Archiv der Kategorie: Zitate

Einzelne Zitate (samt Quellenangabe) sammle und publiziere ich hier …

Seid Euch selbst ein Licht (buddha)

Der Buddha zu Ananda:
Deshalb, Ananda, seid euch selbst ein Licht, seid euch selbst eine Zuflucht. Nehmt nicht zu irgendetwas anderem Zuflucht. Haltet euch an die Wahrheit, die euch leuchtet. Nehmt zur Wahrheit Zuflucht. Sucht in niemand anderem eure Rettung als in euch selbst.

Und diejenigen Ananda, die jetzt oder nach meinem Tod dem Licht in sich selbst folgen und in nichts Äusserem ihre Rettung suchen, sondern an der Wahrheit als ihrem Licht festhalten und zur Wahrheit ihre Zuflucht nehmen und die in niemand anderem Rettung suchen als in sich selbst – sie sind es, die die höchste Höhe erreichen können. Aber sie müssen beharrlich sein.
(Mahaparinibbana Sutra)

Träume in den erwachenden Morgen. (Leslie Feinberg, Stone Butch Blues)

hütteIch ging über ein weites Feld. Frauen, Männer und Kinder standen am Rand und sahen mich an, lächelten und nickten. Ich ging auf eine kleine runde Hütte am Waldrand zu. Ich hatte das Gefühl, hier schon mal gewesen zu sein.

 

 

leslieDrinnen waren Menschen, die anders waren, so wie ich. Wir sahen unser Spiegelbild in den Gesichtern derer, die mit uns im Kreis saßen. Es war schwer zu sagen, wer eine Frau war und wer ein Mann. Ihre Gesichter strahlten eine andere Art von Schönheit aus als die, die mir als Kind im Fernsehen oder in den Zeitschriften angepriesen wurde. Es war eine Schönheit, mit der man nicht geboren wird, sondern um die man unter großen Opfern kämpfen muß.

 

Ich war stolz darauf, eine von ihnen zu sein.

 

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In unserer Mitte brannte ein Feuer. Eine der Ältesten aus dem Kreis fing meinen Blick auf. Ich wußte nicht, ob sie bei der Geburt ein Mann oder eine Frau gewesen war. Sie hielt einen Gegenstand hoch.

 

ringIch verstand, daß ich die Wirklichkeit dieses Gegenstandes akzeptieren sollte. Ich sah genauer hin. Es war der Ring, den mir die Dineh-Frauen als Kind geschenkt hatten.

Ich verspürte den Drang aufzuspringen und um den Ring zu bitten. Ich hielt mich zurück.

 

kreisSie zeigte auf den kreisförmigen Schatten, den der Ring auf den Boden warf. Ich nickte und erkannte, daß der Schatten so real war wie der Ring. Sie lächelte und schwenkte ihre Hand in dem Raum zwischen dem Ring und seinem Schatten. Ist dieser Abstand nicht ebenso real? Sie wies auf unseren Kreis. Ich sah die Gesichter um mich herum an. Ich folgte dem Schatten ihrer Hand an der Wand der Hütte und sah zum ersten Mal die Schatten, die uns umgaben.

Sie rief mich in die Gegenwart zurück. Meine Gedanken schnellten zurück in die Vergangenheit, preschten voraus in die Zukunft. Ist das nicht alles miteinander verbunden? fragte sie mich ohne Worte.

Ich begriff, wie mein Leben einen Kreis beschrieben hatte. Als „anders“ aufzuwachsen, mich als Butch zu emanzipieren, als Mann durchzugehen und dann zu derselben Frage zurückzukehren, die mein Leben bestimmt hatte: Frau oder Mann?

me(…)

In der Nähe hörte ich Flügelschlagen. Ich öffnete die Augen. Auf einem nahegelegenen Dach ließ ein junger Mann seine Tauben fliegen wie Träume in den erwachenden Morgen.“

Und wer weiss – vielleicht änderst du dich am Ende so sehr, dass du mich weit hinter dir lässt.

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Noch ein Zitat aus „stone butch blues“ kurz nach der Ermordung von Malcom X – Ende der 60er Jahre.:

Theresa setzte sich neben mich. „Manchmal musst du dich für eine Seite entscheiden.“
(…)
Ich blinzelte verwirrt. „Zum Beispiel?“
Theresa nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette. „Ed findet, dass sie hierzulande im Krieg lebt. (…) Die Städte brennen. Truppen sind auf der Strasse“. Ich zuckte die Achseln: „Das ist was Anderes als der Krieg in Vietnam und anderswo!“ Theresa nickte. „Ja, das stimmt. Aber du musst dich entscheiden, wo du stehst“.

Ich lauschte auf die Schreie der Möwen. Theresa wartete auf eine Antwort. „Ich bin froh, dass du mich Ed nicht so unüberlegt hast anrufen lassen. Alles ist dauernd im Fluss. Manchmal verstehe ich, was passiert, manchmal verliere ich wieder den Faden. Ich werde darüber nachdenken. Ich muss mir über einiges klar werden.“

Theresa küsste mich auf den Mund. „Eine wunderbare Antwort. Es wird dir gelingen. Du bemühst dich ja immer, das Richtige zu tun.“ Ich senkte den Blick. Theresa hob mein Kinn. Ihre Augen fragten mich, was ich fühlte.

„Ich habe einfach Angst“, sagte ich. „Der ganze Kram ist bislang an mir vorbeigegangen. Aber plötzlich merke ich, wie sehr du dich verändert hast, und es macht mir angst. Ich habe Angst, dass du dich veränderst und ich mich nicht.“

Theresa zog mich auf sie herunter. Ich schaute mich rasch um, ob jemand in der Nähe war. Wir waren allein.

„Jess“, flüsterte sie, „hab keine Angst.Wir verändern uns alle. Und wer weiss – vielleicht änderst du dich am Ende so sehr, dass du mich weit hinter dir lässt.“

Darüber musste ich lachen. „Niemals“, versprach ich. „Das wird nie passieren.“ (S. 196)

STONE BUTCH BLUES (Leslie Feinberg)


Ich lese im englischen Original in Leslie Feinbergs „Stone Butch Blues“. Eine deutsche Übersetzung gibt es bei Amazon. „Träume in den erwachenden Morgen“ haben sie es im Deutschen Untertitel genannt. Die Bestellung ist raus. Ich bin gespannt, ob es sich in Deutsch auch auch so gut liest und ich „eintauchen“ kann in die Geschichte dieses Menschen. Ich fühle mich berührt und aufgehoben. Während ich den Text Wort für Wort abgeschrieben habe, habe ich Lynyrd Skynyrds „Free Bird“ gehört. So langsam klären sich meine Gedanken und Gefühle – ich beginne, sie ganz behutsam in mein Leben zu integrieren, in mich, in meinen Körper, in meiner Kleidung. Wenn ich Leslies Worte lese, kommt es mir so vor, als sei es nur ein kleiner Schritt in eine – zugegebener maßen grausame – Freiheit.

 

„One day my high school English teacher, Mrs. Noble, gave us a homework assignment: bring in eight lines of your favorite poem and read them in front of the class. Some of the kids moaned and groaned that they didn´t have a favorite poem and it sounded „borring.“ But i panicked. If i read a poem I loved, it would leave me vulnerable and exposed. And yet, to read eight lines I didn´t care about felt like self-betrayal.

When it was my turn to read the next day, brought my math book with me up to the front of the room. At the beginning of the semester I´d made a cover for the textbook out of a brawn grocery bag and copied a poem by Poe across the inside flap.

I cleared my throat and looked at Mrs. Noble. She smiled and nodded at me. I read the first eight lines:

From childhood’s hour I have not been
As others were – I have not seen
As others saw – I could not bring
My passions from a common spring.
From the same source I have not taken
My sorrow; I could not awaken
My heart to joy at the same tone;
And all I lov’d, I lov’d alone.

