Leid kann durch Berührung entstehen und vergehen (Sparsha).

Der Sanskrit-Begriff sparsha heisst so viel wie Kontakt oder Berührung. Die Sinnesorgane werden dabei nach buddhistischer Vorstellung von Wahrnemungsobjekten „berührt“. Die Sinnesorgane modulieren daraus aktiv unsere Vorstellung davon, was wir als sinnlich erfahrene Realität bzw. Wirklichkeit begreifen. Im westlichen Denken werden kognitive Konstruktionsverfahren des Geistes ebenfalls philosophisch oder ethisch bspw. im (radikalen) Konstruktivismus behandelt.

Im Buddhismus besitzt der „erste Kontakt“ mit den Wahrnehmungsobjekten eine herausragende Stellung. Ohne diese Berührung würden die darauf folgenden Konstruktions- und Bewertungsprozesse gar nicht erst ablaufen. Diese differenzierenden Wahrnemungsleistungen schaffen erst Gut/Schlecht – Unterscheidungen. Und diese Differenzierungen führen (letztendlich) zu Leid.

Allerdings ist ohne Berührung auch keine Entwicklung möglich, keine Veränderung eines Wahrnehmenden denkbar. Daher wird folgerichtig eine „Erste Person Perspektive“ im Buddhismus strukturell zurückgewiesen. Stattdessen wird Persönlichkeit als dynamische sich im Augenblick jeweils neu konstituierende Seins-Wesenheit begriffen. Leid entsteht durch das Festhalten an einer (ebenso flüchtigen wie nicht-eigenexistenziellen) Konfiguration.

Die Berührung ist ein notwendiges Trainingsfeld, um die (automatisch) ablaufenden leiderzeugenden Nachfolgeprozesse zu transformieren. Daher wird ein engagierter Buddhist sich der Berührung nicht verschliessen. Er wird stattdessen lernen, sich weiter und weiter den Berührungen durch die (immer weniger als gesondert betrachteten) Wahrnemungsobjekte zu öffnen.

In dieser Hinwendung zum Leben (mit Leid, Schmerz, Freude und Wohlbefinden) unterscheidet sich der engagierte Buddhist ganz wesentlich von eher asketischen oder nihilistischen Positionen. In gewisser Weise ist es auch gar keine Position im geistigen Sinn eines möglichen Diskurses. Es ist eher eine Haltung wohlwollender Offenheit dafür, berührt zu werden (und zu berühren). Leid kann durch Berührung enstehen und vergehen.

Wenn wir uns darin üben, unsere Berührungen auf eine Weise zu gestalten, dass sie leidtransformierend wirken, beginnen wir uns (gegenseitig) zu heilen. Isolation schafft nicht weniger Leid, sie unterstreicht nur die (fehlerhafte) Interpretation von Beständigkeit des Schmerzes. Kein Schmerz währt ewig, keine Freude dauert für immer. Wenn wir das begreifen, empfinden und verstehen, entsteht tiefe Dankbarkeit für die Gelegenheit, berührt zu werden und zu berühren. Dort ist unser Feld, in dem wir experimentieren, in dem wir uns selbst erkennen im Anderen und umgekehrt. Und es eröffnet eine Perspektive des „Nicht-Ich“, also die eigene Person nicht mehr als Zentrum von Bewertungs- und Wahrnehmungsprozessen zu begreifen. An die Stelle der egozentrierten (und damit erst leidvollen) Existenz tritt nach und nach in einem Wachstumsprozess (wie die ersten Sprossen einer Pflanze die Muttererde durchstossen!) eine Schau gemeinsamen Lebens.

Echte Zugehörigkeit entsteht in einem immer weiteren Verblassen anhaftenden Denkens, besitzergreifenden Empfindens etc. Zugehörigkeit, die aufhört, die Ergänzung eigener Unzulänglichkeiten (wenn es die denn geben würde!) in einer anderen Person zu suchen (oder noch schlimmer: zu finden!). Diese Projektion eigener Unbefriedigtheit in die Ressourcen anderer Menschen vergiftet unsere Beziehungen untereinander. Sie untergräbt unser Selbstvertrauen, unseren Mut, unser Engagement für uns selbst ein zu treten.

Wann immer ein Mensch in mein Leben tritt, ist es meine vordringlichste Aufgabe die Berührungen dieses Menschen anzunehmen und meine Berührung anzubieten. Und zwar nicht als isolierte Akte sondern ganzheitlich mit meiner ganzen Persönlichkeitskonfiguration in diesem Augenblick. Das ist intensiv und begründet ein aktives Leben –> durch Interaktion, die „hautnah“ ist!

Kommentar verfassen