Alle Beiträge von Friedrich_Fuhr

Die Aufhebung

Wir alle versprechen uns selbst und anderen Menschen das Ein oder Andere. Daraus entstehen Pflichten. Teilweise werden diese Pflichten in Verträgen, feierlichen Gelübden o.ä. festgehalten. Das jüdische Gebet /Kol Nidre/ löst im Speziellen die gegenüber Gott abgegebenen oder noch abzugebenen Zusagen. Es heisst: „Unsere Gelübde seien keine Gelübde, unsere Schwüre keine Schwüre.“. Ich erwähne das am Beginn dieses Textes, weil es mir so bedeutsam erscheint. Die Aufhebung der Pflicht, die ich mir selbst freiwillig gegeben habe: sie ist ganz natürlich mein Recht. Und so sollen – hier auch im ganz weltlich-realistischen Sinn – alle Verträge, Pflichten, Abmachungen oder sonstwie entstandenen Verpflichtungen, denen ich unterliege, von jetzt bis zum Beginn des neuen Jahrs aufgehoben sein. Ich werde diejenigen Pflichten, die mir weiterhin bedeutsam erscheinen erneuern. Die aber, die obsolet geweorden sind, seien mit dem Ablauf des heutigen Tags nichtig.

es ist so immens wichtig …

„es ist so immens wichtig, alles zermalmen zu lassen, was der veränderung unterliegt. jeder widerstand gegen die verzehrung des zeitlichen ist völlerei. wenn alles weggenommen ist, das zerbrechen kann, bleibt etwas lebendiges, altehrwürdiges bestehen, dass sogar an kraft und stärke gewonnen hat im chaos und dem malstrom der vernichtung. dieses lebendige, intuitiv-kreative ist zärtlich-einfach. das ist der eigentliche widerstand gegen die neuerung der moderne. es wandelt sein antlitz und wird schöner durch die jahrtausende. ein liebevoller hauch kollektiven verbundenseins. freiheit jenseits jeder wollerei. “

f. fuhr (11.07.15)

EINS

„Betrachte jeden Moment als Gelegenheit, etwas in dir selbst zu entdecken, das dir noch nicht bewusst ist.“

Betrachten, bezeugen, objektiv erkennen, was in dir ist: das ist ein Seinsmodus der Selbsterkenntnis. Jeder Moment im Kontinuum des Zeitlichen wirft Licht des Bewusstseins ins Dunkle des Nicht-Bewussten. Gelegenheiten sind wahrgenomme Möglichkeitsräume. In ihnen ist etwas möglich, dass jetzt – in diesem Moment – gelingt. In dir selbst etwas entdecken erfordert Interessiertsein, Neugierigsein, Offensein. Was ist offen, neugierig und präsent? Der Prozess, der betrachtet, bezeugt, objektiv erkennt. Was ist zu entdecken aus dem Ozean des Nicht-Bewussten? Alle inakzeptablen, abgewehrten, verneinten Lebensäusserungen aus der Tiefe. Wozu wäre es hilfreich, in dieser Haltung jedem Moment zu begegnen? Alles Wahrnehmbare und Wahrgenomme ist eine Spiegelung deiner Erwartungen, die du grösstenteils nicht kennst. Was immer du nicht akzeptierst, abwehrst, verneinst, bekämpfst ist etwas in dir, dem du Geburt verwehrst. Wenn du dich selbst hebammengleich gebären möchtest, weil du das Leben liebst, ist es hilfreich, den Seinsmodus, den ich skizziert habe, zu kultivieren.

„Sei Eins!“

In keinem Moment ist es notwendig oder hilfreich, irgend etwas an / in dir zu verändern. Du musst nicht handeln, keine Pläne machen, dich nicht grâmen. Du bist frei, es dennoch zu tun. Beobachte, ob du dadurch mehr oder weniger in deiner Gegenwart leidest. Entscheide dann selbst, ob es sich lohnt, dich als ganze, einheitliche Lebensform zu betrachten: schön, makellos und EINS. Beobachte, wie jeder Widerstand dagegen, dich als schön, makellos anzusehen, dich in zwei miteinander kämpfend verbundene Zwillingseinheiten spaltet. Sieh die ZWEIheit, die dadurch geschaffen wird. Sieh den Unterschied zum Potenzial der NULL.

Sei EINS – das ist der Seinsmodus, in dem es unterschiedslose, grenzenlose Einheit gibt. Da ist eine Kraft, die dadurch aktiviert wird. Eine ohne Zweifel, Zaudern oder Zweideutigkeiten. Lies dazu zum Beispiel Jnana-oder Advaita Vedanta-Literatur. Die Ashtavakra Gita wäre ein Beispiel dafür. Es gibt aus anderen Traditionen genügend Poesie, die diesen Zustand beschreibt. Sufi-Texte beschreiben, wie die Vereinheitlichung als „Entwerdung“ abläuft. Das Havamal der Edda etc.

