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Ethik und Religion

Die Aufhebung

Wir alle versprechen uns selbst und anderen Menschen das Ein oder Andere. Daraus entstehen Pflichten. Teilweise werden diese Pflichten in Verträgen, feierlichen Gelübden o.ä. festgehalten. Das jüdische Gebet /Kol Nidre/ löst im Speziellen die gegenüber Gott abgegebenen oder noch abzugebenen Zusagen. Es heisst: „Unsere Gelübde seien keine Gelübde, unsere Schwüre keine Schwüre.“. Ich erwähne das am Beginn dieses Textes, weil es mir so bedeutsam erscheint. Die Aufhebung der Pflicht, die ich mir selbst freiwillig gegeben habe: sie ist ganz natürlich mein Recht. Und so sollen – hier auch im ganz weltlich-realistischen Sinn – alle Verträge, Pflichten, Abmachungen oder sonstwie entstandenen Verpflichtungen, denen ich unterliege, von jetzt bis zum Beginn des neuen Jahrs aufgehoben sein. Ich werde diejenigen Pflichten, die mir weiterhin bedeutsam erscheinen erneuern. Die aber, die obsolet geweorden sind, seien mit dem Ablauf des heutigen Tags nichtig.

Vergebung ist das Mittel der Wahl gegen jeden Schmerz!

Gedanken und Gefühle darüber, wer wir sind, sind allgegegnwärtig. Wir denken von uns, irgendwer zu sein. Wir fühlen uns fröhlich, traurig, ängstlich, wütend usw. Manchmal bauen auf diesen Impulsen kaskadierende weitere Gedanken und Gefühle auf. Wechselseitig befeuern sich diese miteinander und schaffen so eine Flut dessen, was wir gewöhnlich als Wirklichkeit für wahr halten.

Wenn jemand uns etwas sagt, das uns verletzt, fühlen wir uns vielleicht traurig, nachdem der Schmerz darüber sich ausbreitet. Am Anfang ist der Schmerz der Verletzung, dann kommt zum Beispiel die Traurigkeit. Kurz danach mag es sein, dass wir wütend werden darüber, dass wir so verletzt wurden. Und schliesslich setzt sich Haß auf die Woge der dramatischen Gefühle. Haß auf den Übeltäter, den Schuldigen. Und vielleicht mischt sich auch noch die Angst ein, schutzlos weiteren Verletzungen ausgesetzt zu sein.

In diesem wogenden gefühlsmäßig aufgeladen uneinheitlichen Feld gibt es eines oft nicht: Den unbedingten Willen zur Vergebung. Die Entschlossenheit, sich nicht mit diesen Gefühlen zu identifizieren. Ganz zu schweigen von den Gedanken, die in den Choral dramatischer Wirklichkeit einstimmen: Dass wir es selbst verschuldet haben, verletzt worden zu sein bspw. Dass alle Menschen böse und grausam seien. Dass wir es letztlich nicht verdient hätten, geliebt zu werden, uns sicher und geborgen fühlen zu dürfen. Wir drehen den Dolch des Haßes gegen uns selbst. Wir denken, dass nicht nur der „Täter“ schuldig sei – sondern wir eben auch schuld seien.

In unserer jüdisch-christlich-moslemischen Kultur sind sowohl die Gedanken als auch die Gefühle, die auf eine Verletzung folgen, Gemeingut. Sie sind weitgehend verständlich, wenn nicht sogar akzeptiert oder gefördert. Es gibt eine lange Tradition der Selbst- und Fremdabwertung in unserer europäisch-arabischen Kultur. Oder anders gesagt: in der westlichen Welt. Nun meine ich aber nicht, dass der skizzierte Prozess dramatischer Gefühle und Gedanken kulturspezifisch wären. Auch im „Osten“ passieren die kaskadieren Gefühls-/Gedanken-Konstruktionen der Wirklichkeit. Sie mögen andere Färbungen, einen anderen Ton und eine andere Intensität aufweisen. Aber es gibt sie im Westen wie im Osten. Schuldzuweisung und Selbstabwertung sind allerdings meines Erachtens spezifisch „westlich“.