I tried to read the words in a flat sing-son tone without feeling, so none of the kids would understand what his poem meant to me, but their eyes were already glazed with boredom. I dropped my gaze and walked back to my seat. Mrs. Noble squeezed my arm as I passed, and when I looked up i saw she had tears in her eyes. The way she looked at me made me want to cry, too. It was as though she could really see me, and there was no criticism of me in her eyes.“ (p.37)

Das Gedicht von Poe mit dem Titel ALONE geht übrigens weiter:

„Then- in my childhood, in the dawn
Of a most stormy life- was drawn
From every depth of good and ill
The mystery which binds me still:
From the torrent, or the fountain,
From the red cliff of the mountain,
From the sun that round me rolled
In its autumn tint of gold,
From the lightning in the sky
As it passed me flying by,
From the thunder and the storm,
And the cloud that took the form
(When the rest of Heaven was blue)
Of a demon in my view.“

Der goldene Vogel (Gebrüder Grimm)

Es war vor Zeiten ein König, der hatte einen schönen Lustgarten hinter seinem Schloß, darin stand ein Baum, der goldene Äpfel trug. Als die Äpfel reiften, wurden sie gezählt, aber gleich den nächsten Morgen fehlte einer. Das ward dem König gemeldet, und er befahl daß alle Nächte unter dem Baume Wache sollte gehalten werden. Der König hatte drei Söhne, davon schickte er den ältesten bei einbrechender Nacht in den Garten: wie es aber Mitternacht war, konnte er sich des Schlafes nicht erwehren, und am nächsten Morgen fehlte wieder ein Apfel. In der folgenden Nacht mußte der zweite Sohn wachen, aber dem ergieng es nicht besser: als es zwölf Uhr geschlagen hatte, schlief er ein, und Morgens fehlte ein Apfel. Jetzt kam die Reihe zu wachen an den dritten Sohn, der war auch bereit, aber der König traute ihm nicht viel zu und meinte er würde noch weniger ausrichten als seine Brüder: endlich aber gestattete er es doch. Der Jüngling legte sich also unter den Baum, wachte und ließ den Schlaf nicht Herr werden. Als es zwölf schlug, so rauschte etwas durch die Luft, und er sah im Mondschein einen Vogel daher fliegen, dessen Gefieder ganz von Gold glänzte. Der Vogel ließ sich auf dem Baume nieder und hatte eben einen Apfel abgepickt, als der Jüngling einen Pfeil nach ihm abschoß. Der Vogel entflog, aber der Pfeil hatte sein Gefieder getroffen, und eine seiner goldenen Federn fiel herab. Der Jüngling hob sie auf, brachte sie am andern Morgen dem König und erzählte ihm was er in der Nacht gesehen hatte. Der König versammelte seinen Rath, und jedermann erklärte, eine Feder wie diese sei mehr werth als das gesammte Königreich. ‚Ist die Feder so kostbar,‘ erklärte der König, ’so hilft mir auch die eine nichts, sondern ich will und muß den ganzen Vogel haben.‘
Der älteste Sohn machte sich auf den Weg, verließ sich auf seine Klugheit und meinte den goldenen Vogel schon zu finden. Wie er eine Strecke gegangen war, sah er an dem Rande eines Waldes einen Fuchs sitzen, legte seine Flinte an und zielte auf ihn. Der Fuchs rief ’schieß mich nicht, ich will dir dafür einen guten Rath geben. Du bist auf dem Weg nach dem goldenen Vogel, und wirst heut Abend in ein Dorf kommen, wo zwei Wirthshäuser einander gegenüber stehen. Eins ist hell erleuchtet, und es geht darin lustig her: da kehr aber nicht ein, sondern geh ins andere, wenn es dich auch schlecht ansieht.‘ ‚Wie kann mir wohl so ein albernes Thier einen vernünftigen Rath ertheilen!‘ dachte der Königssohn und drückte los, aber er fehlte den Fuchs, der den Schwanz streckte, und schnell in den Wald lief. Darauf setzte, er seinen Weg fort und kam Abends in das Dorf, wo die beiden Wirthshäuser standen: in dem einen ward gesungen und gesprungen, das andere hatte ein armseliges, betrübtes Ansehen. ‚Ich wäre wohl ein Narr,‘ dachte er, ‚wenn ich in das lumpige Wirthshaus gienge und das schöne liegen ließ.‘ Also gieng er in das lustige ein, lebte da in Saus und Braus, und vergaß den Vogel, seinen Vater und alle gute Lehren.
Als eine Zeit verstrichen und der älteste Sohn immer und immer nicht nach Haus gekommen war, so machte sich der zweite auf den Weg und wollte den goldenen, Vogel suchen. Wie dem ältesten begegnete ihm der Fuchs und gab ihm den guten Rath, den er nicht achtete. Er kam zu den beiden Wirthshäusern, wo sein Bruder am Fenster des einen stand, aus dem der Jubel erschallte, und ihn anrief. Er konnte nicht widerstehen, gieng hinein und lebte nur seinen Lüsten.
Wiederum verstrich eine Zeit, da wollte der jüngste Königssohn ausziehen und sein Heil versuchen, der Vater aber wollte es nicht zulassen. ‚Es ist vergeblich,‘ sprach er, ‚der wird den goldenen Vogel noch weniger finden als seine Brüder, und wenn ihm ein Unglück zustößt, so weiß er sich nicht zu helfen, es fehlt ihm am Besten.‘ Doch endlich, wie keine Ruhe mehr da war, ließ er ihn ziehen. Vor dem Walde saß wieder der Fuchs, bat um sein Leben und ertheilte den guten Rath. Der Jüngling war gutmüthig und sagte ’sei ruhig, Füchslein, ich thue dir nichts zu Leid.‘ ‚Es soll dich nicht gereuen,‘ antwortete der Fuchs, ‚und damit du schneller fortkommst, so steig hinten auf meinen Schwanz.‘ Und kaum hat er sich aufgesetzt, so fieng der Fuchs an zu laufen, und da giengs über Stock und Stein daß die Haare im Winde pfiffen. Als sie zu dem Dorfe kamen, stieg der Jüngling ab, befolgte den guten Rath und kehrte, ohne sich umzusehen, in das geringe Wirthshaus ein, wo er ruhig übernachtete. Am andern Morgen, wie er auf das Feld kam, saß da schon der Fuchs und sagte ‚ich will dir weiter sagen was du zu thun hast. Geh du immer gerade aus, endlich wirst du an ein Schloß kommen, vor dem eine ganze Schaar Soldaten liegt, aber kümmre dich nicht darum, denn sie werden alle schlafen und schnarchen: geh mitten durch und geradeswegs in das Schloß hinein, und geh durch alle Stuben, zuletzt wirst du in eine Kammer kommen, wo ein goldener Vogel in einem hölzernen Käfig hängt. Neben an steht ein leerer Goldkäfig zum Prunk, aber hüte dich daß du den Vogel nicht aus seinem schlechten Käfig heraus nimmst und in den prächtigen thust, sonst möchte es dir schlimm ergehen.‘ Nach diesen Worten streckte der Fuchs wieder seinen Schwanz aus, und der Königssohn setzte sich auf: da giengs über Stock und Stein daß die Haare im Winde pfiffen. Als er bei dem Schloß angelangt war, fand er alles so wie der Fuchs gesagt hatte. Der Königssohn kam in die Kammer, wo der goldene Vogel in einem hölzernen Käfig saß, und ein goldener stand daneben: die drei goldenen Äpfel aber lagen in der Stube umher. Da dachte er es wäre lächerlich wenn er den schönen Vogel in dem gemeinen und häßlichen Käfig lassen wollte, öffnete die Thüre, packte ihn und setzte ihn in den goldenen. In dem Augenblick aber that der Vogel einen durchdringenden Schrei. Die Soldaten erwachten, stürzten herein, und führten ihn ins Gefängnis. Den andern Morgen wurde er vor ein Gericht gestellt und, da er alles bekannte, zum Tode verurtheilt. Doch sagte der König, er wollte ihm unter einer Bedingung das Leben schenken, wenn er ihm nämlich das goldene Pferd brächte, welches noch schneller liefe als der Wind, und dann sollte er obendrein zur Belohnung den goldenen Vogel erhalten.
Der Königssohn machte sich auf den Weg, seufzte aber und war traurig, denn wo sollte er das goldene Pferd finden? Da sah er auf einmal seinen alten Freund, den Fuchs, an dem Wege sitzen. ‚Siehst du,‘ sprach der Fuchs, ’so ist es gekommen, weil du mir nicht gehört hast. Doch sei gutes Muthes, ich will mich deiner annehmen und dir sagen wie du zu dem goldenen Pferd gelangst. Du mußt gerades Weges fortgehen, so wirst du zu einem Schloß kommen, wo das Pferd im Stalle steht. Vor dem Stall werden die Stallknechte liegen, aber sie werden schlafen und schnarchen, und du kannst geruhig das goldene Pferd herausführen. Aber eins mußt du in acht nehmen, leg ihm den schlechten Sattel von Holz und Leder auf und ja nicht den goldenen, der dabei hängt, sonst wird es dir schlimm ergehen.‘ Dann streckte der Fuchs seinen Schwanz aus, der Königssohn setzte sich auf, und es gieng fort über Stock und Stein, daß die Haare im Winde pfiffen. Alles traf so ein, wie der Fuchs gesagt hatte, er kam in den Stall, wo das goldene Pferd stand: als er ihm aber den schlechten Sattel auflegen wollte, so dachte er ‚ein so schönes Thier wird verschändet, wenn ich ihm nicht den guten Sattel auflege, der ihm gebührt.‘ Kaum aber berührte der goldene Sattel das Pferd, so fieng es an laut zu wiehern. Die Stallknechte erwachten, ergriffen den Jüngling und warfen ihn ins Gefängnis. Am andern Morgen wurde er vom Gericht zum Tode verurtheilt, doch versprach ihm der König das Leben zu schenken und dazu das goldene Pferd, wenn er die schöne Königstochter vom goldenen Schlosse herbeischaffen könnte.
