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Kapitel 7: Tu was Du willst – oder: Mach was Dir gefällt?

Pipi Langstrumpf
Pipi Langstrumpf

Im vorigen Kapitel haben wir uns die Bedingungen der Freiheit angeschaut. Nun wollen wir persönlichkeitspychologisch diese Bedingungen berücksichtigen. „Tu was Du willst!“ – ein Satz mit deutlichem Aufforderungscharakter. Ich forme den Satz einmal um, so dass die drei Kriterien für ein „handlungswirksames Ziel“ (Storch & Krause, 2010) für mich erfüllt werden (Tabelle 1). Offenkundig ist das nicht das Gleiche, wie im bekannten Lied „Mach, was Dir gefällt“ – oder doch?

 

Tabelle 1: Handlungswirksame Ziele nach Storch und Krause (2010)

Annäherungsziel – kein Vermeidungsziel

OK

Zielerreichung 100% unter eigener Kontrolle

Ich tu was ich will!

Zielformulierung verbunden mit positivem Affekt

OK

 

In dieser sprachlichen Form handelt es sich bezüglich des Zieltypus um ein „Haltungsziel“ oder „Mottoziel“ wie es im von Storch und Krause (2010) entwickelten Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) verwendet wird. Ein solches Ziel befindet sich im psychischen System eines Menschen auf oberster Systemebene – ein „Be-Goal“ in Anlehnung an die Kontrolltheorie (Powers, 1973) und die Zielhierarchie (Carver & Scheier, 1998). Dieser Zieltypus determiniert die darunter liegenden Ebenen der Zielhierarchie (Ergebnis, Verhalten, Taktik), die auch als „Do-Goals“ zusammengefasst werden können. Diese Determination muss uns nicht bewusst sein, ist allerdings neurobiologisch gut abgesichert (Grawe, 2004, S. 110). Be-Goals generieren laufend Ziele auf Ergebnisebene, die wiederum mannigfaltiges Verhalten und entsprechende Taktiken erzeugen. Zur Illustration wären auf Ergebnisebene bspw. „Ich erlebe jeden Tag mindestens einmal, dass ich …<Ergebnis xyz> erreicht habe durch mein eigenes Handeln“ oder auf Verhaltensebene „Ich verhalte mich so, dass ich mein Ergebnisziel erreiche <Verhalten xyz>“ und auf Taktikebene „Wenn ich spüre, dass ich von meinem Verhalten abweiche, dann mache ich… <Aktion xyz>“. Ohne dass wir diese hierarchische Zielhierarchie bewusst planen, läuft sie in uns Menschen die ganze Zeit in dieser Art ab. Das erklärt sich dadurch, dass auf oberster Systemebene bereits Haltungen fest etabliert sind.

Die spannende Frage ist: „Sind es unsere eigenen Haltungen?“ oder anders formuliert: „Sind unsere Be-Goals mit unserem Selbst kongruent?“. Deshalb können wir mit Techniken und Methoden des Selbstmanagements uns selbst regulieren, indem wir zunächst selbstkongruente Haltungsziele entwickeln und uns dann darum kümmern, dass sie Wirklichkeit werden können. All das hat mit Esoterik, Religion oder Hokuspokus herzlich wenig zu tun. Es handelt sich um angewandte Psychologie. Das Problem, mit dem wir uns konfrontiert sehen, bezieht sich direkt darauf, ob und wie gut es uns gelingt, uns selbst zu spüren und zu verstehen (Selbstzugang). Unsere Absichten, unser tatsächliches Tun und das Erkennen von Abweichungen im erwünschten Muster sind andere Bereiche, die dabei eine Rolle spielen.

Um dies besser einordnen und verstehen zu können, ist ein persönlichkeitspsychologischer Rahmen hilfreich: die Theorie der Persönlichkeit-System-Interaktionen (PSI). Persönlichkeit zu definieren als „das für ein Individuum charakteristische Muster des Denkens, Fühlens und Handelns“ (Myers, 2008, S. 587) kann als Ausgangspunkt für viele verschiedene Ansätze (psychoanalytisch, humanistisch, sozial-kognitiv, Trait- Ansatz) zur Persönlichkeitstheorie verstanden werden. Für unser Thema relevant sind alle drei Aspekte. Die PSI (Kuhl, 2010) zeichnet sich durch die Berücksichtigung von Interaktionen zwischen vier Makrosystemen innerhalb der Persönlichkeit eines Menschen aus (Abb. 1). Dies eröffnet die Beschreibung von Persönlichkeitsakzentuierung bis hin zur Störung als aktuelles Ergebnis interaktioneller Prozesse unter Berücksichtigung der (einseitigen) Bevorzugung einzelner (oder mehrerer) Systeme zum Beispiel im STAR-Modell (Kuhl, 2000b, 2010). Erstreaktionen sind in der PSI die Verhaltensweisen, die unmittelbar und schnell auf erlebte Situations-Reiz-Konstellationen erfolgen (Kuhl, 2000a). Zweitreaktionen sind veränderbar und lernbar und ermöglichen eine „Überformung“ der weitgehend überdauernden stabilen Erstreaktionen (Kuhl, 2000a). Die Faktoren Selbstwirksamkeitserwartung und die Bildung selbstkongruenter Ziele werden innerhalb der PSI thematisiert. Die sich aus der PSI ergebenden klassifikatorischen Begriffe Handlungs- und Lageorientierung eröffnen ein Verständnis dafür, warum Menschen manchmal wie gelähmt unfähig sind, zu handeln (Lageorientierung) oder vor lauter Tun nicht so genau ihren langfristigen Absichten folgen (Handlungsorientierung).

AbbPSI

Abbildung 1: Makrosysteme nach Kuhl (2010)

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf (Kuhl, 2010) und fassen diese zusammen. Dies soll ein systematisches Verstehen des Denkens (IG), Intuierens bzw. Handelns (IVS), Fühlens (EG) und Empfindens (OES) erleichtern (Heckhausen & Heckhausen, 2010, S. 458). Damit werden die oben genannten wesentlichen Aspekte einer Persönlichkeit hinreichend theoretisch abgedeckt. Das OES als Möglichkeit, Inkongruenzen zu erkennen, ermöglicht innerhalb eines Soll-Ist-Wert-Vergleichs das Erkennen eines Mangels. Und diese Feststellung eines Mangels ist grundlegend für Bedürfnisse. Im Objekterkennungssystem können wir eine Handlungsalternative bearbeiten. Im Intentionsgedächtnis maximal zwei. Alles was über drei Items geht, braucht unbewusste Bearbeitung des ausgedehnten Extensionsgedächtnisses und des Selbst.