Ich habe den Eindruck, dass es einen Sinn hat, derart mit sich und anderen zu verfahren. Ich meine, dass wir einen Wunsch in uns tragen, verbunden zu sein. Verbunden mit dem, was wir als Gemeinschaft willkommen heissen. Jede Verletzung, die wir erleiden ist ein Vertrauensbruch in der Vorstellung einer sicheren Gemeinschaft. In einer „idealen“ Gemeinschaft würde es keine Verletzung und keinen Schmerz geben. So zumindest denken viele Menschen unseres Kulturkreises, wie ich vermute. Dieses Ideal der friedlichen, nach innen freundlichen und nach aussen wehrhaften Gemeinschaft findet sich in der germanischen Kultur allenorts.

Meine These ist: Wenn wir beschuldigen, uns selbst abwerten, hassen etc. dient das einem reinigenden Zweck, der auf die Gemeinschaft gerichtet ist. Wir verfolgen  damit das Ziel, die Gemeinschaft von gemeinschaftschädigen Elementen zu befreien. Damit glauben wir, die Intaktheit der Gemeinschaft wieder herzustellen. Wenn wir den „Feind“ draussen vor den Wällen unseres „Dorfes“ wissen, werden wir wieder sicher im Inneren sein. Der Haß auf das Fremde hat meines Erachtens hier seine Wurzeln.

Dieser Prozess der eigenen Isolation, Verhärtung und Wehrhaftigkeit nach außen schneidet uns wirksam ab von anderen Qualitäten: grundlegendes Gutsein, Vergebungsbereitschaft, Mitgefühl und Reflektionsfähigkeit. Und dieser Prozess hat seine Berechtigung! Er ist tief in uns allen verwurzelt. Er hat eine überlebenssichernde Funktion. Ohne die Abtrennung von eigener Güte, Barmherzigkeit und Friedfertigkeit kann es nämlich keinen Feind im „Aussen“ geben. Und ohne Feind bricht der Prozess von Schuldzuweisung und Selbstabwertung in sich zusammen.

Die Verletzung wird bei diesem ausstossenden und haßerfüllten Prozess tatsächlich geheilt – dass ist zumindest die vorherrschende Ansicht unserer Kultur (und wahrscheinlich auch unserer Intuition). Der Weg ist einer des Ungeschehn-Machens der Verletzungshandlung durch Ausschluss des Täters aus der Gemeinschaft. Und eine Verletzung von Aussen – durch einen „Feind“ ist nicht mehr gemeinschaftsschädigend, sondern man erwartet gar nichts Anderes. Denn da „draussen“ – hinter den Palisaden des Wehrdorfes lauert eben der Feind. Und dieser will nur Eines: uns verletzen, töten und versklaven. Diese Mentalität steckt tief in uns allen. Und ich verstehe das. Ich verstehe das wirklich. Ich weiss, warum deshalb selbst die progressiveren BewohnerInnen des Dorfes auf ihren Bannern „Kein Vergeben – kein Vergessen“ stehen haben. Und sich genauso verhalten, wie die machterhaltenden Strukturen des Schutzdorfes es verlangen. Ob es nun rote (kommunistisch-sozialistische) oder braune (faschistisch-reaktionäre) Kräfte sind. Sie eint der Gedeanke an eine in sich gute Gemeinschaft, die von parasitären, bösen Feinden bedroht ist.

Ich bin der Ansicht, dass dies eine ganz andere Sicht auf das Verhaftet-Sein im Gedanken- und Gefühls-Karussel nach Verletzungen bietet. Eine kulturell verstehende Sicht auf die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens im Individuum. Ich meine, dass dieser Prozess der Rekonstitution einer imaginären friedliche, all-liebenden, wehrhaften und solidarischen Gemeinschaft in sich trägt. Sie dient dem Grauen der Isolation durch die erlittene Verletzung zu begegnen und das erlitene Unrecht ungeschehen zu machen – oder in den vorherigen Stand der Unversehrtheit und Eingebundenheit in die Gemeinschaft zurück zu kehren.

Die Motivation des Hasses ist auf diesem Hintergrund für mich verständlich. Paradoxerweise dient er der HEILUNG der WUNDE. Dies geht natürlich auch anders! Es gilt aber meines Erachtens zunächst einmal den Blick voller Mitgefühl auf unsere Ahnen und unser Erbe zu werfen. Diesem Erbe mit Achtung zu begegnen und es nicht ebenso in die Tonne der Vergessenheit zu stecken, wie wir das gerne mit unseren Widersachern tun würden.

