auch die Melodie vom Licht (Persona) und dem Schatten (Über- / Unpersönlichem) leise anklingen. Als würde der Wind die Klänge durch Nacht und Tag tragen könnte. Und weil alles – wirklich alles – in stetiger Veränderung begriffen und dynamisch wirkmächtig ist, gibt es den Stillstand, die Totenstille der Einsamkeit nur als Übergang, als Katapult in die Lebendigkeit. Ohne die Spannkraft dieses Katapults wird das Leben viel weniger lebendig sein.

Und daher gibt es auch Vollkommenheit nicht in den Inhalten unserer Gefühle, Gedanken oder unserem Körper. Sie ist nur ein Übergang in Unvollkommenheit. Unsere Ziele können – wenn wir das wilde und schöne Leben wollen – sich weder auf den einen noch den anderen Pol beziehen, ohne daran zu zerbrechen – oder eben zu Grunde gehen. Die Kraft der Leere und die Weichheit der Form: da ist Einheit in jedem Menschen!.

Damit ich nicht falsch verstanden werde. Wer nicht bereit ist, sich selbst auf diesen Pfad zu begeben, wer also nicht bereit ist, Schmerz, Leid, Ekstase und höchste Freude zu fühlen, braucht nicht auf mein Mitleid zu hoffen. „Doch die Kühnen und die Stolzen, die Königlichen und die Erhabenen: ihr seid Brüder! Als Brüder kämpft!“ (LavL). Nur eben nicht als schicksalsgegebene, schon vorgegebene und Adelslinien etablierende Ordnung der Welt bis in alle Ewigkeit. Denn der heiligste Kampf ist eben der, der mich  selbst fähig macht, die Fülle und die Leere in mir zu achten, stolz und erhaben. Und als König meiner Welt Seite an Seite mit den anderen KönigInnen kühn dem inneren und äusseren Schlachtfeld zu begegnen: Brüderlich und Schwesterlich.

Ein Gedanke zu „Allein und Einsam – kämpft als Brüder und Schwestern!“

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