Komplizierte Fragestellungen können schnell durch unsere unbewusste parallele Verarbeitung (EG) beantwortet werden (Kuhl, 2010). Wenn diese mit unseren bewussten Absichten (IG) abgeglichen werden (Kuhl, 2010), können wird durch eigene Erzeugung positiven Affekts (oder Ermutigung anderer) ins Handeln (IVS) kommen (Kuhl, 2010, S. 83–92). Und diese einzelne Handlung setzt den Punkt, aus dem eine erneute bewusste absichtliche Bewertung (OES) erfolgen kann (Kuhl, 2010, S. 93– 101). Die PSI ermöglicht uns eine Deutung und ein Verständnis der inneren Prozesse der (eigenen) Persönlichkeit.

Die erste Modulationsannahme (M1: Willensbahnung) assoziiert die selbstregulatorische Kraft, positiven Affekt (wieder)herzustellen mit der Umsetzung zielrealisierenden Verhaltens. Nicht nur konkretes zielrealisierendes Handeln löst positiven Affekt aus, sondern positiver Affekt wirkt günstig auf die Umsetzung von Handlungen aus dem IG in die IVS. Die Forderung nach Aufbau positiven Affekts zur neurobiologischen Vorbahnung (Grawe, 2004) verweist auf den gleichen Umstand des dopaminergen Systems.

Die zweite Modulationsannahme (M2: Selbstwachstum) besagt, dass durch die Herabregulierung negativen Affekts (A-) eine Integration der gemachten Erfahrungen im Sinne von Speicherung im Extensionsgedächtnis (und auf die eigene Person bezogen: ins Selbst) erfolgt. Ein zu langes Verweilen im Erkennen von Unzulänglichkeiten und Fehlern (OES) bspw. nach dem Erleben negativen Affekts ermöglicht keine Herabregulierung des damit verbundenen negativen Affekts und behindert damit Zuversicht und Selbstwirksamkeitserwartung.

Kehren wir zum Ausgangspunkt unseres Ausflugs in die Persönlichkeitspychologie zurück. „Ich tu was ich will!“ ist ein Haltungsziel, das meine Absicht (IG) bezeichnet, etwas (nämlich: was ich will) in Tun (IVS) umzusetzen, nachdem ich bei der Formulierung darauf geachtet habe, dass diese selbstkongruent (EG) ist. Sollte mir etwas „dazwischenkommen“ nutze ich das OES, um den Fehler zu erkennen.

Nun könnte man ja einwenden: „Das Ziel ist viel zu unkonkret und schwammig“. Ja – und: Nein! Haltungsziele können gar nicht spezifisch sein, dies ist der Ergebnisebene vorbehalten, in der bspw. Leistungsziele (S.M.A.R.T.) formuliert werden. Und schwammig mag es für jeden anderen sein, für MICH nicht, ich spüre deutlichen positiven Affekt bei jedem einzelnen Wort dieses Mottos. So mag es übrigens auch dem ein oder anderen Menschen gegangen sein, dem dieser Satz begegnet ist. Und genau darin liegt auch die „Gefahr“ oder Brisanz dieses Satzes. Er ist zunächst einmal historisch die Referenz auf die Ideen eines Anderen. Ganz entscheidend ist es also, jede Selbstinfiltration tunlichst zu vermeiden. Und dies wird am Besten dadurch erreicht, dass VORHER die eigenen Bedürfnisse, die nicht bewusst sind, erkundet werden. Dies kann bspw. durch projektive Verfahren (Bilderwahl) erreicht werden. Aus den Assoziationen aus dem Unbewussten zu dem (intuitiv nach positivem Affekt EG –> IVS) ausgewählten Bild wird dann ein Mottosatz „gebaut“. Dann erst wird dieses Haltungsziel weiter „angereichert“: durch bewusste Erinnerungshilfen, die als Zielauslöser fungieren (Gegenstände, Farben, Gerüche etc.) und unbewusst wirkende Primes, die die ganze Zeit das neu gebildete neuronale Netz (Haltungsziel) stärken und unterstützen. Dieser „Ressourcenpool“ (Storch & Krause, 2010) dient der Multicodierung. Durch die verschiedenen Codes kommt es zu einer schrittweisen Automatisierung entlang der Zielhierarchie hin zum zielrealisierenden Verhalten. Als mobile Erinnerungshilfe kann eine „Verkörperung“ (Embodiment) hinzukommen. Um den Transfer in den Alltag zu sichern, können dann entlang von Situationstypen (A, B, C) weitere Selbstregulationsmaßnahmen geplant werden.

Ich habe sachlich und wissenschaftlich begründbar über Selbstmanagement (Kanfer et al., 2011), ZRM (Storch & Krause, 2011) und PSI (Kuhl, 2010) geschrieben. Wenn man diesen Weg einschlägt, dann ist man bereits ein „Star“ seines Lebens. In dieser Helligkeit des eigenen Selbst – und den unweigerlichen Schatten – bewegen wir uns.

Es könnte alles so schön sein, wenn es da nicht noch ein paar „Fallstricke“ geben würde. Diese werden intensiv besprochen bei dem Thema Willensfreiheit im nächsten Kapitel.

Literaturverzeichnis:

Carver, C. S. & Scheier, M. (1998). On the self-regulation of behavior. Cambridge, UK ;, New York, NY, USA: Cambridge University Press.

Fuhr, F. (2012). MOVER – Modell zur Motivation und Volition für effiziente therapeutische Interventionen unter Ressourcenperspektive. Mannheim. BoD Verlag GmbH

Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Heckhausen, J. & Heckhausen, H. (Hrsg.). (2010). Motivation und Handeln (4. Aufl.). Berlin, Heidelberg: Springer.