Hier eröffnet sich das erste Feld der verstehenden Vergebung. Erst wenn wir die kulturellen Hintergründe und die Sinnhaftigkeit dahinter wirklich „mit unserem Herzen“ verstehen, können wir uns selbst dafür vergeben, wenn wir meinen, der Isolation und Selbstabwertung mit den archaischen Überlebenstechniken zu begegnen. Wenn der Schmerz akut zu stark ist, ist es menschlich auf die bewährtesten Lösungen unserer Ahne  zurück zu schalten. Das sichert unser Überleben. Erst wenn wir diese Mechanismen mit Würde und Dankbarkeit anschauen können und tief verstehen, wozu sie gut waren, wird es möglich, zu vergeben.

Und Vergebung ist das Mittel der Wahl gegen jeden Schmerz! Wir lernen uns selbst zu vergeben. Für all‘ die – vermeintlichen oder tatsächlichen – Verletzungen, die wir anderen angetan haben. Wir lernen, auch denen zu vergeben, die uns verletzt haben. Wir heilen die Wunde der Verletzung, indem wir die dramatischen Sekundär- und Tertiärgefühle wohlwollend als das archaische Erbe unserer Ahnen gutheissen, willkommen heissen und voll warmem Verständnis tief verstehen. Auch wenn wir einen anderen Pfad einschlagen. Weil wir gegen jede kulturelle Prägung,  jeden intuitiven Überlebensinstinkt, gegen jede Doktrin der Vergeltung in uns selbst diesen Ort der Gemeinschaft kultivieren. Indem wir lernen, uns selbst gegenüber solidarisch, mitfühlend und friedlich zu sein.

Wir stehen in der Kette unserer Ahnen und werten unsere Herkunft und unsere Wurzeln nicht ab. Sondern wir bekräftigen sie, indem wir voran gehen. Das Alte in seinem Sinn zu bewahren und das unerhört Neue zu wagen – das ist unsere Mission.

Liebende Güte und Vergebung sind die Werkzeuge zum Umgang mit der Wunde, die die Verletzung geschlagen hat. Das ist das, was ich meine. Und ich vergebe mir, wenn ich – wie viele Andere – in vielen Momenten vergesse, was ich hier gerade schreibe und blind dem Ahnenerbe folge. Ich vergebe mir meinen Haß, meine Unwissenheit und meine Gier, die mich in die Felder dauernder Isolation von der Gemeinschaft udn schmerzerfüllter Anklage gegen die Dämonen und Feinde der äusseren Welt versinken läßt. Ich vergeb mir die langen Phasen der Teilnahmslosigkeit, Inaktivität und Depression, in denen ich das Gefühl habe, nicht mehr zu können und der Hilfe zu bedürfen. Ich vergebe mir – und beginne von Neuem. Ich beginne von Neuem, indem ich meinen Atem beobachte. Atemzug für Atemzug. Bis ich zurückkehre in diesen wachen und klaren Zustand des Geistes, in dem ich diese Zeilen geschrieben habe. Das Gefühl, gescheitert zu sein oder versagt zu haben, ist nur ein weiterer Gedanke des Überlebens-Prozesses. Ich habe die Kraft, ihn als das zu durchschauen, was er ist. Die Buddhisten nennen diese Kraft „MARA“. Sie erscheint, um in uns Zweifel und Hoffnungslosigkeit zu erzeugen. Aber ich weiss: Ich habe die Kraft, meine Hand auf die Erde zu legen, mich mit der Kraft der Erde zu verbinden, um MARA zu sagen: „Ich sehe dich, Mara! Du hast keine Macht über mich. Denn ich habe meine Zuflucht genommen. Ich bin wach (buddha)! Ich weiss, was zu tun ist (dharma)! Und ich gehöre zur Gemeinschaft-jederzeit (sangha)!“