Mit schwerem Herzen machte sich der Jüngling auf den Weg, doch zu seinem Glücke fand er bald den treuen Fuchs. ‚Ich sollte dich nur deinem Unglück überlassen,‘ sagte der Fuchs, ‚aber ich habe Mitleiden mit dir und will dir noch einmal aus deiner Noth helfen. Dein Weg führt dich gerade zu dem goldenen Schlosse: Abends wirst du anlangen, und Nachts, wenn alles still ist, dann geht die schöne Königstochter ins Badehaus, um da zu baden. Und wenn sie hineingeht, so spring auf sie zu und gib ihr einen Kuß, dann folgt sie dir, und du kannst sie mit dir fortführen: nur leide nicht daß sie vorher von ihren Eltern Abschied nimmt, sonst kann es dir schlimm ergehen.‘ Dann streckte der Fuchs seinen Schwanz, der Königssohn setzte sich auf, und so gieng es über Stock und Stein daß die Haare im Winde pfiffen. Als er beim goldenen Schloß ankam, war es so wie der Fuchs gesagt hatte. Er wartete bis um Mitternacht, als alles in tiefem Schlaf lag, und die schöne Jungfrau ins Badehaus gieng, da sprang er hervor und gab ihr einen Kuß. Sie sagte sie wollte gerne mit ihm gehen, bat ihn aber flehentlich und mit Thränen er möchte ihr erlauben vorher von ihren Eltern Abschied zu nehmen. Er widerstand anfänglich ihren Bitten, als sie aber immer mehr weinte und ihm zu Fuß fiel, so gab er endlich nach. Kaum aber war die Jungfrau zu dem Bette ihres Vaters getreten, so wachte er und alle anderen, die im Schloß waren, auf, und der Jüngling ward fest gehalten und ins Gefängnis gesetzt.
Am andern Morgen sprach der König zu ihm ‚dein Leben ist verwirkt, und du kannst bloß Gnade finden wenn du den Berg abträgst, der vor meinen Fenstern liegt, und über welchen ich nicht hinaus sehen kann, und das mußt du binnen acht Tagen zu Stande bringen. Gelingt dir das, so sollst du meine Tochter zur Belohnung haben.‘ Der Königssohn fieng an, grub und schaufelte ohne abzulassen, als er aber nach sieben Tagen sah wie wenig er ausgerichtet hatte, und alle seine Arbeit so gut wie nichts war, so fiel er in große Traurigkeit und gab alle Hoffnung auf. Am Abend des siebenten Tags aber erschien der Fuchs und sagte ‚du verdienst nicht daß ich mich deiner annehme, aber geh nur hin und lege dich schlafen, ich will die Arbeit für dich thun.‘ Am andern Morgen als er erwachte und zum Fenster hinaus sah, so war der Berg verschwunden. Der Jüngling eilte voll Freude zum König und meldete ihm daß die Bedingung erfüllt wäre, und der König mochte wollen oder nichts er mußte Wort halten und ihm seine Tochter geben.
Nun zogen die beiden zusammen fort, und es währte nicht lange, so kam der treue Fuchs zu ihnen. ‚Das beste hast du zwar,‘ sagte er, ‚aber zu der Jungfrau aus dem goldenen Schloß gehört auch das goldene Pferd.‘ ‚Wie soll ich das bekommen?‘ fragte der Jüngling. ‚Das will ich dir sagen,‘ antwortete der Fuchs, ‚zuerst bring dem Könige, der dich nach dem goldenen Schlosse geschickt hat, die schöne Jungfrau. Da wird unerhörte Freude sein, sie werden dir das goldene Pferd gerne geben und werden dirs vorführen. Setz dich alsbald auf und reiche allen zum Abschied die Hand herab, zuletzt der schönen Jungfrau, und wenn du sie gefaßt hast, so zieh sie mit einem Schwung hinauf und jage davon: und niemand ist im Stande dich einzuholen, denn das Pferd läuft schneller als der Wind.‘
Alles wurde glücklich vollbracht, und der Königssohn führte die schöne Jungfrau auf dem goldenen Pferde fort. Der Fuchs blieb nicht zurück und sprach zu dem Jüngling ‚jetzt will ich dir auch zu dem goldenen Vogel verhelfen. Wenn du nahe bei dem Schlosse bist, wo sich der Vogel befindet, so laß die Jungfrau absitzen, und ich will sie in meine Obhut nehmen. Dann reit mit dem goldenen Pferd in den Schloßhof: bei dem Anblick wird große Freude sein, und sie werden dir den goldenen Vogel herausbringen. Wie du den Käfig in der Hand hast, so jage zu uns zurück und hole dir die Jungfrau wieder ab.‘ Als der Anschlag geglückt war und der Königssohn mit seinen Schätzen heim reiten wollte, so sagte der Fuchs ’nun sollst du mich für meinen Beistand belohnen.‘ ‚Was verlangst du dafür?‘ fragte der Jüngling.‘ ‚Wenn wir dort in den Wald kommen, so schieß mich todt und hau mir Kopf und Pfoten ab.‘ ‚Das wäre eine schöne Dankbarkeit,‘ sagte der Königssohn, ‚das kann ich dir unmöglich gewähren.‘ Sprach der Fuchs ‚wenn du es nicht thun willst, so muß ich dich verlassen; ehe ich aber fortgehe, will ich dir noch einen guten Rath geben. Vor zwei Stücken hüte dich, kauf kein Galgenfleisch und setze dich an keinen Brunnenrand.‘ Damit lief er in den Wald.
Der Jüngling dachte ‚das ist ein wunderliches Thier, das seltsame Grillen hat. Wer wird Galgenfleisch kaufen! und die Lust mich an einen Brunnenrand zu setzen ist mir noch niemals gekommen.‘ Er ritt mit der schönen Jungfrau weiter, und sein Weg führte ihn wieder durch das Dorf, in welchem seine beiden Brüder geblieben waren. Da war großer Auflauf und Lärmen, und als er fragte was da vor wäre, hieß es, es sollten zwei Leute aufgehängt werden. Als er näher hinzu kam, sah er daß es seine Brüder waren, die allerhand schlimme Streiche verübt und all ihr Gut verthan hatten. Er fragte, ob sie nicht könnten frei gemacht werden. ‚Wenn ihr für sie bezahlen wollt,‘ antworteten die Leute, ‚aber was wollt ihr an die schlechten Menschen euer Geld hängen und sie loskaufen.‘ Er besann sich aber nicht, zahlte für sie, und als sie frei gegeben waren, so setzten sie die Reise gemeinschaftlich fort.
Sie kamen in den Wald, wo ihnen der Fuchs zuerst begegnet war, und da es darin kühl und lieblich war, und die Sonne heiß brannte, so sagten die beiden Brüder ‚laßt uns hier an dem Brunnen ein wenig ausruhen, essen und trinken.‘ Er willigte ein, und während des Gesprächs vergaß er sich, setzte sich an den Brunnenrand und versah sich nichts arges. Aber die beiden Brüder warfen ihn rückwärts in den Brunnen, nahmen die Jungfrau, das Pferd und den Vogel, und zogen heim zu ihrem Vater. ‚Da bringen wir nicht bloß den goldenen Vogel,‘ sagten sie, ‚wir haben auch das goldene Pferd und die Jungfrau von dem goldenen Schlosse erbeutet.‘ Da war große Freude, aber das Pferd das fraß nicht, der Vogel der pfiff nicht, und die Jungfrau die saß und weinte.
Der jüngste Bruder war aber nicht umgekommen. Der Brunnen war zum Glück trocken, und er fiel auf weiches Moos ohne Schaden zu nehmen, konnte aber nicht wieder heraus. Auch in dieser Noth verließ ihn der treue Fuchs nicht, kam zu ihm herabgesprungen und schalt ihn daß er seinen Rath vergessen hätte. ‚Ich kanns aber doch nicht lassen,‘ sagte er, ‚ich will dir wieder an das Tageslicht helfen.‘ Er sagte ihm er sollte seinen Schwanz anpacken und sich fest daran halten, und zog ihn dann in die Höhe. ‚Noch bist du nicht aus aller Gefahr,‘ sagte der Fuchs, ‚deine Brüder waren deines Todes nicht gewis und haben den Wald mit Wächtern umstellt, die sollen dich tödten, wenn du dich sehen ließest.‘ Da saß ein armer Mann am Weg, mit dem vertauschte der Jüngling die Kleider und gelangte auf diese Weise an des Königs Hof. Niemand erkannte ihn, aber der Vogel fieng an zu pfeifen, das Pferd fieng an zu fressen, und die schöne Jungfrau hörte Weinens auf. Der König fragte verwundert ‚was hat das zu bedeuten?‘ Da sprach die Jungfrau ‚ich weiß es nicht, aber ich war so traurig und nun bin ich so fröhlich. Es ist mir, als wäre mein rechter Bräutigam gekommen.‘ Sie erzählte ihm alles, was geschehen war, obgleich die andern Brüder ihr den Tod angedroht hatten, wenn sie etwas verrathen würde. Der König hieß alle Leute vor sich bringen, die in seinem Schloß waren, da kam auch der Jüngling als ein armer Mann in seinen Lumpenkleidern, aber die Jungfrau erkannte ihn gleich und fiel ihm um den Hals. Die gottlosen Brüder wurden ergriffen und hingerichtet, er aber ward mit der schönen Jungfrau vermählt und zum Erben des Königs bestimmt.
Aber wie ist es dem armen Fuchs ergangen? Lange danach gieng der Königssohn einmal wieder in den Wald, da begegnete ihm der Fuchs und sagte ‚du hast nun alles, was du dir wünschen kannst, aber mit meinem Unglück will es kein Ende nehmen, und es steht doch in deiner Macht mich zu erlösen,‘ und abermals bat er flehentlich er möchte ihn todtschießen und ihm Kopf und Pfoten abhauen. Also that ers, und kaum war es geschehen, so verwandelte sich der Fuchs in einen Menschen, und war niemand anders als der Bruder der schönen Königstochter, der endlich von dem Zauber, der auf ihm lag, erlöst war. Und nun fehlte nichts mehr zu ihrem Glück so lange sie lebten.