Mir scheint es notwendig, den Verstand hier klar zu nutzen, um mit jedem Zweifel im Vorfeld aufzuräumen. Aber wenn du in den EINS-Raum eintrittst, ist unterscheidendes Denken schädlich. Die Zen-Literatur ist voll von Beispielen für den schmalen Grat, der zur Einheit führt. Da geschieht ein reiner, klarer Wechsel bezüglich des hauptsächlichen Verarbeitungsmodus der Wirklichkeit. Eine Verschiebung des Montagepunktes würden die Meister des Nagual/Tonal vielleicht sagen.

Zum EINS-Sein kommst du mit klarem Denken. Im EINS-Sein brauchst du klares zweifelsfreies Sein, nicht einmal willentliches, zielführendes Handeln.

Lass dich nicht verwirren. Es ist vermutlich der Übergang aus dem äusseren in den inneren Mysterienkreis beim Sonnentanz der Lakota – eigentlich möglicherweise die Anbindung an den Baum im Zentrum durch die in deine Brust gepiercten Adlerkrallen. Das sind aber keine eigenen Erfahrungen von mir. Lass dich nicht verwirren.

Ich meine es gut mit dir, wenn ich dir eine Fülle von Hinweisen gebe. Ich will es dir leicht machen, auszuwählen aus der Fülle. Du kommst aus dem Takt, wenn du meinst, du könntest nochmal drüber nachdenken, nachdem du erfahren hast, dass du über die Brücke zwischen NULL uns EINS gegangen bist. Du müsstest dazu die Wahrheit der erfahrenen Einheit negieren. Das schafft dir Leid. Der Übergang schafft nur Geburtsschmerz.


Johnny Cash – One von nitrococuk

Was ich suche …

Ich suche nach Wahrheit. Einer Wahrheit jenseits der Wirklichkeit. Der Wahrheit, zu der mein Inneres „ja“ sagen kann. Ohne Zweifel, ohne Zaudern. Was immer wahr sein soll – ich muss es erst erfahren, erleben, bevor ich mir ein Urteil erlauben kann. So habe ich gesucht. Habe mich auf den Pfad begeben. SATYA – so heisst Wahrheit auf Sanskrit. SAT – „Sein“ bestimmt das Wort. Doch finde ich im Wort Wahrheit? Auch wenn es in der Bibel heißt: „Im Anfang war das Wort – und das Wort war bei GOTT.“ Das Wort, der Sinn – oder griechisch: LOGOS. Wahrheit und das Wort. „Die Wahrheit, die ausgesprochen werden kann, ist keine Wahrheit“, sagt das TAO-TE-KING. Die Religionen und Mysterien der Welt ranken sich um die Wahrheit. Die Kreuzritter zogen ins Heilige Land, die Asketen am Ganges und in den Wäldern suchten nach ihr. In Klöstern, Höhlen, mitten im saftigsten Leben – es gibt viele Orte, an denen die Wahrheit zu Hause sein könnte. Aber tief in mir drinnen, dort gibt es auch noch Landschaften und Ortschaften, die ich bereisen kann. Gandhi verwendet den Begriff SATYAGRAHA als Bezeichnung seines gewaltfreien Widerstandskampfes. Die Entschlossenheit, den Dingen (und den Nicht-Dingen) auf den Grund zu gehen: sie haben Gurdjieff, Crowley, Regardie, Meister Eckhardt, Rumi, Jiminez angetrieben. Das ist das Feuer in der Geschichte, das auch in mir lodert. Ein leidenschaftliches Sehnen nach Wahrheit. In den Mysterienschulen des Sufismus, der Gnosis, der Kabbalah, den nordischen Dichtungen, den Geschichten der Indianer, der Inder, den afrikanischen Stammesgesängen, dem Dao des großen China – wir finden sie in allen Schulen: die gleiche Suche nach Wahrheit. Und wenn wir – so wie ich – danach suchen, finden wir sie in der belebten Natur, den Steinen, der Tierwelt, in uns Menschen und unseren Mitmenschen. Sie umgibt uns wie das Wasser und die Luft. Sie leuchtet hell wie Feuer in der Nacht und ist so stabil gegründet wie jeder Schritt auf Mutter Erde. Wahrheit IST. Sie ist im SEIN von Allem. Im Leben, im Sterben, im Geboren-Werden, im Tod. Und wenn ich mich von Zeit zu Zeit ihr ergebe und sie sich  mir nähert wie Liebende den Geliebten, dann kommt sie zu mir. Wahrheit sucht nach denen, die sie spüren, erleben, erfahren, in sich aufnehmen wollen. Es ist der Ruf der Wahrheit nach denen, die bereit sind, ihrem Ruf zu folgen. Auf eine ausgedehnte Heldenreise durch die Äonen, Kulturen und Regionen dieser Welt und anderer Sphären, in die nicht jeder darf. Es gibt Wächterwesen, die darauf achten, dass kein unnützes Opfer gebracht wird. In uns selbst wächst die Liebe zur Wahrheit, wir nähren sie in Momenten der Wahrhaftigkeit, der Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit. Auf Pfaden, die entstehen dadurch, dass wir sie gehen. Jeder für sich. Jeder findet die Liebe, die zu ihm passt.