THE HEALING CIRCLES

2013-03-23 07.10.37

circles turn
circles return
circles we are

some things turn
some people turn
into things

we turn
each other
into you and me

return return
step back forward
step by step

no one walks
no walking
no walker
nothing to walk

nothing is holy
all stays
open wide

i am a circle
you are a circle
we are healing

each other
grounded
in circling worlds

our own decisions
our own life
infinite eternity

 

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Weiterführende Informationen zu Zirkeln, Kreisen, Steinen und einem Tanz des Lebens…

Musik:
http://www.youtube.com/watch?v=JDqcFaynqow&list=PLqD1eYcEf1PPXHoYy2OT5G7hDkuCk42S2

 

Texte:

Off The Cuff ( Woven Hand)

of the cuff

You seek a vision
To get your hardened hearts to beat
I cannot see in this light
I cannot think in this heat
Fingers on glass and a singing horn
The oldest peacock ever born

On the wind come back to me
Close so I can hear it
She is chosen she dances in the creek
He is love he is spirit

I was bitten and woke before the sun
The past keeps coming all hitched up together
Redoubled in a crude mind
One of their number
We bring our best machine
One to hang down from her waist
We bring our best machine
One to wash yourself clean

On the wind come back to me
Close so I can hear it
She is chosen she dances in the creek
He is love yes he is spirit

Our best machine
Out best machine
We bring our best machine

The Orchard Gate (Lyrics) Woven Hand:

At the orchard gate today
Was that tomorrow
Istenem
Make a fire
Kiss your heart
Risha
Arabic for feather

In this way my love
Whispers to me
Warm, beloved and still
In this way my love
Come to me

In a language of two hands
It is a strange poetry

She is turning
Turning in
From all the temples of old
From all the holds
In which its stowed
Turning into gold

In his way through
A sacred dimension
Not by might
Nor by power
By his spirit
His loving intention
His loving intention

In this way my love
Whispers to me
Warm, beloved and still
In this way my love
Come to me

In a language of two hands
It is a strange poetry

See the golden chariot wheel
It glitters down
To the bottom of the red sea deep
I see the end now
Entertaining thoughts of sleep

In this way my love
Whisper to me
Warm beloved and still
In this way my love
Come to me

She is turning
She is turning in
In the language of two hands
She is turning in
She is turning
Turning into gold

Liber Al:

„Aufgehoben sind alle Rituale, alle Prüfungen, alle Worte und Zeichen.“

Buddha:

„If I had a position, no doubt fault could be found with it. Since I have no position, that problem does not arise.“ How could he avoid taking a position? There is no position to be taught because there is no truth that needs to be attained; all we need to do is let-go of delusion: „Ultimate serenity [or beatitude: siva] is the coming to rest of all ways of taking things, the repose of named things; no Truth has been taught by a Buddha for anyone, anywhere.“ (MMK 25:24) The Astasahasrika, probably the oldest and most important of the prajnaparamita sutras, begins by emphasizing the same point:

No wisdom can we get hold of, no highest perfection,
No Bodhisattva, no thought of enlightenment either.
When told of this, if not bewildered and in no way anxious,
A Bodhisattva courses in the Tathagata’s wisdom.

In the Diamond Sutra Subhuti asks the Buddha if his realization of supreme enlightenment means that he has not acquired anything. „Just so, Subhuti. I have not acquired even the least thing from supreme enlightenment, and that is called supreme enlightenment.“ Then it could just as well be called supreme ignorance — as long as that is not confused with ordinary ignorance.

Kommentar zum MMK (Nagarjuna):

„It is easy to keep from walking; the hard thing is to walk without touching the ground.“ (ch. 2, W58). And it is easy to keep from talking; the hard thing is to talk without needing to touch a ground. According to Graham’s gloss, it is easy to withdraw from the world and live as a hermit, it is harder to remain above the world while living in it. Yet without a self we float quite easily, if its need to ground itself is what weighs us down.

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SUFI WHIRLING (RUMI)

Sufi whirling —

we came whirling
out of nothingness
scattering stars
like dust

the stars made a circle
and in the middle
we dance

the wheel of heaven
circles God
like a mill

if you grab a spoke
it will tear your hand off

turning and turning
it sunders
all attachment

were that wheel not in love
it would cry
“enough! how long this turning?”

every atom
turns bewildered

beggars circle tables
dogs circle carrion
the lover circles
his own heart

ashamed,
I circle shame

a ruined water wheel
whichever way I turn
is the river

if that rusty old sky
creaks to a stop
still, still I turn

and it is only God
circling Himself

~Rumi~

 

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Where Does The Dance Begin, Where Does It End?

