Freiheit und Verantwortung in nahen zwischenmenschlichen Beziehungen: Zwei Begriffe, die schwergewichtig in fast jedem ethischen Diskurs auftauchen, zumindest gestreift werden. Darüber wurde schon viel geschrieben. Es gibt vermutlich nicht viel Neues dazu. Mein bescheidener Versuch, darüber zu schreiben, dient einem dreifachen Zweck. Ich verschaffe mir selbst Klarheit über meine derzeitige Haltung und Position. Außenstehende mögen diese Text zur Kenntnis nehmen, wenn sie es wünschen. Mithilfe dieses Textes möchte ich aber vor allem meine Haltung den Menschen, mit denen ich nahe zwischenmenschliche Beziehungen lebe, zur Verfügung stellen. Dieser dritte Zweck meines Handelns geht direkt in „medias res“ der Angelegenheit. Denn meine erste These zum Thema lautet:
T1: „ Es ist eine moralische Pflicht, klar und deutlich mitzuteilen, welche Haltung zur Freiheit und Verantwortung in nahen zwischenmenschlichen Beziehungen man einnimmt gegenüber denjenigen, mit denen man meint, solche Beziehungen zu unterhalten.“
„Moralische Pflicht“ kann für freiheitsliebende Menschen erst einmal schwer und bedrückend daher kommen. Ich vermute: Wer die Freiheit liebt, will frei sein von moralischen Pflichten (die nicht seine eigenen sind!). Nun komme ich daher und stelle diese These auf. Damit konfrontiere ich meine Leser gleich zu Beginn mit Moral, also dem normgerechten Rahmen ethischen Handelns.
Die Frage, ob es diese Pflicht gibt – oder nicht, ist eine „unentscheidbare Frage“ wie Heinz von Förster sagen würde. Ob etwas „klar und deutlich“ mitgeteilt wird, liegt wie Gunter Schmidt oder Schulz von Thun sagen würden, in der Interpretation bzw. Wirklichkeitskonstruktion des Empfängers der Nachricht. Entscheidbar hingegen ist die Frage, ob man meint, eine nahe Beziehung zu einem anderen Menschen zu unterhalten. Von Förster skizziert das Wesen unentscheidbarer Fragen treffend in „Teil der Welt“, S. 178: „Das ist das Amüsante an den prinzipiell unentscheidbaren Fragen; dass es eben keinen Formalismus, keinen Zwang, gibt, der mich zwingt, diese Frage in dieser oder jener Form zu beantworten. Mit dieser prinzipiellen Unentscheidbarkeit ist ein Raum der Freiheit geöffnet, in dem du jetzt entscheiden kannst. Das heißt, prinzipiell unentscheidbare Fragen können nur wir entscheiden, indem wir sagen: Ich möchte diese Entscheidung wählen, denn ich habe die Freiheit, hier zu wählen, was ich will.“ Damit komme ich nahtlos zu meiner zweiten These.
T2: „Es ist ein Akt der unbeschränkbaren Freiheit eines jeden Menschen, seine Entscheidungen zum Umgang mit der Wirklichkeit in freier Wahl und aus freiem Willen zu treffen.“
Ich bin also Verfechter einer Wahl- und Willensfreiheit in Bezug auf unser Thema. Mehr noch: Ich halte diese Wahlfreiheit für einen Akt der Freiheit selbst. Und ich bin prinzipiell der Ansicht, dass jeder Mensch diese Freiheit sein Eigen nennt, ohne dass es für mich moralisch statthaft wäre, diese Freiheit zu beschränken. Auch hier lege ich wieder moralisches Richtmaß an. Es ist für mich verwerflich, einen Menschen in seiner Freiheit zu beschränken, zu wählen und zu wollen, wie er beliebt, mit der Wirklichkeit umzugehen. Dabei lasse ich im Moment noch offen, ob es denn eine solche Wirklichkeit ausserhalb der je eigenen persönlichen Wirklichkeitskonstruktion überhaupt gibt. So viel sei gesagt: Auch dies ist meines Erachtens eine „unentscheidbare Frage“ – also eine spannende Frage. Was die Willensfreiheit angeht, bin ich nun kein Verfechter einer unumschränkten Willensfreiheit.
Ich sehe schon Beschränkungen durch emotionale, innerpsychische oder körperliche Gegebenheiten. Die Versuche von Benjamin Libet et al. wären ein Hinweis in diese Richtung, die ich an dieser Stelle aber auch nicht weiter verfolgen werde. Ich möchte nur ausschliessen, dass die Argumentationslinie sich in Detailfragen verliert. Denn sonst bin ich schneller in einem Diskurs über Determiniertheit vs. Willensfreiheit oder diskutiere über Dezisionalismus vs. Notwendigkeiten. Das ist für mich im Moment irrelevant. Ich riskiere damit, dass aus Gründen der persönlichen Konstitution (bspw. geistige oder körperliche Behinderung, Sucht, Traumafolgen etc.) die prinzipielle Freiheit des Einzelnen in Abrede gestellt werden könnte. Um diese Diskussion im Keim zu beenden, stelle ich meine dritte These auf.