Kanfer, F. H., Reinecker, H. & Schmelzer, D. (2011). Selbstmanagement-Therapie: Ein Lehrbuch für die klinische Praxis (5. Aufl.). Berlin: Springer.

Kuhl, J. (2000a). A functional-design approach to motivation and volition: The dynamics of personality systems interactions. In M. Boekaerts, M. Zeidner & P. R. Pintrich (Hrsg.), Handbook of self-regulation (2. Aufl., S. 111–169). San Diego, Calif.; London: Academic

Kuhl, J. (2000b). A theory of self-development: Affective fixation and the STAR Model of personality disorders and related styles. In J. Heckhausen (Hrsg.), Motivational psychology of human development. Developing motivation andmotivating development (S. 187–211). Amsterdam ; Oxford: Elsevier.

Kuhl, J. (2010). Lehrbuch der Persönlichkeitspsychologie: Motivation, Emotion und Selbststeuerung. Göttingen ;, Bern, Wien, Paris, Oxford, Prag, Toronto, Cambridge, Mass, Amsterdam, Kopenhagen, Stockholm: Hogrefe.

Myers, D. G. (2008). Psychologie (Springer-Lehrbuch, 2. Aufl.). Heidelberg: Springer.

Powers, W. T. (1973). Behavior: the control of perception. Chicago: Aldine Pub. Co.

Storch, M. & Krause, F. (2010). Selbstmanagement – ressourcenorientiert: Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell, ZRM (Psychologie Praxis, 4. Aufl.). Bern: Huber.

 

Kapitel 6: Die Bedingungen der Freiheit, 6 Positionen

Flamme der Freiheit (Budapest)
Flamme der Freiheit (Budapest)

Im letzten Kapitel wurde das Selbstbeziehungsmodell von Gilligan genutzt, um ein „Tanzfeld“ zu beschreiben. Dieses Kapitel wird sich mit den Bedingungen der Freiheit beschäftigen. Dabei werden wir uns mit Deterministen, Kompatibilisten usw. beschäftigen.

Woran erkennen wir, dass Freiheit überhaupt vorliegen könnte? Welche Kriterien oder Bedingungen müssten erfüllt sein :

  1. „Die Person muss eine Wahl zwischen Alternativen haben; sie muss anders handeln bzw. sich anders entscheiden können, als sie es tatsächlich tut. (Die Bedingung des Anders-Handeln- oder Anders-Entscheiden-Könnens)
  2. Welche Wahl getroffen wird, muss entscheidend von der Person selbst abhängen. (Urheberschaftsbedingung)
  3. Wie die Person handelt oder entscheidet, muss ihrer Kontrolle unterliegen. Diese Kontrolle darf nicht durch Zwang ausgeschlossen sein. (Kontrollbedingung).“ (Quelle)

Je nachdem, welche der Bedingungen nun als erfüllt oder wichtig bezeichnet werden, entstehen unterschiedliche Sichtweisen (oder Lehrmeinungen) darüber, was als „frei“ gelten könnte. Diese Sichtweisen lassen sich in sechs Positionen einteilen:

Kompatibilismus – Freiheit und Determinismus sind miteinander vereinbar.
Inkompatibilismus – Freiheit und Determinismus sind miteinander unvereinbar.
Libertarier – Eine Unterform der Inkompatibilisten. Die Argumentation läuft so: Weil es Freiheit gibt, ist die Positiion des Determinismus unbegründet und ist zurück zu weisen.
Weicher Determinist – Eine Unterform des Kompatibilismus. Auch wenn der Determinismus gültig ist, wird Freiheit gleichzeitig nicht bestritten, sondern akzeptiert.
Freiheitsskeptiker – Es gibt keine Freiheit.
Harter Determinismus – Weil der Determinismus wahr ist, gibt es keine Freiheit. Eine Unterform des Inkompatibilismus und der Freiheitsskeptiker.

Wenn dieses Bezeichnungsvokabular verwendet wird, kannst Du ja mal versuchen, Deinen eigenen Freiheitsbegriff einzuordnen. Welche Positionen wurden im vorliegenden Text bisher verwendet? Im nächsten Kapitel werden wir versuchen,einen theoretischen Hintergrund für den Zusammenhang von Persönlichkeitspsychologie und Handlungsfreiheit zu entwerfen, bei dem die drei Bedingungen der Freiheit in einem bestimmten Verhältnis zueinander berücksichtigt werden. Wir werden sehen, welche der Positionen für uns am Passendsten erscheint.

 

 

Kapitel 3: Wählen – oder: Fuck Your Crew

fycIm vorigen Kapitel ging es darum, was wir fühlen, wenn wir uns frei fühlen. Wenn über Freiheit und Verantwortung geschrieben wird, wird fast immer über das Wählen des Menschen räsoniert. Eine Wahl zu haben, sei es beim Wollen oder Handeln macht für das deutsche Rechtssystem einen Unterschied. Wer keine Wahl hat, also alternativlos will oder handelt, wird anders behandelt, als jemand, der – ohne Stress, Zwang und bei „klarem Kopf“ – ihre / seine Wahl getroffen hat.

Dies kann in einen negativen und einen positiven „Geschmack“ unterteilt werden. Negativ wäre jeweils eine – wie auch immer geartetete – Abwehr, eine Vermeidung. Positiv hingegen wäre eine aufsuchende zielgerichtete Wahl in irgendeine Richtung.

Zur Illustration begeben wir uns – mal wieder – in einen Film. In „Falling Down“ gibt es eine Szene in einem Burger-Laden. Michael Douglas will ein Omelette von der Frühstückskarte, was zu – sagen wir: unterschiedlich zu klassifizierenden Wahlhandlungen – in der Interaktion mit dem Burgerladen-Personal führt.

0:15 „Hallo, was darfs sein?“ – glaubt irgendwer, dass Sheila „gewählt“ hat, diesen geschmeidigen Intro-Satz zu sagen?