Jacob Grimm 1785 – 1863 u. Wilhelm Grimm 1786 – 1859

Nimm Teil am Widerstand – Verliebe Dich! (Gudrun Ennslin)

Von Gudrun Ennslin
Gewidmet Andreas Bader

Sich zu verlieben ist ein Akt der Revolte – ein Akt des Widerstands gegen eine langweilige, in sozialer und kultureller Hinsicht repressive und für die Menschen immer bedeutungsloser werdenden Gesellschaft. Liebe verändert das Gesicht der Welt. Empfanden die Liebenden vorher Langeweile, erfüllt sie nun Leidenschaft. Haben die Liebenden vorher nur auf sich selbst bezogen gelebt, so bemerken sie auf einmal ihre wahre Stärke darin, sich nicht mehr nur auf sich selbst, sondern auch aufeinander zu beziehen. Die Welt, die einst so leer, sinnlos und zerstörerisch erschien bekommt jetzt Bedeutung und bietet Risiken, Belohnungen, Schätze und Gefahren. Für die Liebenden ist das Leben nun ein Geschenk, die Belohnung für das größte aller Abenteuer. Jeder Moment wird unvergeßlich und so unglaublich wunderbar, daß sie nur noch staunen können. Die Verliebten, die sich zuvor orientierungslos, entfremdet und verwirrt fühlten, werden auf einmal genau wissen was sie wollen. Ihr Dasein wird auf einmal einen Sinn bekommen. Es wird mit einem Mal wertvoll, ja sogar glorreich und herausragend für sie werden. Brennende Leidenschaft ist das Gegenmittel für die schlimmsten Fälle von Verzweiflung und resignierendem Gehorsam.