NULL

Hier ist es dunkel. Es ist warm. Es ist nichts sichtbar. Nichts zu hören. Nichts zu riechen. Nichts zu schmecken. Hier ist nichts. Hier bin ich. Ich spüre mich nicht. Ich unterscheide mich nicht von dem Raum, in dem ich bin. Ich erinnere mich daran, dass ich es bin, der hier ist. Die Erinnerung ist schnell vergangen. Ich denke nicht. Ich fühle nicht. Ich spreche nicht. Ich empfinde nur Dunkelheit und Wärme. In der Stille ist nichts, dass sie zerbricht. Kein Klang. Ich weiss nichts. Ich ahne nichts. Ich weiss nicht einmal, ob es mich gibt. Ich schwebe. Ich spüre keine Schwere. Ich denke für kurze Momente. Aber jeder Gedanke ist kurz und knapp. Und vergeht ohne Widerhall. Hier ist die Basis. Hier ist … Alles. Ich bin alles. Ich bin das All. Ich bin allein. Ausser mir gibt es Nichts. Nichts ist von mir getrennt. Ich bin. Grenzenloses Sein. Selbst und Ich vergehen – Sein. Reines Sein.

TRAU DER (M)ACHT DEINES SELBST!

mal ein paar gedanken zu verletzlichkeit (bspw. bei brown), zerbrechlichkeit und antifragilität (bspw. bei taleb).

ein erfordernis für lebensprozesse ist schuz vor vernichtung – zumindest aus der perspektive des betroffenen organismus. der beste schutz besteht aus einer antwort auf wunden und brüche, die den organismus fitter macht als vor der verletzung, der verwundung. der schlechteste schutz besteht aus der vermeidung der risiken, die verletzung, verwundung nach nich ziehen können. dies führt in der konsequenz zu einer schwächung des organismus.

es gibt eine tendenz zum verzärtelten, übertrieben behütenden schutz ebenso wie überbordende versicherung möglicher riskien. das sind antworten auf die realen gefahren des lebens. und es sind antworten, die mit konstruieren, vernichtet zu werden. denn sie machen den organismus abhängig vom vorhandensein der zartheit, des schutzes, der versicherung. letztlich der einhaltung von verträgen und abkommen mit der umwelt.

dies führt aber weder zu einer eigenständigen robustheit des organismus noch zu dem was als resilienz (bspw. antonovsky) bekannt ist, nämlich die fähigkeit trotz existentieller bedrohungen und störungen zu bleiben, wie man ist. resilienz ist gut, aber zieht keinen vorteil aus bedrohlichen, angsterzeugenden situationen. der organismus wird nicht fitter, sondern verliert nur nicht seine fähigkeit, zu überleben. resilienz dient dem überleben, nicht der verbesserung der lebensfähigkeit.

„death makes angels of us all“ singt der poet-sänger jim morrison. der tod des organismus ist unausweichlich, unabwendbar. aus unseren klauen, mit denen wir rabenartig unsere pfründe im diesseits festhalten wollen, wachsen uns adlerflügel, um von dannen zu fliegen. nun ja. spirituell mag das ja so sein. der organismus ist und bleibt aber tot. und ist nicht mehr am leben. da mag flattern, was will. mein organismus flattert nicht. und ein engel? ich weiss nicht so recht?! wer´s glauben mag…

wenn ich den tod nicht verhindern kann (und ich sterbe täglich ein bisschen): wozu dann überleben? das ist eine berechtigte frage, finde ich. denn das leben (oder wahlweise überleben) an sich trägt keinen SINN. das leben AUS sich selbst heraus hat für mich durchaus sinn. aus sich selbst heraus! kein „wozu“? kein „warum“? kein „wie lange“? leben ist leben. und das genügt (mir)!

