Liebe, das ist: der Kuss, der in sich Ewigkeit birgt.

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Wir lachen, wir sind traurig. Wir entwickeln Mut, wir spüren Angst. Alle Gefühle und Emotionen sind zeitweilig, sie kommen und sie gehen. Manchmal wollen wir sie gerne, manchmal nicht, manchmal ist es uns egal, manchmal langweilen sie uns. Weil sie auftauchen und verschwinden und nicht für immer bleiben, können wir sie weder festhalten noch aufhalten. Sie sind unbeständig, wir alle wissen das aus unserer eigenen Erfahrung. Kein Gefühl bleibt für immer.

Wir können Kindheiten erleben, die uns vergiftet werden, Trauamata noch und nöcher erleben, schlecht behandelt werden oder uns insuffizient fühlen – das alles ist traurig und macht keinen Spass. KeineR von uns ist daran schuld, wir brauchen uns nicht zu schämen, dass Gewalt uns ihre Stempel aufgedrückt hat auf unsere Haut und in unsere Psyche. Wir brauchen uns oder andere auch nicht zu entschuldigen. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir können es nicht rückgängig machen. Wir alle haben tiefe Verletzungen erlebt – die eine mehr, der andere weniger.

Eine Verunsicherung, eine tiefe Furcht davor, nicht zu genügen, nur „geliebt zu werden“ als Gegenleistung für irgend etwas Anderes hat unsere Fähigkeit, zu empfangen und zu nehmen ebenso vergiftet, wie unsere unbeschwerte Lust zu schenken und zu geben. Wir bedenken, was unser Handeln bedeuten könnte, wir wägen ab, ob und inwieweit wir unsere Sicherheit riskieren. Das Schöne – und das Fatale – ist: es gibt keine Sicherheit! Es hat sie nie gegeben. Genausowenig wie die Unsicherheit. Sie sind Folge dessen, was wir bedenken, wenn wir abwägen, hin- und herschwanken. Natürlich kennen wir die Gedanken, uns unsicher zu verstehen, ganz gut. Genau wie bei den Gefühlen, ist die Halbwertzeit von Gedanken verschwindend gering. Auch sie kommen und gehen.

Unser Körper ist geschlagen worden, als wir Kinder waren. Ich trage Narben meiner Jugend auf meinem Kopf, an meinen Beinen, meinen Füßen und meinen Armen. Diese Narben sind geblieben – der Schmerz ist vergangen! Meine Narben gemahnen mich immer wieder daran, dass ich Schmerzen gehabt habe. Dass mein Körper in Schmerz eingehüllt war – und manchmal immer noch schmerzt! Schmerz kann lange dauern oder wie ein Nadelstich einen einzigen Punkt am Körper betreffen. Er kann sich über ganze Unterarme hinziehen – aber er endet! Jeder Schmerz, den ich erlebt habe, endet. Vielleicht kommt eine Kopie von ihm wieder, aber es ist ein neues Phänomen. Unser Körper wandelt sich in jedem Moment. Er ist weder dauerhaft noch beständig – er ist ein grosser biochemischer Komplex mit feinsten Verästelungen ins Psychische und Geistige. Er ist untrennbar unser eigenes Werden. Sein und Vergehen.

Was ich gesehen habe, was ich gehört habe: Schreie in der Nacht, Schluchzen am Morgen, schreiende Menschen. Was ich gerochen habe und was ich gespürt habe: Schmerzende Glieder und Angstschweiss im Angesicht einer Übermacht von Gewalt. Ich habe den eisenhaltigen Geschmack von Blut in meinem Mund geschmeckt – mehr als einmal. Ich bin getaumelt unter Schlägen, die mich getroffen haben. Ich habe meine Besinnung verloren in Wäldern meiner Sehnsucht. Alle Wahrnehmungsinhalte – angereichert mit unseren Erfahrungen früherer Inhalte – sind nicht ewig: sie entstehen und vergehen.

Wir planen etwas, wir verfolgen Ziele und wollen sie erreichen. Und wir hören auch wieder damit auf, zu wollen. Manchmal ist es gut, manchmal ist es schlecht, manchmal egal und manchmal haben wir keine Ahnung, was da vorgeht. Wille entsteht – und vergeht. Einstellungen und Haltungen bauen sich langsam auf, verändern sich oder lösen sich auf. Was wir früher vertreten haben, lehnen wir jetzt vielleicht ab. Manchmal dauert es nur Sekunden, um unsere Meinung zu ändern. Wir klagen an oder  verteidigen, aber die Inhalte, um die es scheinbar geht, sind die Gleichen. Worauf wir uns einbilden, es „mache uns aus“ – unsere Persönlichkeit – ist ebensowenig festgefügt und felsgleich statisch. Wir hätten nie die Person werden können, die wir jetzt sind, wenn wir nicht anders gewesen wären. Wie wir uns nennen und uns bezeichnen, ändert sich. Unsere Identifikation mit irgendwelchen geistigen Konstrukten unterliegt einem Wechsel und Wandel. Was in unser Bewusstsein dringt, verschwindet auch wieder daraus. Ebenso mit Aufmerksamkeit und Achtsamkeit.