Liebe macht es für die Einzelnen möglich sich miteinander auf eine bedeutungsvolle Art und Weise zu verbinden. Sie führt dazu, daß sie es riskieren, ihre Schneckenhäuser zu verlassen, gemeinsam ein aufrichtiges und spontanes Leben zu führen und sich so grundlegend kennenzulernen. So reißt die Liebe die Liebenden aus den Routinen des Alltags heraus und läßt sie aus der Masse der Anderen um sie herum herausscheinen. Die Liebenden werden sich fühlen, als ob sie in einer völlig anderen Welt lebten.
Daher ist Liebe auch subversiv. Sie stellt nämlich einen Angriff auf die herrschende Ordnung unseres modernen Lebens dar. Die langweiligen Rituale des Arbeitslebens, die Verwertung und die Moral, bedeuten nichts für Mensch, die sich verliebt hat, denn es gibt größere und mächtigere Kräfte die sie nun vorwärts treiben als nur die Disziplinierung und der Gehorsam gegenüber den Gesetzen, der Moral und den Traditionen. Marketingstrategien, die auf die Unsicherheit und Apathie der Menschen abzielen, um Produkte verkaufen zu können, haben keinen Einfluß mehr auf die Liebenden. Unterhaltung zum passiven Konsum, die auf die Leere und den Zynismus der ZuschauerInnen ausgelegt ist, wird sie nicht mehr interessieren.
Es gibt keinen Platz für die romantischen, leidenschaftlichen Liebenden in dieser Welt, weder in der Arbeitszeit noch in der Freizeit. Sie werden erkennen, daß es sich mehr lohnt gemeinsam durch die Welt zu reisen oder einfach nur im Park zu sitzen und die Wolken zu zählen als alleine für die Mathematik-Prüfung zu lernen oder Immobilien zu verkaufen. Und wenn sie es merken, werden sie auch den Mut haben diesen Weg zu gehen, anstatt von ihrem unbefriedigtem Verlangen gequält zu sein. Sie wissen, daß in den Friedhof einzubrechen und unter den Sternen Liebe zu machen eine unvergeßlichere Nacht sein wird, als eine Nacht vor der Glotze. So übt die Liebe einen Angriff auf unsere konsumorientierte Wirtschaft aus, die auf dem Verbrauch von (hauptsächlich nutzlosen) Dingen und der Arbeit beruht, die dieser Konsum erforderlich macht, um sich selbst aufrechtzuerhalten.
Gleichzeitig stellt die Liebe einen Angriff auf unser politisches System dar. Es ist schwer einen Mann, der genug an persönlichen Beziehungen hat für die er lebt, davon zu überzeugen für so etwas abstraktes wie einen Staat zu kämpfen und zu sterben. Es wird sogar schwer sein, ihn davon zu überzeugen Steuern zu zahlen. Die Liebe stellt einen Angriff auf Kulturen jeglicher Art dar. Wenn Menschen Weisheit und Mut durch wahre Liebe erhalten, dann halten Traditionen und Zwänge sie nicht zurück, wenn sie bedeutungslos für die Gefühle sind, die sie leiten. Die Liebe stellt sogar einen Angriff auf die Gesellschaft als solche dar.
Leidenschaftliche Liebe wird von der Bourgeoisie ignoriert und gefürchtet, weil sie eine große Gefahr darstellt für die Stabilität und den Anspruch den sie begehren. Liebe erlaubt keine Lügen und Falschheiten, ja nicht einmal höfliche Halbwahrheiten. Sie legt alle Emotionen frei und enthüllt unsere tiefsten Geheimnisse. Du kannst deine Gefühle und deine Sexualität nicht verleugnen. Bestimmte Situationen oder Ideen werden dich erregen und andere werden Dich abstoßen, ganz gleich ob dir das gefällt oder nicht, ganz gleich ob es moralisch ist oder nicht, ob es sich so gehört oder nicht. Man kann nicht zugleich LiebendEr und durch und durch verantwortungsvolles und respektiertes Mitglied dieser Gesellschaft sein. Denn die Liebe wird dich Dinge tun lassen, die verantwortungslos und unmoralisch sind. Wahre Liebe schert sich einen Dreck um Verantwortung. Sie ist unerschütterlich, rebellisch, verächtlich gegenüber der Feigheit, gefährlich für die Liebenden und alle um sie herum, weil sie nur einem Herrn dient: Der Leidenschaft die das menschliche Herz schneller schlagen läßt. Sie verachtet alles andere, sei es Selbsterhaltung, Gehorsam oder Scham. Liebe macht aus Menschen HeldInnen und Anti-HeldInnen. Die Liebenden sprechen eine andere moralische und emotionale Sprache als es der bürgerliche Mensch tut. Die typischen BürgerInnen besitzen kein überwältigendes flammendes Verlangen. Leider ist alles was sie kennen die stille Verzweiflung. Verzweiflung, die das Resultat eines Lebens ist, in dem sie den Zielen nachjagen, die ihnen von ihrer Familie, ihren ErzieherInnen, ihren ArbeitgeberInnen, ihrer Nation und ihrer Kultur vorgegeben werden. Ohne jemals fähig zu sein darüber nachzudenken, was sie allein wollen und brauchen. Ohne das brennende Verlangen in ihnen, haben sie keine Voraussetzungen dafür, um zu entscheiden was richtig oder falsch für sie ist. Also sind sie gezwungen sich ständig irgendeinem Dogma oder einer Doktrin zu unterwerfen, um durch das Leben zu kommen. Es gibt eine große Auswahl an Moralvorstellungen auf dem Markt der Meinungen. Aber für welche sie sich auch immer entscheiden, sie ist unwesentlich solange sie sich dieser Moral unterstellen, weil sie nicht wissen, was sie sonst mit ihrem Leben anfangen soll. Wie viele Menschen gibt es, die niemals bemerkt haben, daß sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können? Menschen die wie in einem Nebel durchs Leben wandern, nach dem Takt der Gesetze und Normen, die Ihnen beigebracht und gelehrt wurden, einzig und allein aus dem Grund, weil sie keine Ahnung haben, was sie sonst tun könnten. Im Gegensatz dazu brauchen die Liebenden kein vorgefertigtes Regelwerk, das sie durch ihr Leben führt. Ihre Lüste entscheiden was richtig und was falsch ist und ihr Herz führt sie durch ihr Leben. Sie sehen Schönheit und einen Sinn in der Welt, weil ihre Lüste die Welt in diesen Farben malen. Sie brauchen keine Dogmen, Moralvorstellungen, Befehle oder Anordnungen, denn sie wissen selbst was sie tun müssen ohne irgendeine Anleitung.
In diesem Sinne greift die Liebe tatsächlich auch unsere Gesellschaftsform an. Was wäre, wenn alle für sich entscheiden würden, was richtig und falsch für sie wäre, ohne Hinblick auf die konventionelle Moral? Was wäre, wenn alle machen, was sie wollen und sich voller Mut auch den Konsequenzen stellen, die daraus folgen? Was wäre, wenn alle die lieblose und leblose Monotonie des Alltags mehr fürchten würde als irgendwelche Risiken, mehr als den Hunger und die Kälte? Was wäre, wenn alle ihr Verantwortungsbewußtsein und ihren sog. „gesunden“ Menschenverstand einmal ablegen würden und den Mut hätten nach ihren wildesten Träumen zu greifen, nach den größten Schätzen der Welt und jeden Tag wie ihren letzten leben würden. Was für ein Ort wäre die Erde dann! Auf jeden Fall wäre sie anders als im Moment. Und wir sollten uns auch nichts vormachen. Die größte Angst der bürgerlichen Menschen ist die Angst vor der Veränderung.

[…]

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DAS GLÜCK IN DER SKLAVEREI – Ein Aufstand auf Barbados


„Ein seltsamer Aufstand forderte im Lauf des Jahres 1838 auf der friedlichen Insel Barbados blutige Opfer. Etwa zweihundert Schwarze, Männer und Frauen, sämtlich durch die März-Erlasse in Freiheit gesetzt, suchten eines Morgens ihren früheren Herrn auf, einen gewissen Glenelg, und baten ihn, sie wieder als Sklaven anzunehmen. Eine Klageschrift, verfaßt von einem Anabaptisten-Pastor, wurde vorgelegt und verlesen. Dann begann die Diskussion. Aber Glenelg wollte sich, aus Zaghaftigkeit, Unsicherheit oder einfach aus Furcht vor dem Gesetz, nicht überzeugen lassen. Worauf die Schwarzen ihm zunächst gütlich zusetzten, ihn dann mit seiner ganzen Familie massakrierten, und noch am gleichen Abend wieder in ihre Hütten zogen, ihre Palaver und gewohnten Arbeiten und Riten wieder aufnahmen. Die ganze Sache konnte durch das Eingreifen des Gouverneurs MacGregor schnell unterdrückt werden, und die Befreiung nahm ihren Fortgang. Die Klageschrift übrigens wurde nie aufgefunden.

Ich denke manchmal an diese Schrift. Wahrscheinlich enthielt sie, neben berechtigten Einwänden gegen die Organisation der Arbeitshäuser (workhouses), die Ablösung der Prügelstrafe durch die Gefängnisstrafe, und das Krankheitsverbot für „Lehrlinge“ – so nannte man die neuen, freien Arbeiter – zumindest in Umrissen eine Rechtfertigung der Sklaverei. Zum Beispiel die Bemerkung, daß wir nur für die Freiheiten empfänglich sind, die andere Menschen in eine entsprechende Knechtschaft werfen. Es gibt niemanden, der sich nicht freuen würde, frei zu atmen. Doch wenn ich mir zum Beispiel die Freiheit nehme, bis zwei Uhr morgens lustig Banjo zu spielen, so verliert mein Nachbar die Freiheit, mich nicht bis zwei Uhr morgens Banjo spielen zu hören. Wenn ich es fertigbringe, nichts zu tun, so muß mein Nachbar für zwei arbeiten. Zudem ist bekannt, daß totaler Freiheitsdrang unweigerlich schon bald nicht minder totale Konflikte und Kriege nach sich zieht. Dazu kommt noch, daß, kraft der Dialektik, der Sklave sowieso einmal zum Herrn wird, es wäre falsch, diese naturgesetzliche Entwicklung forcieren zu wollen. Ferner: sich ganz dem Willen eines anderen ergeben (wie dies Liebende und Mystiker tun), ermangelt nicht der Größe und schafft seine eigenen Freuden, so die Freude, sich – endlich! – befreit zu wissen von den eigenen Neigungen, Interessen und Komplexen. Kurz, diese kleine Schrift würde heute, mehr noch als vor hundert Jahren, als Häresie gelten: als gefährliches Buch.
Hier handelt es sich um eine andere Art von gefährlichem Buch, genau gesagt, um ein Erotikum.“

Anne Desclos, Vorwort zu „Geschichte der O“.

Körperverletzung durch Menschen 2.Mose 21,20-21

18 Wenn Männer in Streit geraten und einer den andern mit einem Stein oder einer Hacke verletzt, sodass er zwar nicht stirbt, aber bettlägerig wird,
19 später wieder aufstehen und mit Krücken draußen umhergehen kann, so ist der freizusprechen, der geschlagen hat; nur für die Arbeitsunfähigkeit des Geschädigten muss er Ersatz leisten und er muss für die Heilung aufkommen.
20 Wenn einer seinen Sklaven oder seine Sklavin mit dem Stock so schlägt, dass er unter seiner Hand stirbt, dann muss der Sklave gerächt werden.
21 Wenn er noch einen oder zwei Tage am Leben bleibt, dann soll den Täter keine Rache treffen; es geht ja um sein eigenes Geld.
22 Wenn Männer miteinander raufen und dabei eine schwangere Frau treffen, sodass sie eine Fehlgeburt hat, ohne dass ein weiterer Schaden entsteht, dann soll der Täter eine Buße zahlen, die ihm der Ehemann der Frau auferlegt; er kann die Zahlung nach dem Urteil von Schiedsrichtern leisten.
23 Ist weiterer Schaden entstanden, dann musst du geben: Leben für Leben,
24 Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß,
25 Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme.
26 Wenn einer seinem Sklaven oder seiner Sklavin ein Auge ausschlägt, soll er ihn für das ausgeschlagene Auge freilassen.
27 Wenn er seinem Sklaven oder seiner Sklavin einen Zahn ausschlägt, soll er ihn für den ausgeschlagenen Zahn freilassen.