0:16 „Ich hätte gern eine Wham-Fries, ein Omelette mit Schinken …“ – Klare Sache: positive Handlungsfreiheit, ob er sich entschieden hat, genau hier zu essen, ob er Hunger haben will ? Wer weiss? Willensfreiheit ? Hm , wir werden sehen …

0:20 „Tut mir Leid, wir machen kein Frühstück mehr, dafür gilt jetzt die Mittagskarte.“   – Das ist ja hübsch flexibel, fast schon automatisch, was da wie „aus der Pistole geschossen“ rüberkommt. Und sowas von „abwehrend“! Klare negative Willens- und Handlungsfreiheit. Was das Lächeln dabei bedeuten soll? Keine Ahnung ! Aber frei gewählt scheint das nicht zu sein. Passt jedenfalls gar nciht zur inhaltlichen Aussage.

0:21 „Ich will aber lieber frühstücken!“ – Oha! Zielgerichteter gehts kaum: positive Willens- und Handlungsfreiheit.

0:22 „Wie ich sagte: Das gibts jetzt nicht!“ – Das Verhängnis nimmt seinen Lauf … war das frei? Und wenn ja, warum? Und wozu sagt sie das? Muss sie? Bestimmt da jemand, dass sie das sagen muss?

0:23 – 0:35 kurzer Schlagabtausch, in dem gleich mal „eskaliert“ wird und der „Bestimmer“ der Situation (der Geschäftsführer Rick) gerufen wird. Der wiederholt den Käse gerade nochmal. Rick hätte ziemlich sicher anders entscheiden oder handeln können. Oder doch nicht?

01:08-01:09 „Ich will nicht ihr Kumpel sein, Rick. Ich will nur eins: Frühstücken“ – Ja da haben wir die bekannte Kombination naus Abwehr dessen, was man nicht will (Kumpel sein) und dem, was man wirklich will (Frühstücken). Will er das wirklich oder hat er nur Kohldampf? Begehrt er zu frühstücken, oder gibt es eine freie positive Willensentscheidung. Tja, wer weiss?

Ich persönlich finde ja die Stelle 01:42 nett „Das ist nicht unsere Verkauspolitik.“ Schöner kann man gar nciht ausdrücken, wie man sich „entschuldigen“ mag, in dem man in der Hierarchie des Gehorsams sich auf eine anonyme „Verkaufspolitik“ beruft. Es scheint, als sei hier nur ein Akteur so richitg frei – und der packt gleich mal ein gewichitges Argument aus.

01:55 „Wolln mal sehen, ob man das nicht ändern kann?!“ – Michael Douglas will kein Mittagessen (negative Willensfreiheit) – er will frühstücken (positive Willensfreiheit) und er unterstreicht das mit einer Geste des „guten Willens“ – er packt seine Maschinenpistole aus (positive Handlungsfreiheit). Mit seinem begleitenden Kommentar weist er auch gleich darauf hin, dass er nicht bereit ist, sich seine Handlung aufzwingen zu lassen durch die Burgercrew (ich denke da gerade an den Aufkleber: FUCK YOUR CREW), feines Beispiel für negative Handlungsfreiheit.

2:20 „Sie brauchen alle ihre Vitamine (A, B und C) – schiesst aus Versehen in die Decke)“ – prima Beispiel für einen durch und durch unfreien Willen ohne dass Handlungsfreiheit erkennbar wäre. Sprich: Das würden wir vermutlich nicht als Freiheit betrachten. Oder doch? Und wenn ja, warum?

Schaut Euch den folgenden Abschnitt in Ruhe an. Ihr könnt ja mal versuchen, zu analysieren was da passiert (positive und negative Willens- und Handlungsfreiheit – oder gar keine Freiheit).  Das lässt die Frage näher rücken, wie autonom Akteure sind, wie „authentisches Handeln“ aussehen könnte, davon handelt das nächste Kapitel.

Kapitel 2: Nochmal mit Gefühl

kapitel2Manchmal fühlst Du dich frei, manchmal nicht. Welche Situationen erzeugen in Dir das Gefühl, frei zu sein? Welche lassen in dir das Gefühl aufsteigen, unfrei zu sein? In Kapitel 1 wurden Willens- und Handlungsfreiheit und positive sowie negative Freiheit voneinander unterschieden. Lasst uns beide Geschmäcker und beide Gewürze kosten.

 

Willensfreiheit:
Negative Freiheit: Frei von Zwängen, Unterdrückung oder Notwendigkeit, die ausserhalb des eigenen Willens wirken verbunden mit der Frage nach einem „Warum?“.
Positive Freiheit: Entscheidungsfreiheit in dem Bewusstsein, auch anders entscheiden zu können mit einem damit verbundenen „Wozu?“.

Handlungsfreiheit:
Negative Freiheit: Handeln als reaktive Abwehr gegen aufgezwungene Handlungsdirektiven. Warum muss ich so – und nichts anders – handeln?
Positive Freiheit: Handeln als aktive und schöpferische Gestaltung in eine Richtung, das eine Antwort auf die Frage nach dem „Wozu?“ gibt.

Sammle selbst Beispiele für die Ausprägungen dieser vierfeldrigen Matrix! Analysiere, welche Gefühle in den Beispiel-Situationen bei Dir entstanden sind, welche verdrängt wurden, welche gestört, welche genutzt haben könnten. Denn Freiheit ist körperlich-materiell spür- und fühlbar. Wie fühlt es sich an, frei zu sein? Welchen Freiheitsgeschmack probierst Du am liebsten? Welcher schmeckt Dir am besten?

Wenn Du soweit bist, können wir uns anschauen, ob Du eigentlich in Deinen Beispiel-Situationen bestimmte Muster, Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erkennst. Vielleicht gibt es unbedingte und bedingte Freiheit? Vielleicht gibt es förderliche und weniger förderliche Umstände für die Freiheit(en)?