Unsere Gefühle und Emotionen, unsere Gedanken und unser Geist, unser Körper und unsere Seele, selbst unsere Wahrnehmungen, sie alle haben ein einziges Merkmal gemeinsam: Sie entstehen und vergehen, sie sind unbeständig. Was aber sind Phänomene, die unbeständig sind? Sie sind wirklich in einer Gegenwart und unwirklich in einer anderen Gegenwart. Unsere Haltungen und unser Wille unterliegen Wandlung und Wechsel – selbst unsere Persönlichkeit bleibt nicht, wie sie war – oder wie sie gerade ist.

Ich habe fünf Beispiele für Unbeständigkeit und Veränderung gegeben.

  • Körperlichkeitsgruppe (skt./p. rūpa)
  • Gefühlsgruppe (skt./p. vedanā)
  • Wahrnehmungsgruppe (skt. samjñā, p. saññā)
  • Geistesformationsgruppe (skt. samskāra, p. samkara auch: sankhāra)
  • Bewusstseinsgruppe (skt. vijñāna, p. viññāna)

Die Buddhisten nennen diese fünf Gruppen auch Skandhas, oder Daseinsgruppen. Sie sagen: „Alle fünf Skandhas sind von Anfang an leer.“ Damit ist gemeint, dass sie kein „Eigen-Sein“ besitzen. Sie existieren nicht aus sich selbst heraus. Sie entstehen unter Bedingungen und vergehen wieder. Ein Objekt, das „Eigen-Sein“ hätte, würde ohne jegliche Bedingungen und ohne jede Abhängigkeit zu anderen Objekten existieren. Diese Charakteristik kann in den fünf Skandhas nicht gefunden werden: Etwas, das kein „Eigen-Sein“ hat, hat kein eigentliches „Sein“, es ist „Werden“ und „Vergehen“.

Wir alle wissen aus unserer eigenen (leidvollen und schmerzhaften) Erfahrung, dass das so ist – und nicht anders! Und dennoch halten wir an unseren Gefühlen, Gedanken, unserem Körper, unseren Haltungen etc. fest und behandeln sie wie Objekte, die über „Eigen-Sein“ verfügen. Ja – wir „verleihen“ ihnen „Eigen-Sein“.  Weil wir Zorn, Furcht und Angst in uns tragen, sehnen wir uns nach Sicherheit und Orientierung. Das ist natürlich – aber die fortgesetzte Identifikation mit den Inhalten der fünf Skandhas schafft uns gerade keine Orientierung und keine Sicherheit. Jedenfalls keine dauerhafte (wenn es die denn geben würde – und wenn sie wünschenswert wäre!).

Liebe ist ein geistiges Konstrukt, eine Haltung dem Leben und dem Sterben gegenüber. Liebe versteht, dass alle Phänomene (nicht nur die fünf Skandhas) wesenhaft leer sind, also kein Eigen-Sein besitzen. Liebe wird deshalb alles zurückweisen, das unsere Anhaftung an die Inhalte der fünf Skandhas erleichtert. Liebe entsteht und vergeht – wir können sie nicht aufrechterhalten – weder mit Willen noch beim Sex! Wir können zurückkehren zur Liebe, eine neue Liebe sehen, schmecken, riechen, spüren, hören, begreifen. Und sie wird zerfallen zu Nichts! Wir können nicht ewig lieben. Aber wir können entscheiden, uns nicht mehr an der Liebe festzuhalten. Wir können das Konzept Liebe aufgeben – und dadurch immer wieder erneuern.

Siegreich werden wir, wenn wir der Liebe erlauben, grenzenlos und unbedingt zu werden. Dann entwickeln wir nach und nach Mitempfinden und Mitgefühl mit uns selbst. In dem Maße, in dem uns das mit uns selbst gelingt, schwillt unser Mitgefühl für die (tatsächlich ungetrennten) anderen Lebewesen an. Es entsteht ein Strom aus Liebe und Mitgefühl, der uns trägt – für eine Weile jedenfalls. Wir fallen zurück in die Schlachtfelder der Gewalt, des Hasses und des Zorns. Und kehren zurück in das Feld der Zugehörigkeit. Wir halten weder am Mitgefühl noch am Hass fest.

Die Befreiung menschlicher Existenz liegt in einer tiefen Akzeptanz lebendiger Unbeständigkeit, einer Liebe gegenüber sich selbst und dem existentiell Anderen. Denn wir alle sind Teil eines gewaltigen Stroms, der durch die Äonen fliesst. Daher können wir uns jetzt in diesem Moment entscheiden, zu lieben. Und Liebe, das ist: das Leben in allem Schmerz und aller Freude aus vollem Herzen zu umarmen und sich davon umarmen zu lassen. Liebe, das ist: der Kuss, der in sich Ewigkeit birgt.
MAKTUB – es gibt nichts mehr zu dieser Angelegenheit zu sagen oder zu schreiben.

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