 

Die Macht der Verletzlichkeit (Brenee Brown)

Der folgende Artikel ist ein Transkript eines Vortrags, den Brene Brown auf TED veroeffentlichte. Das Original – Video ist hier zu sehen. Brene Brown – The Power Of Vulnerability

Ich möchte mit dieser Geschichte beginnen: Vor ein paar Jahren rief mich eine Eventmanagerin an, kurz bevor ich einen Vortrag halten sollte. Sie rief mich also an und sagte: “Ich habe echt Schwierigkeiten, wie ich über Sie auf dem kleinen Flyer schreiben soll.” Und ich dachte: “Okay – was ist das Problem?” Sie sagte: “Na ja, ich habe einen Ihrer Vorträge gehört und denke, ich sollte Sie als Forscherin bezeichnen, aber ich fürchte, wenn ich Sie so nenne, dann wird niemand kommen. Sie werden denken, dass Sie langweilig und belanglos sind.” Okay. Und dann sagte sie: “Aber was ich an Ihrem Vortrag mochte, sind die Geschichten, die Sie erzählen. Also dachte ich, ich nenne Sie einfach eine Geschichtenerzählerin.”

Sofort dachte sich der akademische, unsichere Teil in mir so ungefähr: “Sie wollen mich als was bezeichnen???” Sie sagte: “Ich werde Sie eine Geschichtenerzählerin nennen.” Und ich dachte nur: “Warum nicht gleich Zauberfee?” (Gelächter) Ich meinte: “Geben Sie mir einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken.” Ich habe all meinen Mut zusammen genommen und dachte: Ich bin tatsaechlich eine Geschichtenerzählerin. Ich bin eine qualitative Sozialforscherin. Ich sammle Geschichten; das ist, was ich tue. Und vielleicht sind Geschichten ja einfach Daten mit Seele. Und vielleicht bin ich ja eine Geschichtenerzählerin. Also sagte ich: “Wissen Sie was? Nennen Sie mich doch einfach eine forschende Geschichtenerzählerin.” Und Sie antwortete: “Haha. Sowas gibt’s doch gar nicht.” (Gelächter) Also bin ich eine forschende Geschichtenerzählerin und ich möchte Ihnen einige Geschichten über meine Forschung erzählen, die meine persönliche Wahrnehmung fundamental erweitert und die Art, wie ich lebe und liebe und arbeite und erziehe wirklich verändert hat.

Und damit beginnt meine Geschichte. Als ich eine junge Forscherin war, Doktorandin, hatte ich in meinem ersten Jahr einen Professor, der zu uns sagte: “Die Sache ist die: “Wenn es nicht messbar ist, dann existiert es nicht.” Und ich dachte, es waere nur Geschwaetz. Ich meinte: “Wirklich?” Und er: “Absolut”. Was Sie dabei wissen müssen: Ich habe einen Bachelor in Sozialarbeit, einen Master in Sozialarbeit und war gerade dabei, meinen Doktor in Sozialarbeit zu machen. Meine gesamte akademische Laufbahn verbachte ich mit Leuten die der Überzeugung waren, dass das Leben ein Durcheinander ist und ich dachte: Aha – Leben ist Chaos, also räum es auf, organisiere es und pack es in eine Box. (Gelächter) Und so meinte ich, meinen Weg gefunden zu haben, einen guten Berufsweg eingeschlagen zu haben. Eine der berühmten Redewendungen im Bereich Sozialarbeit ist: Taste dich in das Unbehagen der Arbeit und ich dachte mir: Nieder mit dem Unbehagen, pack es an und hol überall Einser, das war mein Mantra. Also war ich sehr gespannt darauf. Ich dachte, weißt du was, das ist die Karriere für mich weil ich an den vertrackten Problemen interessiert bin, ich will in der Lage sein, sie zu entschlüsseln. Ich will sie verstehen. Ich will diese Dinge oeffnen, von denen ich weiß, dass sie wichtig sind und will den Schlüssel klar sichtbar machen.

Ich begann bei den Beziehungen. Wenn man seit 10 Jahren Sozialarbeit macht hat man realisiert dass Beziehungen unsere Existenzgrundlage sind. Das ist es, was unserem Leben einen Zweck und Bedeutung verleiht, darum geht es letztendlich. Es spielt gar keine Rolle, ob man mit Leuten spricht die im Bereich Sozialrecht oder seelische Gesundheit, Missbrauch oder Verwahrlosung arbeiten, was wir wissen ist, dass Beziehungen, die Fähigkeit, sich verbunden zu fühlen, — neurobiologisch sind wir auf diese Weise verdrahtet — der Grund sind, warum wir heute hier sind. Also dachte ich mir, ich beginne mit Beziehungen.

Kennen Sie die Situation, wenn sie eine Bewertung von Ihrem Chef bekommen, und sie sagt Ihnen 37 Dinge die sie richtig toll machen, und dann noch eine extra Sache …. und das sei eine Chance für ihre Weiterentwicklung? Alles woran Sie denken können ist diese Chance für Weiterentwicklung, nicht wahr? Nun ja, das bewahrheitete sich schnell in meinem neuen Forschungsprojekt, denn wenn ich Leute nach Liebe fragte, dann erzählten sie mir von Herzschmerz, wenn ich Leute nach Zugehörigkeit fragte, dann sprachen sie von ihren schmerzlichsten Erfahrungen mit dem Gefuehl, ausgeschlossen zu sein und wenn ich Leute nach Beziehungen fragte handelten die Geschichten, die sie mir erzählten, von Trennung.

Ziemlich bald — wirklich schon nach ungefähr sechs Wochen Recherche — traf ich auf eine unbenannte Sache, die Beziehungen gänzlich durchdrang, auf eine Art und Weise, die ich nicht verstand oder nie zuvor gesehen hatte. Ich zog mich aus der Recherche zurück und meinte, ich müsse erst herausfinden worum es sich hier handelt. Es stellte sich heraus, dass es Scham war. Scham ist der Ausdruck von Angst vor Verlassenheit, Trennung, Einsamkeit. Scham fragt: Gibt es irgendwas an mir, das, falls andere Leute davon wissen oder es sehen, dazu fuehrt dass ich unwürdig bin ? Was ich Ihnen heute dazu sagen kann ist : Scham ist universal; wir alle haben sie. Die einzigen Menschen, die Scham nicht kennen haben selbst keine Kapazität für zwischenmenschliche Empathie oder Beziehungen. Niemand möchte darüber reden aber je weniger man darüber redet, umso mehr hat man davon. Was diese Scham untermauert, ist die Ueberzeugung “Ich bin nicht gut genug,” Wir alle kennen das: “Ich bin nicht klar genug. Ich bin nicht dünn genug, nicht reicht genug, nicht schön genug, nicht schlau genug, habe nicht genug Karriere gemacht.” Die Quelle dieser Gedanken ist die Angst vor Verletzlichkeit und das Wissen dass wir uns erlauben müssen, gesehen zu werden – wirklich gesehen – wie wir sind um Verbundenheit zu spueren und Beziehungen zu haben, die uns tragen.

Wissen Sie wie ich mich in Bezug auf Verletzlichkeit fühle ? Ich hasse Verletzlichkeit ! Also dachte ich, das sei meine Chance, mit meiner Messlatte zurückzuschlagen. Ich mach’s, ich werde dieses Zeug ausknobeln, ich werde darauf ein Jahr verwenden, ich werde Scham total dekonstruieren, ich werde herausfinden wie Verletzlichkeit funktioniert und ich werde sie überlisten. Ich war bereit und ich war wirklich enthusiastisch. Sie wissen bereits, es wird nicht gut ausgehen. (Gelächter) Sie wissen das. Ich könnte Ihnen viel theoretisches über Scham erzählen doch ich würde Sie alle damit langweilen. Ich sage Ihnen wie es weiterging — wie es kam dass ich die wichtigesten Dinge herausfand die ich jemals gelernt habe während des Jahrzehnts in dem ich diese Forschung betrieb. Aus meinem einen Jahr wurden sechs Jahre, tausende Geschichten, hunderte lange Interviews, Fokusgruppen. Zeitweise schickten mir Leute Seiten aus Tagebüchern und sie schickten mir ihre Geschichten — tausende Daten in sechs Jahren. Und ich dachte zuerst ich haette sozusagen den Dreh raus.