also taucht die viel gewaltigere frage auf: wie lerne ich „die kunst, zu leben“ (lustigerweise der untertitel der vipassana-kurse nach s.n. goenka)? meine antwort darauf: dem wuchernden, ausufernden leben gute bedingungen bieten. schnell heilende wunden, stärker werden aus verletzungen. geschickter werden im angesicht von sinnenlust, übelwollen, stumpfheit und mattheit, aufgeregtheit, zweifel. das sind die geistesfaktoren, die der wirkliche feind jeder achtsamkeit sind. und ohne achtsamkeit (sati) gibt es kein (spirituelles) über-leben. also etwas, das über das leben hinausgeht.

etwas, das satt im leben wuchert und dennoch es transzendiert. das ist spiritualität. lebendige, gesunde spiritualität. und die braucht MACHT aus und ACHT auf das lebendige zentrum des organismus, dem SELBST. „Trau der (M)ACHT deines Selbst“ ist also die heuristik, die faustformel nach dem alle entscheidungen für mich getroffen werden können. spätestens nach 7 atemzügen braucht es ENT-SCHEIDUNG, festlegung, das risiko unter unsicherheit weiterzuleben.

diese haltung macht stark. wenn ich von ihr abweiche, werde ich schwach. und das heisst: ich werde eher sterben. und wer will das schon? frankl – den ich immer wieder wärmstens in meinem herzen trage – weist so deutlich darauf hin: es ist der mensch, der dem leben (s)einen sinn gibt. das leben HAT keinen sinn. wir menschen haben die fähigkeit, dem leben sinn zu schenken.

wir sind schöpfer, kreative, lebendige wesen. das ist die umschreibung dessen, was die „lebendige seele“ des menschen ist. die chrtisten sehen im „zweiten tod“ also dem nach dem jüngsten gericht endgültigen spruch über ewiges leben oder ewigen tod die eigentliche wegscheide zwischen eternalem leben oder tod. Darauf – ins jenseits – ist der blick des gläubigen christen im wesentlichen gerichtet. ich möchte das nicht in abrede stellen und respektiere diese aus-richtung, den glauben, die haltung.

ich bin diesseitig. ich bin hier lebendig. und ich will ewig leben! ja – wirklich. kein schreibfehler. denn: „ewigkeit ist keine zeitperiode, sondern ewigkeit ist hier und jetzt. kriegst du es hier nicht, kriegst du es nirgendwo“ (joseph campbell). ewigkeit ist jetzt. ewigkeit ist hier. das ist das ganze mystische geheimnis aller weltreligionen, jeder ernsthaften beschäftigung mit der menschlichen seele und dem organismus des menschen. jedenfalls für mich.

nach mehr als 34 jahren (mit elf jahren bekam ich nietzsches zarathustra zum geburtstagsgeschenk!) ist das die essenz meiner studien der mythologie, der religion, der philosophie, der psychologie, der kommunikationswissenschaft und der medizin: TRAU DER (M)ACHT DEINES SELBST! schon crowley empfahl den adepten (wie bardon, regardie, frazer und all die anderen ungenannten) folgendes: fasse den gehalt deiner quest(e), deiner suche, deines wissens, deiner ausrichtung in ein wort, ein bild, einen sinnspruch, einen ton und mache ihn zum dauerhaften objekt deines lebens. ich habe ihn gefunden. für mich. nicht allein. gott bewahre! ich hatte helfer und helferinnen. schlaue und weniger schlaue. weise und wirklich dumm-dreiste. junge und alte (besonders die kinder, die ich seit 7 jahren in meiner praxis aus und eingehen sehe und die sterbenden, die ich begleitet habe).

so – das waren meine gedanken. und ich bin froh, dass es so ist, wie es jetzt ist. mit all den risiken, unwägbarkeiten, unsicherheiten meines lebens. ich suche nicht mehr nach schutz da draussen noch nach versicherten verträgen mit anderen. ich bin 100% verletzlich, 100% zerbrechlich und werde stärker durch jede berührung. nicht durch isolation und abschottung. sondern durch aktive teilnahme am leben. und wenn ich das gerade nicht TU, dann deshalb, weil ich gerade in diesem moment nicht in der ewigkeit bin, mir nicht selbst traue. nicht meiner macht und nicht meiner acht.

und das wirklich wunderbare ist: das darf sein! ich DARF ohnmächtig und unachtsam sein. ich weiss, wie der preis dafür ist: verlust des ewigen lebens. meine entscheidung. meine wahl. mein leben. ewig oder nicht. ich bin am ziel meiner quest. ich habe den sieg errungen. es gibt nichts mehr zu tun, als dieses wissen gewinnbringend zu nutzen und anderen zur verfügung zu stellen. nicht, weil ich so unsagbar schlau oder spirituell wäre. nö! sondern, weil das genau das ist, was mir meine mächtige innere führung aufträgt. und ihr werde ich voller vertrauen folgen, bis an der welt ende (was nicht mein ende sein muss!).

Um mit crowley zu sprechen: tu was du willst-sei das ganze gesetz.
und ich sage eben: TRAU DER (M)ACHT DEINES SELBST!