Zur Illustration wieder ein Filmzitat. Diesmal aus „Die Frau des Zeitreisenden“:
„Clare: ‚Du hast mich reingelegt. Du bist zu der Wiese gekommen und hast einem kleinen Mädchen das Herz und den Verstand verwirrt. Glaubst du etwa ich hab mir dieses Leben gewünscht? Diesen Mann, der verschwindet ohne irgendeine Vorwarnung! Denkst du, irgendjemand wünscht sich das?! Wer will denn das?‘ Henry: ‚Du hast die Wahl.‘ Clare: ‚Ich hatte nie die Wahl.“

Wir werden sehen, ob es so etwas wie eine Wahl gibt. Oder: Ob es alternativlos zu akzeptieren ist, was eben gerade geschieht …

Kapitel 1: Was ist Freiheit?

kapitel1Kaum ein Begriff ist in der Ideengeschichte der Menschheit öfter strapaziert worden, als „die Freiheit“. Das deutsche Nomen „Freiheit“ ist eine Derivation des Adjektivs „frei“, es wird auch als Abstraktum bezeichnet, weil es auf eine nicht-dingliche Bedeutung verweist. Im Germanischen und Kymrischen (Keltischen) lässt sich „frei“ auf „rhydd“ zurückführen.

„Mit dieser Übereinstimmung setzen sich [diese beiden Sprachen] von den übrigen Sprachen ab, in denen *prijo ursprünglich „eigen“, dann „vertraut, lieb“ bedeutet. […] Die Bedeutung „eigen“ zu ig. per(e)i – „nahe, bei“  („das, was bei mir ist“) […] muss ursprünglich lokale Bedeutung gehabt haben.“ (Kluge & Seebold, 2002, S. 314). Das englische „Freedom“ steht dem deutschen Wort „Freiheit“ am nächsten und bezeichnet das Fehlen von Zwang bzw. Beschränkung, während „Liberty“ dem lateinischen „libertas“ näher steht und den Aspekt der Wahlmöglichkeit unter verschiedenen Alternativen betont (bopuc, 2006). „Freedom“ wäre somit als die Abwesenheit von Zwang, „Liberty“ hingegen als Anwesenheit freier Wahlmöglichkeit(en) zu verstehen.

In der Philosophie werden beide Freiheitsbegriffe als negative („Freiheit von“) und als „positive Freiheit“ („Freiheit zu“) unterschieden. Historisch haben sich nacheinander bspw. Kant, Schopenhauer und Nietzsche intensiv mit dem Freiheitsbegriff beschäftigt. Kant definiert Freiheit als „das „Vermögen […], eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen“ (Kant, 2009, S. 581). Dieser transzendentalen Idee folgt ein möglicher positiver Freiheitsbegriff bei Kant, der eng mit der Selbstbestimmung (Autonomie) verbunden ist. Durch die Autonomie wird der Mensch in die Lage versetzt, sich selbst jenseits seiner Neigungen und Triebe zu bestimmen. (Kant, 2011) Schopenhauer grenzt eine mögliche philosophische Begriffsbestimmung von einem allgemeinen Begriff der Freiheit ab: „„Dem empirischen Begriff der Freiheit zufolge heißt es: ‚Frei bin ich, wenn ich thun kann, was ich will ‘: und durch das ‚was ich will‘ ist da schon die Freiheit entschieden. Jetzt aber, da wir nach der Freiheit des Wollens selbst fragen, würde demgemäß diese Frage sich so stellen: ‚Kannst du auch wollen, was du willst!’“ (Schopenhauer, 1836, S. 6–7) Der Bedeutungsvergleich der beiden englischen Begriffe kann lose mit den beiden Begriffen, die Nietzsche mit „Freiheit von“ (freedom – als negative Freiheit) und „Freiheit zu“ (liberty –als positive Freiheit) wählt, in Beziehung gesetzt werden.

Freiheit kann unterschieden werden in Bezug auf Willens- oder Handlungsfreiheit. Dies klingt bereits bei Schopenhauer an. Wie frei sind Menschen darin, zu wollen, was sie wollen? Wie frei sind sie zu handeln, was sie wollen? Sind sie denn überhaupt frei, zu handeln? Gibt es Alternativen für das eigene Wollen und Handeln?

Wir hatten gefragt: „Was ist Freiheit?“ Eine erste Annäherung an eine mögliche Antwort ist: Freiheit ist eine Idee, eine gedankliche Konstruktion – oder: ein abstrakter Begriff. Und dazu fällt mir folgendes Filmzitat aus V wie Vendetta ein: „Mr. Creedy: „Warum stirbst du denn nicht?“ V: Unter dieser Maske befindet sich mehr als nur Fleisch. Unter dieser Maske befindet sich eine Idee Mr. Creedy. Und Ideen sind kugelsicher!“.

Das ist womöglich auch das schwierigste Problem mit der Freiheit. Du kannst sie vor Dir hertragen, an sie glauben etc. – ohne jemals den Geruch der Freiheit zu riechen oder im Schein der Feuer zu tanzen. Das ist aber gerade das Zentrum und der Titel dieses Büchleins:  das Feuer zu riechen und frei zu tanzen (smell fire-dance freely)!

Wie das gehen kann? Wir werden sehen – und fühlen … im nächsten Kapitel

Literaturverzeichnis

 

bopuc. (2006). freedom vs. liberty. Zugriff am 21.06.2013. Verfügbar unter http://bopuc.levendis.com/weblog/archives/-2006/01/07/freedom_vs_liberty.php.

Kant, I. (2009). Kritik der reinen Vernunft (Vollst. Ausg. nach der zweiten, hin und wieder verb. Aufl. 1787, vermehrt um die Vorr. zur ersten Aufl. 1781.). Köln: Anaconda.

Kant, I. (2011). Kritik der praktischen Vernunft. Köln: Anaconda.

Kluge, F. & Seebold, E. (2002). Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (24. Aufl.). Berlin: de Gruyter.

Schopenhauer, A. (1836). Ueber den Willen in der Natur, eine Eröterung der Bestätigungen, welche die Philosophie des Verfassers durch die empirischen Wissenschaften erhalten hat. Verfügbar unter http://books.google.de/books?id=_8AIAAAAQAAJ.