T3: „Das Verhalten und die Handlungen (aktiv oder passiv) eines Menschen – also seine Taten – sind moralisch so zu bewerten, als ob er diese frei gewählt und gewollt habe, selbst wenn diese subjektiv von dem betroffenen Menschen nicht so erlebt wurde.“
Verhalten ist reaktiv. Handlung gilt als willentlich veranlasst. Ich fasse Beides und zudem noch „aktives Tun“ oder „passives Unterlassen“ eines Menschen zusammen als Taten. Ich behandle jeden Menschen so, als ob er sich zu seinen Taten bewusst entschieden hat, sie also gewählt, gewollt und ausgeführt (bzw. unterlassen) hat, selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein mag. Diese These ist schon entschieden gewagter und wird den Widerspruch so mancher Zeitgenossen aufwallen lassen. Das ficht mich nicht an. Denn ich habe das unveräusserliche Recht, zu meinen, zu denken und zu sagen, was immer ich will. Dies eben ist das mir Eigene. Dies ist, wozu ich mich entschlossen habe. Dies ist meine Haltung. Da ich der Auffassung bin, dass esfür den weiteren Verlauf des Diskurses unabdingbar ist, diese These in ihrer mächtigen Schlagkraft eindeutig und klar zu verstehen, werde ich ein Beispiel geben, dass extrem ist und gerade deshalb hoffentlich den gewünschten Effekt eines klaren Ausdrucks erzielt.
Wir stellen uns einen Menschen vor, der einen über den Durst trinkt. Im alkoholisierten Zustand brüllt er sein Kind an, das daraufhin anfängt, zu weinen. Moralisch bewerte ich die Tat des alkoholisierten Menschen gerade ebenso, als hätter er nichts getrunken. Es macht für mich keinerlei Unterschied. Ich schaue mir das Phänomen an. Das Phänomen ist: Ein Mensch schreit sein Kind an. Das Kind beginnt deshalb zu weinen. Ich werde moralisch ausschliesslich seine Tat bewerten. Es ist für mich unerheblich, ob er das überhaupt mitgekriegt hat (also sein inneres Erleben ist für mich irrelevant). Es ist mir auch schnuppe, welche möglichen Entschuldigungsgründe der Mensch für seine Tat anführt. Die Tat wird schonungslos und nackt in ihrer Phänomenologie voll anerkannt von mir und nach meinen Maßstäben moralisch bewertet. Wie meine moralische Bewertung in diesem Fall aussieht, ist für meine Argumentationslinie unerheblich. Selbst wenn ich mich dazu entscheiden würde, die Tat moralisch als nicht verwerflich anzusehen, ändert es nichts an meiner These, dass ich die inneren Beweggründe, Absichten, Umfeldeinflüsse, Entschuldigunggründe oder das innere Erleben dieses Menschen bei meinr moralischen Bewertung nicht berücksichtigen werde. Ich finde, dass diese These zumindest erklärungsbedürftig ist, denn sie widerspricht zunächst unserer Alltagsauffassung. Daher erhärte ich meine Position weiter und spitze sie in These 4 zu.
T4: „Taten gibt es, doch keinen Täter – sagt Buddha. Wie Recht er damit hatte. Es sind die Taten, die moralisch bewertbar sind, nicht die Täter.“
So spitz und hart wie selbst mir diese These scheint, so viel Mitgefühl und Güte liegt in ihr. Taten können moralisch verwerflich sein oder hilfreich sein. Menschen sind freie Lebewesen, die Taten begehen. Nicht die Täter sind Gegenstand der moralischen Bewertung, sondern die Taten. Verlässt man dieses sichere Terrain, ist es nur ein kleiner Schritt in moralische Überheblichkeit und Arroganz gegenüber anderen Wesen. Denn ich maße mir nicht an, ein Urteil darüber abzugeben, ob dieser Mensch schlecht oder gut ist. Das obliegt nicht mir. Ich bin kein Richter über andere Menschen, weder Polizist noch Sozialarbeiter oder Psychologe in meinen nahen Beziehungen zu Menschen. Ich bin einfach nur Friedrich mit meinem entwickelten, bewussten Sinn und meiner Haltung zur Freiheit von Menschen. Ich bin – und das wird den Einen oder Anderen überraschen – ein grosser „Fan der Freiheit“. Ich bin der Ansicht, dass der Mensch sich aus freien Stücken Himmel oder Hölle schaffen kann. „Die Hölle – das sind die Anderen“, sagt Sartre. Ich fürchte, es ist noch etwas krasser: „Die Hölle ist in uns – die Anderen sind unsere Projektionen der Hölle nach Außen“. Wir sollten bei uns selbst anfangen – immer! Nicht bei unserem „Nächsten“. So wie wir lernen, uns selbst zu lieben, entwickeln wir auch Liebe, Mitgefühl und Wohlwollen gegenüber den Menschen mit denen wir nahe Beziehungen leben. Wir müssen uns sehr genau ins Gedächtnis bringen, dass es zwar unser Recht ist, frei zu sein, aber es ist nicht unser Recht, andere Menschen abzuurteilen und sie dem Strafgericht zu überantworten. Das ist ein wichtiger Schritt in der Argumentationslinie. Ohne „Metta“ (liebende Güte) würde mein Papier dem Mißbrauch Tür und Tor öffnen. Damit leite ich über zur fünften These.