Vergebung ist das Mittel der Wahl gegen jeden Schmerz!

Gedanken und Gefühle darüber, wer wir sind, sind allgegegnwärtig. Wir denken von uns, irgendwer zu sein. Wir fühlen uns fröhlich, traurig, ängstlich, wütend usw. Manchmal bauen auf diesen Impulsen kaskadierende weitere Gedanken und Gefühle auf. Wechselseitig befeuern sich diese miteinander und schaffen so eine Flut dessen, was wir gewöhnlich als Wirklichkeit für wahr halten.

Wenn jemand uns etwas sagt, das uns verletzt, fühlen wir uns vielleicht traurig, nachdem der Schmerz darüber sich ausbreitet. Am Anfang ist der Schmerz der Verletzung, dann kommt zum Beispiel die Traurigkeit. Kurz danach mag es sein, dass wir wütend werden darüber, dass wir so verletzt wurden. Und schliesslich setzt sich Haß auf die Woge der dramatischen Gefühle. Haß auf den Übeltäter, den Schuldigen. Und vielleicht mischt sich auch noch die Angst ein, schutzlos weiteren Verletzungen ausgesetzt zu sein.

In diesem wogenden gefühlsmäßig aufgeladen uneinheitlichen Feld gibt es eines oft nicht: Den unbedingten Willen zur Vergebung. Die Entschlossenheit, sich nicht mit diesen Gefühlen zu identifizieren. Ganz zu schweigen von den Gedanken, die in den Choral dramatischer Wirklichkeit einstimmen: Dass wir es selbst verschuldet haben, verletzt worden zu sein bspw. Dass alle Menschen böse und grausam seien. Dass wir es letztlich nicht verdient hätten, geliebt zu werden, uns sicher und geborgen fühlen zu dürfen. Wir drehen den Dolch des Haßes gegen uns selbst. Wir denken, dass nicht nur der „Täter“ schuldig sei – sondern wir eben auch schuld seien.

In unserer jüdisch-christlich-moslemischen Kultur sind sowohl die Gedanken als auch die Gefühle, die auf eine Verletzung folgen, Gemeingut. Sie sind weitgehend verständlich, wenn nicht sogar akzeptiert oder gefördert. Es gibt eine lange Tradition der Selbst- und Fremdabwertung in unserer europäisch-arabischen Kultur. Oder anders gesagt: in der westlichen Welt. Nun meine ich aber nicht, dass der skizzierte Prozess dramatischer Gefühle und Gedanken kulturspezifisch wären. Auch im „Osten“ passieren die kaskadieren Gefühls-/Gedanken-Konstruktionen der Wirklichkeit. Sie mögen andere Färbungen, einen anderen Ton und eine andere Intensität aufweisen. Aber es gibt sie im Westen wie im Osten. Schuldzuweisung und Selbstabwertung sind allerdings meines Erachtens spezifisch „westlich“.

Ich habe den Eindruck, dass es einen Sinn hat, derart mit sich und anderen zu verfahren. Ich meine, dass wir einen Wunsch in uns tragen, verbunden zu sein. Verbunden mit dem, was wir als Gemeinschaft willkommen heissen. Jede Verletzung, die wir erleiden ist ein Vertrauensbruch in der Vorstellung einer sicheren Gemeinschaft. In einer „idealen“ Gemeinschaft würde es keine Verletzung und keinen Schmerz geben. So zumindest denken viele Menschen unseres Kulturkreises, wie ich vermute. Dieses Ideal der friedlichen, nach innen freundlichen und nach aussen wehrhaften Gemeinschaft findet sich in der germanischen Kultur allenorts.

Meine These ist: Wenn wir beschuldigen, uns selbst abwerten, hassen etc. dient das einem reinigenden Zweck, der auf die Gemeinschaft gerichtet ist. Wir verfolgen  damit das Ziel, die Gemeinschaft von gemeinschaftschädigen Elementen zu befreien. Damit glauben wir, die Intaktheit der Gemeinschaft wieder herzustellen. Wenn wir den „Feind“ draussen vor den Wällen unseres „Dorfes“ wissen, werden wir wieder sicher im Inneren sein. Der Haß auf das Fremde hat meines Erachtens hier seine Wurzeln.

Dieser Prozess der eigenen Isolation, Verhärtung und Wehrhaftigkeit nach außen schneidet uns wirksam ab von anderen Qualitäten: grundlegendes Gutsein, Vergebungsbereitschaft, Mitgefühl und Reflektionsfähigkeit. Und dieser Prozess hat seine Berechtigung! Er ist tief in uns allen verwurzelt. Er hat eine überlebenssichernde Funktion. Ohne die Abtrennung von eigener Güte, Barmherzigkeit und Friedfertigkeit kann es nämlich keinen Feind im „Aussen“ geben. Und ohne Feind bricht der Prozess von Schuldzuweisung und Selbstabwertung in sich zusammen.