Kapitel 5: Ein Tanzfeld

tanzfeldIm vorigen Kapitel ging es um authentisches Handeln und Eigentlichkeit.  Diese Authentizität führt hin in Zugehörigkeit und Beziehung. Ich als Mensch befinde mich in einem Feld. Das Feld ensteht und besteht durch Beziehung(en) zwischen Anteilen meines Selbst und mit anderen Lebewesen. Ich kann diesem Feld vertrauen oder es sein lassen. Je weiter ich mich aus diesem Interaktionsfeld bewege, desto weniger gelingt mir eine lebendige, dynamische Integration verschiedener Selbstanteile (kognitives Selbst – somatisches Selbst) in meinem Beziehungsselbst.

Eine zweifache Bewegung ermöglicht Wandel, Wachstum und Veränderung hin zu meiner eigenen „weichen und zarten“ Mitte:

A) Ergriffen werden von Etwas, das größer als ich ist. Berührende, herausfordernde und mich wertschätzende Liebe könnte ein Ausdruck davon sein. Im Erleben der Liebe gebe ich den Widerstand auf und öffne mich den Impulsen, die im Feld geschehen. Daher wird der Modus (also das Wie der Interaktion) alternativlos ohne Vorbedingungen von mir angenommen.

B) Ich identifiziere mich nicht mit den (neuen) Erfahrungen, die ich erlebe. Ich gehe meinen eigenen Weg und bewahre (oder erschaffe) eine ausgeglichene Position. Dieser dynamische Standpunkt ist fest und nachgiebig zugleich. Er zeichnet sich durch eine Selbstliebe aus, die meinen Körper (somatisches Selbst) und meinen Verstand / Geist (kognitives Selbst) gleichermassen würdigt und berücksichtigt. Daher wird der Inhalt der Interaktion auf Kongruenz mit meinen „Selbsten“ fortlaufend erlebend überprüft und ich nehme an, was zu mir passt und transformiere, was angepasst werden kann.

Diese beiden Bewegungen erschaffen in mir selbst ein Feld der eigenen Wertschätzung, eine Beziehung mit mir selbst. Die Interaktion dieser Anteile in mir (also auch ihre Beziehung zu- und miteinander) und die Interaktion zwischen mir und anderen Lebewesen (also auch die Beziehung zwischen Menschen und mir) folgen einem Puls. Dieser Puls kennzeichnet die Art und Weise meines Selbstwachstums. Ein bezogenes Wachstum allerdings.

So können meine Bedürfnisse nach eigenem, freien Selbstsein und nach Bindung und Zugehörigkeit in einen Tanz eintreten. Diese Überlegungen sind inspiriert durch die Lektüre von Stephen G. Gilligans Buch „Liebe dich selbst wie deinen Nächsten„.

In Kapitel 6 werden die bisher angesprochenen Aspekte aufgegriffen und es wird  um die Bedingungen der Freiheit gehen, nachdem wir uns ausgiebig mit den praktischen Implikationen einer möglichen positiven Handlungsfreiheit beschäftigt haben.

 

 

 

 

Kapitel 4: Authentisches Handeln

Der Begriff der Wahl wurde im letzten Kapitel bereits plastisch dargestellt. Im folgenden Text versuche ich, Begriffe der Eigentlichkeit –> Authentizität, Uneigentlichkeit –> Regression  (Luckner) in Beziehung zu setzen. Mir ist daran gelegen, verstehbar zu machen, WIE Interaktion in einem selbstgewählten Rahmen in meiner „Welt“ funktionieren kann. Daher bin ich auch nicht auf der Suche nach – mehr oder weniger – kurzlebigen, auf die Sensation hin angelegten Begegnungen. Authentische Menschen, reflektiert und tief, die ihre existenzielle WAHL getroffen haben und mit mir das WIE experimentierend erkunden, fehlertolerante Menschen wünsche ich mir bei mir.

„Authentisches Handeln ist Handeln, das in Übereinstimmung mit den präferierten Handlungsentwürfen des Selbst steht.“ (Julius Kuhl in seiner Replik auf Andreas Luckner, „Freies Selbstsein und Authentizität“, 2007, S. 125) Siehe: Quelle.

Die beiden Menschen (Psychologe der eine und Philosoph der andere) kommen zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Ein Punkt scheint ihnen diskussionswürdig, nämlich die „existenzielle Wahl“. Gibt es Alternativen bei der Wahl, WIE ich sein will? Luckner meint aus erstpersönlicher Perspektive, dass diese Wahl alternativlos sei. Kuhl greift diese Perspektive der ersten Person auf und unterteilt sie funktionsanalytisch in ICH und SELBST. Während das ICH sich weitgehend hartkodiert an alternativen Wahlen abarbeitet (unter Stress etc.), erlaubt das SELBST eine Verrechnung und mindestens die BERÜCKSICHTIGUNG vieler (auch fein verästelter und nicht nur auf die eigene Person bezogener) Informationen (oder: Alternativen). Dann aber trifft das SELBST eine alternativlose WAHL. Dabei sind ICH und SELBST im Kuhlschen Sinn ja beide aus der ersten Perspektive gesehen.

Wir beschneiden uns selbst und schaffen mannigfaltige Misverständnisse, wenn wir nicht berücksichtigen, dass mit den beiden Begriffen sich ergänzende unterschiedlichen Situations-Reiz-Konstellationen (1) , Anreizobjekten (2), Zielen (3) und Sinn (4) gerecht werdende Funktionen der „ersten Person“ gemeint sind. Die ganze Diskussion um die Willensfreiheit wird damit ebenfalls neu beobachtbar.

Es gibt nach Kuhl und Hüther mindestens 4 verschiedene Wege „ins Handeln“:
Nachzulesen unter: http://www.llv.li/pdf-llv-asd-kuhl_060307.pdf
1) Man (S-R)
Gewohnheiten / Stereotypen (unabhängig von der Lust auf das Verhalten)
2) Es (Anreizobjekte)
irgendwelche Objekte bieten einen lustvollen Anreiz, sich verhaltend auf sie hin zu bewegen
1 + 2 –> fremdgesteuert nicht selbstbestimmt
Gegenstand des Behaviourismus / direkt messbar
3) Ich (Wollen) Ziel
Auch bei Unlust aktivierbare Willensbahnung möglich. Ich-bestimmt bewusst/ messbar, ob willentliche Handlung begangen wurde oder nicht (Kuhl & Kazen, 1999)
4) Selbst (Sollen) – Sinn
nicht-analytisch sondern v.a. unbewusste parallele Verarbeitung / konnektionistische Netzwerkmodelle können Vorgänge beschreiben

Und die Moral von der Geschicht´?