Ich verstand einigermaßen – das hier ist Scham, so funktioniert sie. Ich schrieb ein Buch, ich veröffentlichte eine Theorie, aber irgendwas war nicht in Ordnung. Es liess mir keine Ruhe. Ich dachte ich würde die von mir interviewten Leute nehmen und sie unterteilen in die Leute die wirklich ein Gefühl von Würde und Wert haben — darauf kommt es letztendlich an, ein Gefühl von Würdigkeit, ein starkes Gefühl der Liebe und Zugehörigkeit – und die Menschen, die sich immer fragen, ob sie gut genug sind.

Es gab nur eine Variable die jene Leute unterschied: Die Leute, die ein starkes Gefühl der Liebe und Zugehörigkeit haben, glauben, dass sie der Liebe und Zugehörigkeit würdig sind. Das ist alles. Sie glauben daran, dass sie würdig sind.

Ich sah deutlich, dass unsere Angst, dass wir nicht würdig sind alle unsere Beziehungen behindert – auch und gerade die Beziehung zu uns selbst. Was ich also machte, war, all die Interviews zu nehmen wo ich Menschen sah, die glauben, wuerdig zu sein und ich betrachtete nur diese.
Was haben diese Menschen gemeinsam? Ich hatte einen Ordner und einen Stift und dachte mir – wie werde ich diese Forschungsarbeit nennen? Und die ersten Worte, die mir in den Sinn kamen, waren ‘ Von ganzem Herzen’. Das sind Menschen ‘von ganzem Herzen’, sie leben aus einem tiefen Gefühl der Würdigkeit. Also beschriftete ich die Ordner und begann damit, die Daten zu betrachten. Eigentlich tat ich das zuerst, in einer vier Tage langen sehr intensiven Datenanalyse, in der ich zurückschaute, und jene Interviews, jene Geschichten und jene Begebenheiten herausfischte. Was ist das Thema? Was ist das Muster? Mein Ehemann verließ die Stadt mit den Kindern, da ich mich ja immer in diesen Wahn wie Jackson Pollock reinsteigere indem ich einfach nur schreibe und in meinem Forschungsmodus bin.

Hier ist, was ich herausfand: Was sie gemeinsam hatten war Mut – und ich möchte Mut und Tapferkeit kurz für Sie unterscheiden. Ich spreche von Mut im Sinne von Courage. Der Begriff Courage entstammt dem lateinischen Wort “cor”, dessen Bedeutung ist “Herz” — und die ursprüngliche Bedeutung war, die eigene Geschichte aus ganzem Herzen zu erzählen. Also hatten diese Leute schlichtweg den Mut unvollkommen zu sein. Sie hatten due Faehigkeit, sich selbst zu lieben und dann die Anderen, denn, wie sich herausstellt, können wir nicht Mitgefühl mit anderen Menschen haben, wenn wir uns selbst nicht liebevoll behandeln. Und dann hatten sie wertvolle mitmenschliche Beziehungen denn — das war der schwierige Teil — als Folge ihrer Authentizität waren sie gewillt die Vorstellung sie muessten etwas und jemand Bestimmtes sein loszulassen. Das muss man unbedingt tun wenn man Verbundenheit und Liebe fuehlen will.

Die andere Sache, die ihnen gemeinsam war: Sie nahmen Verletzlichkeit ganz bereitwillig an. Sie glaubten, dass das, was sie verletzlich macht, sie wunderschön und reich macht. Sie redeten weder über Verletzlichkeit als eine angenehme Angelegenheit, noch redeten sie darüber als eine qualvolle Angelegenheit — wie ich es zuvor in den Interviews zu Scham gehört hatte. Sie redeten lediglich über ihre Notwendigkeit. Sie redeten von der Bereitschaft, zuerst “Ich liebe dich” zu sagen, die Bereitschaft, etwas zu tun bei dem es keine Garantien gibt, die Bereitschaft durchzuatmen, wenn man nach seiner Mammograhpie auf den Anruf des Arztes wartet. Sie waren bereit in eine Beziehung zu investieren, die vielleicht gelingt oder nicht gelingt. Sie dachten alle, dies sei fundamental.

Ich persönlich dachte, es sei Verrat. Ich hatte der Forschung Treue geschworen — die Definition von Forschung ist, Phänomene zu kontrollieren, vorauszusagen und zu studieren um kontrollieren und voraussagen zu können. Und jetzt hatte meine Mission – zu kontrollieren und vorauszusagen – die Antwort hervorgebracht, dass die beste Art zu leben sei, mit Verletzlichkeit zu leben und aufzuhören mit Kontrollieren und Voraussagen. Das führte zu einem kleinen Zusammenbruch — (sie zeigt das Wort ‘Breakdown’ in weisser Schrift auf einem schwarzen Hindergrund) — der eigentlich eher so aussah. (Das Wort ‘Breakdown’ ist duchgestrichen und darunter steht ‘spirituelles Erwachen’)

Und so war es. Ich nannte es einen Zusammenbruch, meine Therapeutin nannte es ein spirituelles Erwachen. Ein spirituelles Erwachen klingt besser als ein Zusammenbruch, aber ich versichere Ihnen, es war ein Zusammenbruch. Und ich musste meine Daten beiseite legen und einen Therapeuten suchen. Sie wissen wer Sie sind, wenn Sie Ihre Freunde anrufen und sagen, “Ich glaube ich muss jemanden aufsuchen. Hast du irgendwelche Empfehlungen?” und ungefähr fünf Ihrer Freunde sagen, “Eijeijeij. Ich würde nicht dein Therapeut sein wollen.” Und ich fragte: “Was soll das heißen?” Und sie: “Weißt du, ich mein ja bloß. Nimm nicht deinen Messstab mit.” Und ich sagte: “Okay.”

Also fand ich eine Therapeutin. Zu meiner ersten Sitzung mit ihr brachte ich meine Akten über die Menschen die von ganzem Herzen leben mit und setzte mich. Sie sagte, “Wie geht es Ihnen?” Und ich antwortete “Mir geht’s super. Alles okay.” Sie sagte, “Was ist los?” Sie ist eine Therapeutin die mit Therapeuten spricht, man sollte zu solchen gehen weil ihre Toleranzgrenzen gegenüber Blödsinn und Jammern hoch sind. Also antwortete ich, “Die Sache ist, dass ich mit etwas zu kämpfen habe.” Und sie sagte, “Womit denn?” Und ich, “Nun ja, ich habe ein Problem mit Verletzlichkeit. Ich weiß, dass Verletzlichkeit die Quelle von Beschämung und Angst und unserem Kampf um Würdigkeit ist, aber es scheint, dass sie auch der Geburtsort von Freude, von Kreativität, von Zugehörigkeit und Liebe ist. Ich glaube, ich habe ein Problem und brauche Hilfe.” Ich sagte auch: “Aber die Sache ist folgende: kein Familienzeugs, keine Kindheitsscheiße.” (Gelächter) “Ich brauche einfach nur ein paar Strategien.” (Gelächter) (Applaus) Danke. Und sie macht so. (Sie nickt nachdenklich und laechelt) Dann sagte ich: “Es ist schlimm, oder?” Und sie antwortet: “Es ist weder gut noch schlecht. Es ist einfach, was es ist.” Und ich sagte: “Ach du liebe Güte, das kann ja heiter werden.”

Und das war es und war es nicht, es brauchte ungefähr ein Jahr. Es gibt Menschen, die, wenn sie realisieren, dass Verletzlichkeit und Zärtlichkeit wichtig sind, kapitulieren und sich damit abfinden. Erstens, das bin nicht ich, zweitens, mit solchen Leuten häng ich nicht mal zusammen ab. (Gelächter) Für mich war es ein 12 Monate währender Strassenkampf, ein Schlagabtausch. Verletzlichkeit schubste, ich schubste zurück. Ich verlor den Kampf, aber gewann wahrscheinlich mein Leben zurück.