Die Verletzung wird bei diesem ausstossenden und haßerfüllten Prozess tatsächlich geheilt – dass ist zumindest die vorherrschende Ansicht unserer Kultur (und wahrscheinlich auch unserer Intuition). Der Weg ist einer des Ungeschehn-Machens der Verletzungshandlung durch Ausschluss des Täters aus der Gemeinschaft. Und eine Verletzung von Aussen – durch einen „Feind“ ist nicht mehr gemeinschaftsschädigend, sondern man erwartet gar nichts Anderes. Denn da „draussen“ – hinter den Palisaden des Wehrdorfes lauert eben der Feind. Und dieser will nur Eines: uns verletzen, töten und versklaven. Diese Mentalität steckt tief in uns allen. Und ich verstehe das. Ich verstehe das wirklich. Ich weiss, warum deshalb selbst die progressiveren BewohnerInnen des Dorfes auf ihren Bannern „Kein Vergeben – kein Vergessen“ stehen haben. Und sich genauso verhalten, wie die machterhaltenden Strukturen des Schutzdorfes es verlangen. Ob es nun rote (kommunistisch-sozialistische) oder braune (faschistisch-reaktionäre) Kräfte sind. Sie eint der Gedeanke an eine in sich gute Gemeinschaft, die von parasitären, bösen Feinden bedroht ist.

Ich bin der Ansicht, dass dies eine ganz andere Sicht auf das Verhaftet-Sein im Gedanken- und Gefühls-Karussel nach Verletzungen bietet. Eine kulturell verstehende Sicht auf die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens im Individuum. Ich meine, dass dieser Prozess der Rekonstitution einer imaginären friedliche, all-liebenden, wehrhaften und solidarischen Gemeinschaft in sich trägt. Sie dient dem Grauen der Isolation durch die erlittene Verletzung zu begegnen und das erlitene Unrecht ungeschehen zu machen – oder in den vorherigen Stand der Unversehrtheit und Eingebundenheit in die Gemeinschaft zurück zu kehren.

Die Motivation des Hasses ist auf diesem Hintergrund für mich verständlich. Paradoxerweise dient er der HEILUNG der WUNDE. Dies geht natürlich auch anders! Es gilt aber meines Erachtens zunächst einmal den Blick voller Mitgefühl auf unsere Ahnen und unser Erbe zu werfen. Diesem Erbe mit Achtung zu begegnen und es nicht ebenso in die Tonne der Vergessenheit zu stecken, wie wir das gerne mit unseren Widersachern tun würden.

Hier eröffnet sich das erste Feld der verstehenden Vergebung. Erst wenn wir die kulturellen Hintergründe und die Sinnhaftigkeit dahinter wirklich „mit unserem Herzen“ verstehen, können wir uns selbst dafür vergeben, wenn wir meinen, der Isolation und Selbstabwertung mit den archaischen Überlebenstechniken zu begegnen. Wenn der Schmerz akut zu stark ist, ist es menschlich auf die bewährtesten Lösungen unserer Ahne  zurück zu schalten. Das sichert unser Überleben. Erst wenn wir diese Mechanismen mit Würde und Dankbarkeit anschauen können und tief verstehen, wozu sie gut waren, wird es möglich, zu vergeben.

Und Vergebung ist das Mittel der Wahl gegen jeden Schmerz! Wir lernen uns selbst zu vergeben. Für all‘ die – vermeintlichen oder tatsächlichen – Verletzungen, die wir anderen angetan haben. Wir lernen, auch denen zu vergeben, die uns verletzt haben. Wir heilen die Wunde der Verletzung, indem wir die dramatischen Sekundär- und Tertiärgefühle wohlwollend als das archaische Erbe unserer Ahnen gutheissen, willkommen heissen und voll warmem Verständnis tief verstehen. Auch wenn wir einen anderen Pfad einschlagen. Weil wir gegen jede kulturelle Prägung,  jeden intuitiven Überlebensinstinkt, gegen jede Doktrin der Vergeltung in uns selbst diesen Ort der Gemeinschaft kultivieren. Indem wir lernen, uns selbst gegenüber solidarisch, mitfühlend und friedlich zu sein.

Wir stehen in der Kette unserer Ahnen und werten unsere Herkunft und unsere Wurzeln nicht ab. Sondern wir bekräftigen sie, indem wir voran gehen. Das Alte in seinem Sinn zu bewahren und das unerhört Neue zu wagen – das ist unsere Mission.