Wir können aufgrund dieser Hinweise in einen Überdenkensprozess einsteigen, wen wir eigentlich meinen, wenn wir „ich“ sagen. Was bringt uns dazu zu handeln / uns zu verhalten, WIE wir es tun? Es ermöglicht zu erklären, wieso wir uns zwar bspw. körperlich im Zeitablauf ändern können, aber sowohl von uns selbst als auch von anderen als kontinuierliches Phänomen verstanden werden.
Denn diese beiden Perspektiven Änderung vs. Kontinuität ermöglichen erst ein profundes und nicht profanes Verstehen eigener Vielschichtigkeit.

Das „Nicht-anders-Können“ bspw. Luthers vor dem Reichstag in Worms (1521) zeigt sehr schön auf, dass bei sprachempfindlicher „Übersetzung“ Luther hätte sagen können: „Mein Selbst erlaubt alternativlos bei Berücksichtigung aller (auch unbewusster) Gründe, Themen und der Moral etc. keine andere Entscheidung“. Dass er ICH benutzt (erste-Person-Perspektive) ist unter den hier angesprochenen Gründen fehlkategorisiert. Denn es ist ja gerade NICHT so, dass Luther entgegen der Regeln der Kirche etc. BEWUSST in Opposition gehen WOLLTE. Stattdessen hat er eine GEWISSENSENTSCHEIDUNG getroffen, nein sie hat sich ihm „alternativlos“ bemächtigt. Aber diese Bemächtigung war keine fremdbestimmte Angelegenheit, sondern funktionsanalytisch (im Sinne Kuhls) eine SELBST-Angelegenheit.

Anders wäre historisch seine Einlassung vermutlich auch gar nicht haltbar geblieben ohne sich noch härterer Strafe zu unterstellen. Damit berücksichtigt bereits 1521 der Reichstag diese ganz anders motivierte Handlung / Entscheidung. Um etwas anderes geht es jeweils beim „Abschwören“ und den „peinlichen Verhören“ der Hexenverfolgung. Die Machthaber wollen nicht auf der bewussten Ich-Wollens-Schicht oder ins Selbst eingreifen, sondern neue automatisierte Gewohnheiten gewaltsam etablieren, auch wenn auf oberflächlicher Schicht auch hier „das Gewissen erforscht“ werden soll.

Die systematische Vernichtung und Zerstörung menschlichen Lebens bedient sich heutzutage sehr feiner Mechanismen der Beeinflussung unserer unbewussten Schichten bspw. durch „Priming“ (Bargh lesen….). Damit sollen neue automatisierte Arten der Verhaltenssteuerung etabliert werden (1+2). Dies kann um so besser bemerkt werden, je klarer wir „spüren“ (im Sinne einer Aktivierung des SELBST) wo „primes“ in und auf uns wirken wollen. Wirksam ist möglicherweise eine selbstbestimmte „Impfung“ durch eigene Primes etc.

Wieso kann das für jeden Einzelnen wichtig werden?
Weil es so bedenkenswert wird, wer wir wirklich sind. Was uns ausmacht als einzelne Person. Worin unsere Stärken / Schwächen liegen in der Interaktion mit uns selbst und anderen. Wir können uns selbst besser verstehen lernen.

Wieso das Ganze so „verkopft“ / rein kognitiv von mir angegangen wird?
Weil ich den – mehr oder weniger esoterischen – Begründungen ebensowenig traue wie der „Wissenschaft“. Im Unterschied lassen sich wissenschaftliche Begründungen – zumindest in der Theorie – bezüglich ihrer Aussagen prinzipiell überprüfen. Wer kann schon etwas mit einem „wahren Wesen“, „Buddhanatur“, „höherem Selbst“ oder wie auch immer die Bezeichungen lauten mögen, WIRKLICH etwas anfangen? Mir waren fremde Kategorien- und Symbolsyteme schon immer suspekt.

Der Weg der Wahrheit – individuell, autonom und frei?
Wenn es nach mir geht – ja! Sämtliche Ideen, den Menschen nur als „zoon politikon“ also gemeinschaftliches Wesen zu begreifen verletzen meines Erachtens elementar die individuellen Freiheitsrechte. Jede Fremdbestimmung ausserhalb der selbstkongruenten (und sei sie ALTERNATIVLOS!) Selbstbestimmung ist für mich eine unhaltbare Zumutung und Gewalt. Freiheit bewegt sich immer aus der Perspektive derjenigen, die sie ersehnen oder sie leben. Für mich gibt es keinen überindivduellen Rahmen für Freiheit.

Alles (neo) liberales Geschwätz / Gerede?
Ich bin gar nicht liberal. Eher schon libertär. Der Liberalismus hebt auf die „rationale Entscheidung“ bzw. auf die „demokratisch gesicherte Wahlfreiheit“ unter „Toleranz“ ab. Das bedeutet mir kaum etwas! Ich habe letzthin gemeint: „Toleranz ist: wenn ich dir nicht gleich die Fresse poliere!“ Und diese Definition von Toleranz ist halt liberal. Und auf so ne Toleranz pfeife ich. Für mich besteht Leben nicht aus „beliebigen Wahlhandlungen“. Dezionalismus allein reicht bei weitem nicht aus, um der Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit individuellen Erlebens gerecht zu werden. Ich kann auf moralischer Ebene allerdings keine Vorschläge mehr abgeben. Um ganz ehrlich zu sein, es ist mir herzlich gleichgültig, WAS Menschen tun, um sich selbst zu organisieren. Hauptsache für mich ist: Sie haben die CHANCE, sich frei einbringen zu können. Und das ist weit mehr, als nur zu WÄHLEN!