Ich ging zurück zur Forschungsarbeit und verbrachte die nächsten paar Jahre damit wirklich zu versuchen zu verstehen, was die, die aus ganzem Herzen leben, für Entscheidungen treffen und was Verletzlichkeit bedeutet. Warum kämpfen wir so viel damit? Bin ich allein in meinem Kampf mit Verletzlichkeit? Nein.
Das ist was ich lernte: Wir betäuben Verletzlichkeit — zum Beispiel wenn wir auf den Anruf warten. Es war komisch, ich schickte auf Twitter und auf Facebook die Frage heraus: “Wie würdest du Verletzlichkeit definieren? Was gibt dir das Gefühl verletzlich zu sein?” Innerhalb von eineinhalb Stunden hatte ich 150 Antworten. Ich wollte wissen, was es dazu zu sagen gibt. Meinen Ehemann um Hilfe bitten zu müssen, weil ich krank bin und wir frisch verheiratet sind; Sex mit meinem Ehemann initiieren; Sex mit meiner Ehefrau initiieren; abgelehnt werden; jemanden einladen mit einem auszugehen; auf den Rückruf des Arztes warten; entlassen werden; Leute entlassen — das ist die Welt, in der wir leben. Wir leben in einer verletzlichen Welt. Und eine der Arten, wie wir damit umgehen, ist die Verletzlichkeit zu betäuben.

Und ich denke es gibt Beweise — es ist nicht die einzige Ursache aber ich denke es ist ein Hauptgrund dafür, dass wir die am hoechsten verschuldete, fettleibigste, süchtigste und medikamentierteste Schar von Erwachsenen in der Geschichte der Vereinten Staaten von Amerika sind. Das Problem ist — und das lernte ich von der Forschungsarbeit — dass man nicht selektiv Emotionen betäuben kann. Man kann nicht sagen, hier ist das schlechte Zeug, hier ist Verletzlichkeit, hier ist Trauer, hier ist Scham, hier ist Angst, hier ist Enttäuschung, ich will die nicht fühlen. Ich werde ein paar Bier und einen Bananen-Nuss-Muffin haben. (Gelächter) Ich will die nicht fühlen. Ich weiß, das ist wissendes Lachen. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt damit, Ihre Leben zu durchleuchten. Oh Gott. (Gelächter) Man kann diese schwierigen Gefühle nicht betäuben ohne die anderen Affekte zu betäuben, unsere Emotionen. Man kann nicht selektiv betäuben. Wenn wir also jene betäuben, dann betäuben wir Freude, betäuben wir Dankbarkeit, betäuben wir Glücklich-Sein. Dann fühlen wir uns elend, suchen nach Sinn und Bedeutung im Leben, fühlen uns verletzlich, nehmen ein paar Bier und einen Bananen-Nuss-Muffin. Daraus entsteht ein Teufelskreis.

Eines der Dinge ueber die wir nachdenken müssen ist – warum und wie wir betäuben. Es ist nicht nur Sucht. Wir versuchen auch, alles Ungewisse gewiss zu machen. Religion ist von einem Glauben an Sinn und Mysterium zu einer Gewissheit geworden. Ich habe recht, du hast nicht recht. Halt die Klappe. So ist das. Völlig gewiss. Je ängstlicher wir sind, desto verletzlicher sind wir, desto ängstlicher sind wir. So verhält es sich mit der Politik heutzutage. Es gibt keinen Diskurs mehr. Es gibt keine Gespräche mehr. Es gibt nur Schuld. Wissen Sie wie Schuld in der Forschung beschrieben wird? Eine Art und Weise, Schmerz und Unbehagen abzuladen ! Wir wollen perfektionieren. Wenn es jemanden gäbe, der sein Leben gerne perfekt sehen würde, dann wäre ich das, aber es funktioniert nicht. Denn was wir machen, ist Fett von unseren Hintern zu nehmen und es in unsere Wangen zu spritzen. (Gelächter) Auf das, hoffe ich, werden in hundert Jahren die Menschen zurückblicken und sagen: “Wow.”

Und wir perfektionieren, gefährlicherweise, auch unsere Kinder. Lassen Sie mich Ihnen sagen, was wir über Kinder denken. Wenn sie auf die Welt kommen, sind sie für Probleme vorprogrammiert. Wenn man diese perfekten, kleinen Babies in seiner Hand hält, dann ist unsere Aufgabe nicht zu sagen: “Sieh sie an, sie ist perfekt. Meine Aufgabe ist es, sie perfekt zu halten — sicherzugehen, dass sie es in der fünften Klasse ins Tennisteam schafft und in der siebten Klasse nach Yale.” Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es zu sehen und zu sagen: “Weißt du was? Du bist unvollkommen, und du wirst Probleme haben, aber du bist der Liebe und Zugehörigkeit würdig.” Das ist unsere Aufgabe. Zeigen Sie mir eine Generation von Kinder die so großgezogen wurden, und wir werden die Probleme, die wir heute sehen, beenden. Wir tun so, als hätte das, was wir tun, keine Auswirkungen auf andere Menschen. Das machen wir in unserem Privatleben. Das machen wir in Firmen — egal ob es ein Rettungspaket, eine Ölpest, ein Rückruf ist — wir tun so, als hätte das, was wir tun, keine Auswirkung auf andere Menschen. Ich sage allen – auch den Firmen und Politikern – wir wollen nichts Besonderes, nichts Perfektes. Wir verlangen einfach, dass ihr authentisch und ehrlich seid und sagt: “Es tut uns leid. Wir werden es wieder in Ordnung bringen.”

Doch das ist noch ein weiter Weg, und damit verabschiede ich mich von Ihnen. Das ist, was ich herausgefunden habe: Wir muessen zulassen, gesehen zu werden, tiefgehend gesehen, verletzlich gesehen und lieben mit unserem ganzen Herzen, auch wenn es keine Garantie gibt — und das ist wirklich schwer. Ich kann Ihnen als Elternteil sagen, es ist schmerzlich schwierig Dankbarkeit und Freude zu spueren in jenen Momenten des Terrors, in denen wir uns fragen: “Kann ich dich so viel lieben? Kann ich hieran inbrünstig glauben? Kann ich mich dafuer entscheiden ?” Fähig sein anzuhalten und, statt darüber zu katastrophisieren was passieren könnte, sagen: “Ich bin dankbar, mich verletzlich zu fühlen denn es bedeutet, dass ich lebe.”

Und hier ist das Allerwichtigste : Daran zu glauben, dass wir gut genug sind. Denn wenn wir wissen “Ich bin gut genug.” dann hören wir auf zu schreien und beginnen zuzuhören, sind liebevoller und freundlicher zu uns selbst und liebevoller und freundlicher zu den Menschen um uns herum. (Brene Brown’s Vortrag auf TED)

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Sehnsucht (Safi Nidiaye)

“Sehnsucht ist die Kraft, die uns zu unserer Bestimmung führt. Sie motiviert uns, zu handeln und uns zu entwickeln; sie schenkt uns Lebensmut und Freude und gibt uns die Energie, das Unmögliche möglich zu machen. Sehnsucht ist unser innerstes, ureigenstes Gefühl, die Stimme unserer Seele.

Sehnsucht ist schöpferisch. Sie trägt den Sehnenden unfehlbar zum Ersehnten. Doch damit sie das tun kann, muß man sie in sich leben lassen, muß sie in Herz und Bewußtsein lebendig halten, sie ehren und pflegen und ihr sein Leben widmen.

Den größten Fehler unseres Lebens begehen wir, wenn wir eine Sehnsucht begraben. Wir alle haben diesen Fehler gemacht, und nicht nur einmal. Die eine Sehnsucht haben wir begraben, weil uns die Stimme der Logik dazu riet („Es ist ja doch unmöglich“); eine andere, weil wir nach einer enttäuschenden Erfahrung eine entsprechende Schlußfolgerung gezogen haben (etwa „Für mich gibt es so etwas nicht“). Eine dritte liegt unter dem Wunsch nach Konformität mit Gesellschaft, Elternhaus, Religion oder spirituellem Ideal („Nach so etwas darf man sich nicht sehnen; es ist verboten“) begraben. Immer wenn wir eine Sehnsucht begraben, begehen wir ein Stück Selbstmord.” – Safi Nidiaye