Liebende Güte und Vergebung sind die Werkzeuge zum Umgang mit der Wunde, die die Verletzung geschlagen hat. Das ist das, was ich meine. Und ich vergebe mir, wenn ich – wie viele Andere – in vielen Momenten vergesse, was ich hier gerade schreibe und blind dem Ahnenerbe folge. Ich vergebe mir meinen Haß, meine Unwissenheit und meine Gier, die mich in die Felder dauernder Isolation von der Gemeinschaft udn schmerzerfüllter Anklage gegen die Dämonen und Feinde der äusseren Welt versinken läßt. Ich vergeb mir die langen Phasen der Teilnahmslosigkeit, Inaktivität und Depression, in denen ich das Gefühl habe, nicht mehr zu können und der Hilfe zu bedürfen. Ich vergebe mir – und beginne von Neuem. Ich beginne von Neuem, indem ich meinen Atem beobachte. Atemzug für Atemzug. Bis ich zurückkehre in diesen wachen und klaren Zustand des Geistes, in dem ich diese Zeilen geschrieben habe. Das Gefühl, gescheitert zu sein oder versagt zu haben, ist nur ein weiterer Gedanke des Überlebens-Prozesses. Ich habe die Kraft, ihn als das zu durchschauen, was er ist. Die Buddhisten nennen diese Kraft „MARA“. Sie erscheint, um in uns Zweifel und Hoffnungslosigkeit zu erzeugen. Aber ich weiss: Ich habe die Kraft, meine Hand auf die Erde zu legen, mich mit der Kraft der Erde zu verbinden, um MARA zu sagen: „Ich sehe dich, Mara! Du hast keine Macht über mich. Denn ich habe meine Zuflucht genommen. Ich bin wach (buddha)! Ich weiss, was zu tun ist (dharma)! Und ich gehöre zur Gemeinschaft-jederzeit (sangha)!“

Kapitel 2: Sprich nicht von Liebe – Liebe!

Liebe ist Deine Entscheidung im Prozess mit den geliebten Menschen in Deinem Leben, ganz Du selbst zu sein und aus offenem Herzen zu lieben und genau dafür geliebt zu werden.

Die allermeisten Menschen sehnen sich danach, geliebt zu werden. Angenommen, akzeptiert, respektiert zu werden dafür, wer sie sind – oder: was sie tun! Das ist allerdings ein zeitraubendes und vermutlich nutzloses Ansinnen. Es führt zu Schmerz und Leid. Und zwar zu vermeidbarem, unnötigem Leid. Es ist kein wirkungsvolle Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen. Sondern ineffektives Verharren, Starr-Bleiben und Festhalten an einem geglaubten Ich gegenüber der Welt. Es ist nicht gerade heroisch an einem Ich festzuhalten, dessen Wert sich aus Geschenken des Angenommenseins speist, solange man erwartet, dass diese Geschenke in reicher Fülle einem selbst zustehen würden, denke ich.

Ich vergleiche die dahinter leigende Haltung gerne mit einem Menschen, der ein Fernglas in seiner Hand hält und Ausschau danach hält, was es am Horizont seiner Welt zu sehen gibt. Eine enge Perspektive, die nah heran holt, was aussen und weit entfernt ist. Diese Orientierung nach aussen auf der Suche nach möglichen Schätzen, die es nur zu heben gilt, erschwert den Blick in den Spiegel ungemein. Das Fernglas ist dabei hinderlich, ist im Weg. Man kann sich nicht gut selbst sehen, wenn man nach aussen schaut. Sobald man das Fernglas mal zur Seite legt, kann man sich besser sehen. Der Spiegel zeigt, wer wir sind. Oder besser: Wie unser Spiegelbild aussieht! Das gespürte Empfinden bei der Betrachtung des eigenen Antlitz bahnt den Zugang zum Inneren. Eine gänzlich andere Perspektive – nach innen und nicht nach aussen! Der Spiegel ist ein Werkzeug der Innenschau. Wenn wir unsere geliebten Mitmenschen nicht durch das Fernglas verzerrender Projektionen oder schmeichelhafter betrachten, oder als schön redende „Wunderspiegel“ misbrauchen, können sie uns tatsächlich ein Geschenk überreichen: Uns so zu sehen, wie und wer wir sind durch ihren klaren, offenen und wirklichen Spiegel.

