In der Tiefe der Seele (Willigis Jäger)

Für Eckhart ist das Suchen nach Gott zwecklos. Der Wunsch, die Gottesgeburt zu erfahren, hindert den Menschen sogar daran, Gott näher zu kommen: “Je mehr man dich (Gott) sucht, um so weniger findet man dich. Du sollst ihn suchen so, dass du ihn nirgends findest. Suchst du ihn nicht, so findest du ihn“. Eckehart unterscheidet sich hier nicht von anderen Mystikern. So schreibt der Verfasser der “Wolke des Nichtwissens”, dass man seine Sehnsucht nach Gott vor Gott verbergen soll. Ähnliches sagt folgender Zentext: Joshu fragte: “Soll ich mich dem Weg zuwenden oder nicht?” Nansen sagte: „Wenn du dich ihm zuwendest, gehst du gegen ihn“. Joshu fragte: „Wenn ich mich dem Weg nicht zuwende, wie kann ich dann wissen, dass es der Weg ist?“ Nansen antwortete: „Der Weg gehört nicht zu Wissen oder Nicht- wissen.“ Eckehart fragt selber, ob der Mensch denn dann Gottes Willkür ausgeliefert ist. Nein, für Eckehart gibt es wie für jeden Zenmeister den Weg: „Suchst du ihn nicht, so findest du ihn“. Suchen liegt noch zu sehr auf der Ego-Ebene. Der Mensch will noch etwas. Das Ich ist noch zu sehr beteiligt. Nur wenn er vollkommen losgelassen hat, ist er bereit für die Gnade. Alles Üben ist ein Üben des Loslassens. Wird der Mensch wirklich gelassen und leer, muß Gott sich eingießen: “Es ist ein Augenblick: das Bereitsein und das Eingießen. Wenn die Natur ihr Höchstes erreicht, dann gibt Gott die Gnade; im gleichen Zeitpunkt, da der Geist bereit ist, geht Gott (in ihn) ein, ohne Verzug und ohne Zögern”. Bereitsein und Eingießen ereignen sich im gleichen Augenblick: „Deshalb muss Gott sich notwendig einem abgeschiedenen Herzen geben“. Wenn der Mensch sein Ich gelassen hat, erscheint das Göttliche in der Tiefe seiner Seele. Das Lassen oder, wie wir meistens sagen, das Loslassen hat nichts mit einem Willensakt zu tun. Willentlich können wir nicht lassen. Wir müssen gleichsam in uns selbst einkehren, bis auch unser Wille in der Abgeschiedenheit untergeht. Unser Wille muss uns auf den Weg setzen, uns motivieren, aber dann in der Gebetsübung untergehen.
Willigis Jäger in: Suche nach dem Sinn des Lebens. Bewusstseinswandel auf dem Weg nach innen. Via Nova-Verlag, Petersberg

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