Aber wenn es Dir so „herzlich egal“ ist, WAS Menschen tun, um sich zu organisieren, könntest Du auch schweigen. Und damit viel sparsamer mit deinen (eigenen, individuellen) Gründen und Begründungen umgehen?!
Klar! Das KÖNNTE ich (ich habe eine Wahl). Und gleichzeitig scheint es mir bedeutsam zu sein, dass Menschen wenigstens die CHANCE haben, sich ihre eigenen Gedanken, Gefühle etc. zu machen, zu erleben. Dabei spielt es gar nicht die grosse Rolle, OB „die Menschen“ (in ihrer Allgemeinheit) daran interessiert sind, oder nicht. Denn diese Allgemeinheit interessiert mich nicht. Mich interessiert immer der Einzelne, die Einzelne. Und für mich ist im Einzelnen / der Einzelnen die Keimzelle für organisches Wachstum. Ohne selbstkongruent denkende,intuierende, spürende und fühlende Einzelwesen ist der gesellschaftliche „Überbau“ nur Makulatur, ein Feigenblatt vor existenzieller Nacktheit. Diese Nacktheit ist erstmal auszuhalten, finde ich! Und nach Verarbeitung und Berücksichtigung der Informationen, die ich gebe, entscheiden und handeln Menschen möglicherweise tiefer /bewusster /unbewusster als vorher. Diese Aneignung fremder Inhalte durch Berührung schafft erst den Einzelnen. Insofern geht es mir NICHT um Inhalte (also das WAS!), sondern vor allem um das WIE gemeinschaftlicher Organisation.

Du bist toleranzlos und rücksichtslos in deiner Haltung!
Ich habe keine Toleranz und keinen Millimeter Platz in meinem Leben für den überbordenden Fundamentalismus (sei er religiös oder moralisch begründet). Und ich nehme keine Rücksicht auf die Empfindungen fundamental operierender oder argumentierender „Menschenhaufen“ – auch nicht in Gestalt eines – im Heideggerschen Sinn – „uneigentlichen“ Einzelnen. Schutzwürdig ist mir der Einzelne / die Einzelne in seiner „alternativlosen“ authentischen Haltung, der mir begegnet. Und ich entscheide darüber, ob er/sie das für mich ist oder nicht. Und genau dieses Recht billige ich dem existentiell Anderen ebenso zu wie mir selbst . Nicht mehr – und nicht weniger!

Damit stellst du doch selbst wieder eine Maxime auf, bist also auf moralischer Ebene gelandet – wo Du doch gar nicht hin wolltest, oder?
Das ist für Viele schwer nachvollziehbar oder auseinander zu halten. Ich spreche nicht im Rahmen einer überindividuell gültigen Moralebene, also einer – wie auch immer gearteten „Norm“ (Richtschnur). ABER: Ich handle entlang meiner eigenen Maximen. Allerdings verzichte ich dankend auf den Kantschen „kategorialen Imperativ“. Ich bin nicht als weisser, europäischer Mann angetreten, um der WELT zu sagen, wo´s langgeht. Oder um nun doch noch einen religiös motivierten Schriftsteller zu Wort kommen zu lassen, der das Ganze freilich aus ganz anderer Perspektive als ich gerade beschreibt.

„Je geheimnisvoller im Grunde, desto offenbarer bieten sie [die Dinge] sich dar. Je schweigsamer mit Rücksicht auf letzte Fragen, um so weniger verschweigen sie sich selbst. Dies macht, dass der Schauende sie ihren eigenen Weg gehen lässt, ohne sich mit eigenen Anliegen einzumischen. Weit davon entfernt also, sie als bloße Erscheinungen [Phänomene] des an sich selbst in diesem Stadium noch unzugänglichen und unfassbaren Urgrundes [ALAYA ?!] zu nehmen, lässt er unbefangen jedes Ding als es selbst gelten. Dies gelingt in erstaunlichem Grade durch die Eigenart dieser selbstlosen [sic!] Schau: weit über die Grenzen der belebten Natur hinaus steht der Schauende in innigstem Kontakt [ich nenne das: Berührung] mit den Dingen und ihren Schicksalen – auch mit denjenigen, die ganz im stofflichen Dasein aufzugehen scheinen, und vermag diesen Kontakt gelegentlich sogar bis zum Rang völligen Einsseins [Über dem Selbst!] zu steigern (ob zu führen oder geführt werden, stehe dahin).“
Eugen Herrigel, Der ZEN-Weg, 1958, Auflage 1992, S. 33).

Hier gibt es nichts Fremdes mehr und nichts Eigenes. Jedenfalls nicht in der Schau und für den Schauenden. Ein BETRACHTER mag das alles bewerten, bewusst reflektieren etc. Die Schau ist beziehungslos und enthebt den Schauenden gar von der bisher in diesem Text verwendeten und bemühten Selbstebene / Selbstfunktion. Für mich liegt darin die Sprengkraft und das Unerhörte.

Dass wir – in dem Masse wie jedeR Einzelnen es vermag – wir SELBST werden, bereiten wir den Boden für Selbst-LOSIGKEIT in uns Einzelnen. Daher sind meine KÄMPFERISCHEN Worte – wenn es mir denn je um Moral ginge – ein Mittel zum Zweck einer mitfühlenden Haltung. Wie der Lotus aus dem Schlamm wächst, geht kein Weg um unser Selbst herum dorthin. Dorthin wo Mitgefühl kein Reflex, nicht attraktiv erscheint, ist, keine Willensentscheidung, keine Pflicht und kein Sollen mehr ist, sondern selbstlos wirkt. Mitgefühl aus rücksichtsloser, vorbehaltloser, individueller autonomer Freiheit. Mitgefühl – wie ich es meine – ist mitleidlos!

Hier wird schon angedeutet, welche Verbindung zwischen Freiheit und einer – sagen wir „mitleidlosen Liebe“ bestehen kann, doch bevor ich mich der Liebe widme, wird der Zusammenhang von Freiheit und Zugehörigkeit zu klären sein. Zwischen Unabhängigkeit des / der Einzelnen und Zugehörigkeit erstreckt sich ein Beziehungsfeld. Dies beginnt im SELBST und führt zum „DU“ – wie auch Buber beschreibt. Von diesem Thema wird im nächsten Kapitel die Rede sein. Gilligan hat in seinem Selbstbeziehungskonzept schlüssige Hinweise hierzu gegeben.