Das Sprechen – oder Singen – über die Liebe ist fast immer nutzlos. Es äussert im Besten Fall Unsagbares. Denn die Liebe stammt aus den Gebieten der Psyche, in denen keine Worte hallen. Weit mehr als ein Gefühl durchflutet es die Tiefen der See und macht uns lächeln oder weinen vor Rührung. Sentimental, romantisch, wild, unberechenbar und frei ist die Liebe – wenn man denn versuchen würde, dürre Worte angesichts dieser gewaltigen feurigen Kraft aus dem Inneren finden. Liebe ist wie das Hineingreifen in feuchte Erde voller Hingabe und Anteilnahme. Flüchtig wie der Wind in den höheren Regionen der Berge – über den Wipfeln der Baumgrenze. Das Sprechen über die Liebe ist – wie gesagt – weitgehend nutzlos und vermutlich Zeitverschwendung. Was aber keine Verschwendung kostbarer Lebenszeit ist, ist es zu lieben. Dazu bedarf es beim Mann der sanften offenen Empfänglichkeit des Herzens und der festentschlossenen Kraft seiner Lenden um Leben zu spenden. Bei der Frau bedarf es eines sich vor Liebe überfliessenden Herzens und der Empfänglichkeit ihres Schosses, um aufzunehmen, woraus nur die Frau Leben schöpfen kann wie aus einer unergründlich tiefen See. Ob ein Mensch nun gerade ein Mann oder eine Frau ist: das allerdings ist keine Frage der Geschlechtsorgane oder des Aussehens. Es ist eine Antwort des Gestimmtseins in einer bestimmten Interaktion, einer bestimmten Situation in einem bestimmten Kontext. Die Bestimmung nährt sich dabei aus der Mitte des Menschen – aus seinem Wesen. Wenn der Sitz des Austauschs zwischen dem archetypischen Mann und der archetypischen Frau die Herzen und Unterleibe beider sind, ist der Sitz des Wesens des Menschen in allen Mythen und Überlieferungen immer das Tanden, das Hara, der Nabel (oder ein wenig darunter!).

Wer also lieben möchte, wer sich dazu entscheidet, ein Liebender zu sein, hat zunächst sein Hara zu festigen. Oder übertragen: Er hat Achtung und Liebe sich selbst gegenüber zu entwickeln. Er hat sich von Vater und Mutter selbst abzunabeln und seinen Nabel heilen zu lassen. Es handelt sich um eine leiblich-psychsiche Neugeburt des Menschen zum Wesen hin. Aus dieser „Erdmitte des Menschen“ (Dürckheim) kann der Mensch fest, sicher, entschlossen und frei sich zur Liebe entscheiden. Wohl gemerkt: Für mich ist die Liebe eine Entscheidung, ein schöpferischer Prozess der Selbst-Bestimmung. Damit werden neue Wege gegangen in ein Leben, dass der „Freude folgt“.

Hier nur so viel – oder wenig – über die Liebe und das lieben. Dürckheims „Hara – Die Erdmitte des Menschen“ und Campbells „Der Heros in tausend Gestalten“ können vertiefend dazu gelesen werden. Oder auch mal Sperrazzos „Wenn es verletzt, ist es keine Liebe“ oder Katies „Ich brauche deine Liebe – stimmt das?“. Es gibt einige gute Bücher, in denen über die Liebe gesprochen wird. Aber noch einmal an dieser Stelle: Es geht letztlich immer darum, zu lieben (eine entschiedene HANDLUNG), nicht darum, geliebt zu werden oder etwas über die Liebe zu wissen.

Vorwort: Gate, Gate, Paragate, Parasamgate Bodhi SVAHA.

abeherenowhailthegoer

Es gibt Wege, die sich durch die Landschaft ziehen. Du schaust von hier oben hinunter. Und WÄHLST. Du wählst, ob Dich einer der Wege zu Deinem ZIEL leiten kann. Vielleicht bist Du auch ENTSCHLOSSEN, Deinen eigenen WEG zu schaffen. Du atmest ein, Du atmest aus. Und GEHST JETZT LOS. Dorthin, wohin Dich die MACHT aus Deinem wahren + tiefen SELBST führen wird. Du TRAUST dieser MACHT. Und bist BEREIT, ALLES zu VERLIEREN, was Du LOSLASSEN mußt. Um Dein SELBST zu GEWINNEN, GEHST Du DEINEN WEG. Jeder Schritt, den Du von nun an gehst, verändert ALLES. Du bist zu einem SCHÖPFER geworden. Im GEHEN schaffst Du Dir den RAUM. Füllst Den Raum mit Deiner menschlichen FORM. Die Leere in Dir leistet WIDERSTAND. Du nutzt und ACHTEST jeden WIDERSTAND in Dir, um WEITER zu GEHEN. Der KAMPF ist vorüber: Du bist GANZ. Und Du bist BEREIT und ENTSCHLOSSEN, ALLES zu VERLIEREN, was Du LOSLASSEN mußt, damit Du Deinen WEG GEHEN kannst.

Gegangen, Gegangen, Hinüber Gegangen, Vollständig Hinüber Gegangen. Heil!

Gate, Gate, Paragate, Parasamgate Bodhi SVAHA.