T5: „Jede Tat hat Konsequenzen. Der Täter muss in die Lage gebracht werden, die Konsequenzen seiner Taten zu erleben – auch gegen seinen Willen.“
Ich bleibe bei dem Beispiel von oben mit dem alkoholisierten Vater, der sein Kind anbrüllt, das daraufhin anfängt zu weinen. Es ist unbedingt notwendig und moralisch geboten, den Täter als Person und Mensch mit den Konsequenzen seiner taten schonungslos und nackt zu konfrontieren. Dieser Mann muss in die Lage gebracht werden, den Schmerz seines Kindes in vollem Umfang mitzuerleben. Er muss nötigenfalls gezwungen werden, diese Konfrontation mit den Konsequenzen seiner Tat aufzunehmen.
Dies ist für mich ein Gebot der Menschlichkeit. Es ist mitfühlend, gütig und liebevoll den Täter ohne jede Absicherung für ihn unmittelbar mit den Konsequenzen seiner Taten zu konfrontieren. Selbst wenn das bedeutet, dass in ihm Scham, Schuld, Schande, Schmerz hochkommen. Denn genau dies ist die Absicht! Es ist meine Absicht Menschen knallhart mit den Konsequenzen ihrer Taten zu konfrontieren. Dies ermöglicht ihnen nämlich, zu erleben (sehen, hören, spüren, schmecken, riechen, fühlen) was die eigene tat für einen anderen nahestehenden Menschen bedeutet hat.
Dies ist die Chance für den Täter, seine Tat abzuschliesen. Sie vollständig bewusst zu erleben. Bis zum bitteren Ende. Echte Reue kann in einem Menschen nur entstehen, wenn er sich dem Schmerz eines Anderen so annimmt, dass bedauern über die verübte Tat aufkeimt. Zur Tat gehört immer auch die Konsequenz, die Auswirkung auf mein Gegenüber. Ich wünsche mir, dass Einsicht, Umkehr, Reue in einem Menschen entstehen, wenn er erlebt, welche Konsequenzen seine Tat hat oder hatte. Es mag sein, dass ich da zu idealistisch bin und dabei übersehe, dass es Menschen gibt, die einfach nur böse Taten tun, weil es ihnen eben gefällt. Aber ich denke nicht, dass ich diesen fatalen Denkfehler begehe. Ich denke, es gibt tatsächlich „das Böse“. Und ich weiss, wie es sich Bahn brechen kann. Daher bin ich felsenfest der Ansicht, dass ein Täter mit den Konsequenzen seiner Tat konfrontiert werden muss. Er muss in die Lage gebracht werden, hautnah zu erleben, was er angerichtet hat. „Das Böse“ verkricht sich in der Dunkelheit. Ich will es ins Licht zerren. Ja – zerren! Da ist auch Wut und Aggression in mir, die hinter meiner These steht. Mein Sinn für Gerechtigkeit, für Ausgleich steht dahinter. Vielleicht ist es eine „heilige Wut“, denn sie steht im Dienst des Lebens, das grösser als ich ist. Mir ist es unerträglich, dass jemand eine Tat tut und sich dann von den Konsequenzen verächtlich abwendet. Das ist respektlos und zeigt keinerlei Ehrfurcht vor dem Leben. Das bin ich nicht bereit hinzunehmen. Das ist meine eigene Wunde. Das ist meine Verletzlichkeit. Hier liegt meine Grenze. Hier ist die Freiheit meines Gegenübers zu Ende! Denn hier beginnt meine Freiheit. Dies ist der Quell meiner Liebe zum Leben und zu den Menschen. Wer mit mir nahe Beziehungen leben möchte, wird gut daran tun, diese Wunde von mir anzuerkennen. Und mich schonungslos mit meinen eigenen Taten zu konfrontieren. Ich bin nicht frei von Schuld und nicht perfekt. Ich bin nicht besser als irgend ein anderer Mensch. Aber ich bin bereit und willens, weil ich mich dazu aus freiem Entschluss entscheiden habe, zu lieben. Und das bedeutet für mich weder Mitleid mit den Tätern noch duldsames Hinnehmen von Grenzverletzungen. Liebe bedeutet in diesem Kontext, für meine eigenen taten ohne dass es eines Zwangs von aussen bedarf, volle Verantwortung für meine taten und deren Konsequenzen zu übernehmen. Das ist die Schnittstelle zur Verantwortung, von der im Eingang des Textes die Rede war.
