Kapitel 2: Sprich nicht von Liebe – Liebe!

Liebe ist Deine Entscheidung im Prozess mit den geliebten Menschen in Deinem Leben, ganz Du selbst zu sein und aus offenem Herzen zu lieben und genau dafür geliebt zu werden.

Die allermeisten Menschen sehnen sich danach, geliebt zu werden. Angenommen, akzeptiert, respektiert zu werden dafür, wer sie sind – oder: was sie tun! Das ist allerdings ein zeitraubendes und vermutlich nutzloses Ansinnen. Es führt zu Schmerz und Leid. Und zwar zu vermeidbarem, unnötigem Leid. Es ist kein wirkungsvolle Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen. Sondern ineffektives Verharren, Starr-Bleiben und Festhalten an einem geglaubten Ich gegenüber der Welt. Es ist nicht gerade heroisch an einem Ich festzuhalten, dessen Wert sich aus Geschenken des Angenommenseins speist, solange man erwartet, dass diese Geschenke in reicher Fülle einem selbst zustehen würden, denke ich.

Ich vergleiche die dahinter leigende Haltung gerne mit einem Menschen, der ein Fernglas in seiner Hand hält und Ausschau danach hält, was es am Horizont seiner Welt zu sehen gibt. Eine enge Perspektive, die nah heran holt, was aussen und weit entfernt ist. Diese Orientierung nach aussen auf der Suche nach möglichen Schätzen, die es nur zu heben gilt, erschwert den Blick in den Spiegel ungemein. Das Fernglas ist dabei hinderlich, ist im Weg. Man kann sich nicht gut selbst sehen, wenn man nach aussen schaut. Sobald man das Fernglas mal zur Seite legt, kann man sich besser sehen. Der Spiegel zeigt, wer wir sind. Oder besser: Wie unser Spiegelbild aussieht! Das gespürte Empfinden bei der Betrachtung des eigenen Antlitz bahnt den Zugang zum Inneren. Eine gänzlich andere Perspektive – nach innen und nicht nach aussen! Der Spiegel ist ein Werkzeug der Innenschau. Wenn wir unsere geliebten Mitmenschen nicht durch das Fernglas verzerrender Projektionen oder schmeichelhafter betrachten, oder als schön redende „Wunderspiegel“ misbrauchen, können sie uns tatsächlich ein Geschenk überreichen: Uns so zu sehen, wie und wer wir sind durch ihren klaren, offenen und wirklichen Spiegel.

Das Sprechen – oder Singen – über die Liebe ist fast immer nutzlos. Es äussert im Besten Fall Unsagbares. Denn die Liebe stammt aus den Gebieten der Psyche, in denen keine Worte hallen. Weit mehr als ein Gefühl durchflutet es die Tiefen der See und macht uns lächeln oder weinen vor Rührung. Sentimental, romantisch, wild, unberechenbar und frei ist die Liebe – wenn man denn versuchen würde, dürre Worte angesichts dieser gewaltigen feurigen Kraft aus dem Inneren finden. Liebe ist wie das Hineingreifen in feuchte Erde voller Hingabe und Anteilnahme. Flüchtig wie der Wind in den höheren Regionen der Berge – über den Wipfeln der Baumgrenze. Das Sprechen über die Liebe ist – wie gesagt – weitgehend nutzlos und vermutlich Zeitverschwendung. Was aber keine Verschwendung kostbarer Lebenszeit ist, ist es zu lieben. Dazu bedarf es beim Mann der sanften offenen Empfänglichkeit des Herzens und der festentschlossenen Kraft seiner Lenden um Leben zu spenden. Bei der Frau bedarf es eines sich vor Liebe überfliessenden Herzens und der Empfänglichkeit ihres Schosses, um aufzunehmen, woraus nur die Frau Leben schöpfen kann wie aus einer unergründlich tiefen See. Ob ein Mensch nun gerade ein Mann oder eine Frau ist: das allerdings ist keine Frage der Geschlechtsorgane oder des Aussehens. Es ist eine Antwort des Gestimmtseins in einer bestimmten Interaktion, einer bestimmten Situation in einem bestimmten Kontext. Die Bestimmung nährt sich dabei aus der Mitte des Menschen – aus seinem Wesen. Wenn der Sitz des Austauschs zwischen dem archetypischen Mann und der archetypischen Frau die Herzen und Unterleibe beider sind, ist der Sitz des Wesens des Menschen in allen Mythen und Überlieferungen immer das Tanden, das Hara, der Nabel (oder ein wenig darunter!).

Wer also lieben möchte, wer sich dazu entscheidet, ein Liebender zu sein, hat zunächst sein Hara zu festigen. Oder übertragen: Er hat Achtung und Liebe sich selbst gegenüber zu entwickeln. Er hat sich von Vater und Mutter selbst abzunabeln und seinen Nabel heilen zu lassen. Es handelt sich um eine leiblich-psychsiche Neugeburt des Menschen zum Wesen hin. Aus dieser „Erdmitte des Menschen“ (Dürckheim) kann der Mensch fest, sicher, entschlossen und frei sich zur Liebe entscheiden. Wohl gemerkt: Für mich ist die Liebe eine Entscheidung, ein schöpferischer Prozess der Selbst-Bestimmung. Damit werden neue Wege gegangen in ein Leben, dass der „Freude folgt“.

Hier nur so viel – oder wenig – über die Liebe und das lieben. Dürckheims „Hara – Die Erdmitte des Menschen“ und Campbells „Der Heros in tausend Gestalten“ können vertiefend dazu gelesen werden. Oder auch mal Sperrazzos „Wenn es verletzt, ist es keine Liebe“ oder Katies „Ich brauche deine Liebe – stimmt das?“. Es gibt einige gute Bücher, in denen über die Liebe gesprochen wird. Aber noch einmal an dieser Stelle: Es geht letztlich immer darum, zu lieben (eine entschiedene HANDLUNG), nicht darum, geliebt zu werden oder etwas über die Liebe zu wissen.

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