T6: „Ich bin vollkommen verantwortlich für jede meiner Taten mitsamt aller Konsequenzen – selbst wenn mir diese Konsequenzen nicht bewusst sind oder waren. Alle Menschen, mit denen ich nahe Beziehungen unterhalte, halte ich für ebenso verantwortlich für ihre Taten und deren Konsequenzen. Sie haben so wie ich die Verantwortung freiwillig zu übernehmen. Dies ist ein Akt gegenseitiger Achtung und Liebe für einander.“
Nun wird hoffentlich völlig klar, dass die Schnittstelle zwischen Freiheit und Verantwortung eine bestimmte Form der Liebe für mich ist. Ob man sie nun Agape, Metta, liebende Güte nennt, ist zweitrangig für mich. Jemand, für den ich mich verantwortlich zeige, darf die Erwartung an mich stellen, dass ich diese verantwortung freiwillig trage. In „Der kleine Prinz“ ist diese Verantwortlichkeit für jemanden (oder „etwas“) sehr schön beschrieben in Bezug auf die Rose.
Nun wird sicher auch klar, wieso ich den Begriff „Liebe unter Willen“ von Crowley hier anbringen kann. Von Liebe getragen, die ich aus tiefstem Herzen will, werde ich Verantwortung für meine Taten übernehmen und die Menschen meiner nahen Beziehungen in die Verantwortung nehmen. Da ist weder Beliebigkeit noch Unsicherheit in mir in dieser Frage. Ein Zweck, eine Liebe, Einheit. Versteht mich an diesem Punkt bitte nicht falsch. Ich werde keinen Menschen lieben, der nicht auch mich liebt. Alles was ich hier sage, gilt für die Herzensfreunde meiner nahen Beziehungen, zu denen nicht viele gehören! Aber vor allen anderen Menschen gilt diese Art der Liebe natürlich meiner Frau. Es ist ein Akt meiner Freiheit, mich ihr gegenüber stets in voller Verantwortung zu zeigen. Ich bin deshalb bereit, jede Konsequenz meiner Taten bewusstseinsklar und offen anzunehmen. Wenn ich den leisesten Schmerz in ihrem Antlitz erblicke, der möglicherweise die Konsequenz einer meiner Taten ist, werde ich mich diesem Schmerz unaufgefordert öffnen. Dieser Schmerz ist untrennbar von mir. Er gehört zu meinem Freiheits- und Verantwortungsbereich. Ich bin dafür verantwortlich. Nicht meine Frau!
T7: „Der Schutz des Inneren in den mir nahen Beziehungen ist Ausdruck höchster Integrität. Sie zeigt sich in Liebe, Freiheit und Verantwortung miteinander.“
Wer diese Worte aufmerksam liest und mich im Innersten versteht, kann vielleicht ermessen, wieso ich aus dem „Norden“ komme. Ich bin daheim im Thing, ich bin daheim in meiner Sippe, ich bin daheim im Kreis der mir Vertrauten. Nach innen gibt es für mich keine Alternative zu diesen männlichen Werten in mir. Dazu stehe ich. Das ist mein Wort in finstersten Zeiten. Ich stehe für die Rehabilitation des Männlichen in seiner Freiheit und Verantwortung. Ich stehe für Mann und Frau eingebettet in eine Sippe, einen Stamm, ein Volk. Ich stehe hier mit nichts als meiner Liebe zum Leben und zum Eigenen. Ich werde diese Freiheit verteidigen. Ich werde nichts dazwischen kommen lassen. Wo ich stehe, ist kein Platz für Gott. Wo ich stehe ist kein Platz für sentimentales Mitleid. Wo ich stehe, ist Leben. Wenn ich nicht mehr stehe, fällt eine Haltung zu Boden, die licht und hell weiter strahlen muss. Nehmt dann diese Fackel auf und tragt das Licht in euere eigenen nahen Beziehungen. Lasst das Licht nicht untergehen. Haltet fest daran. Begreift, dass wahre Wildheit Beherrschtheit voraussetzt. Freiheit ist nicht, loszukommen von verbindlichen Werten. Freiheit ist Alles! Freiheit ist es, moralisch integer mutig das Eigene zu behaupten.