Don’t call this world adorable, or useful, that’s not it.
It’s frisky, and a theater for more than fair winds.
The eyelash of lightning is neither good nor evil.
The struck tree burns like a pillar of gold.

But the blue rain sinks, straight to the white
feet of the trees
whose mouths open.
Doesn’t the wind, turning in circles, invent the dance?
Haven’t the flowers moved, slowly, across Asia, then Europe,
until at last, now, they shine
in your own yard?

Don’t call this world an explanation, or even an education.

When the Sufi poet whirled, was he looking
outward, to the mountains so solidly there
in a white-capped ring, or was he looking

to the center of everything: the seed, the egg, the idea
that was also there,
beautiful as a thumb
curved and touching the finger, tenderly,
little love-ring,

as he whirled,
oh jug of breath,
in the garden of dust?

~ Mary Oliver

Die Bibel  …

Da fragte Jesus sie: »Habt ihr das nicht schon einmal in der Schrift gelesen? ‚Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Das ist das Werk des Herrn, und es ist wunderbar anzusehen.‘

43Ich will damit sagen, dass das Reich Gottes euch weggenommen wird und ein anderes Volk es bekommt, das gute Früchte bringt.

44Wer über diesen Stein stolpert, wird in tausend Stücke zerbrechen, und der Stein wird jeden zermalmen, auf den er fällt.«

45Als die obersten Priester und Pharisäer Jesus sprechen hörten, merkten sie, dass mit den Bauern in seinem Gleichnis sie gemeint waren.

46Sie hätten ihn gern verhaften lassen, doch sie wagten es nicht, weil das Volk Jesus für einen Propheten hielt.

Apokryphen :

 

„Jesus sprach: ‚Ich bin das Licht, das über allen ist. Ich bin das All; das All ist aus mir hervorgegangen, und das All ist zu mir gelangt. Hebt einen Stein auf, und ihr werdet mich finden, spaltet ein Holz, und ich bin da.‘“

– Thomasevangelium, Spruch 77

koptisches ägypterevangelium (apokryphen)

Hymnischer Abschnitt

ie ieus eo ou eo oua
Wirklich wahrhaftig,
(10) oh Jesseus Mazareus Jessedekeus, lebendiges Wasser,
Kind des Kindes,
herrlicher Name!

Wirklich wahrhaftig,
seiender Äon,
iii eeee eeee oooo uuuu oooo aaagif!

Wirklich (15) wahrhaftig,
ei aaaa oooo,
oh Seiender, der die Äonen sieht!

Wirklich wahrhaftig,
eee iii uuuuu oooooooo,
in alle Ewigkeit Seiender!

(20) Wirklich wahrhaftig,
iea aio im Herzen,
der Seiende
uaei eisaei eioei eioseigif!

Dieser dein großer Name ist auf mir, du Selbstentstandener, Vollkommener, der du nicht außerhalb von mir bist.
(25) Ich sehe dich, du, der du unsichtbar für alle bist.
Denn wer wird in der Lage sein, dich mit einer anderen Stimme zu umfassengif?
Nun, ( 67.1) weil ich dich erkannt habe, habe ich mich vermischt mit dem Unveränderlichen.
Ich habe mich gerüstet mit einer Lichtrüstung.
Ich bin Licht geworden.
Denn die Mutter war an (5) jenem Orte wegen des schönen Glanzes der Gnade.
Deswegen streckte ich meine gefalteten Hände aus.
Ich empfing Gestalt in dem Kreis des Reichtums des Lichtes, das in (10) meiner Brust ist,
das Gestalt gibt vielen Geschöpfen durch das Licht, das kein Vorwurf erreicht.
Ich werde deine Herrlichkeit wahrhaft verkündigen,
denn ich habe dich aufgenommen, dich, sou ies i+de aeio aeiei ois,
oh (15) Äon, Äon, oh Gott des Schweigens.
Ich ehre dich vollkommen.
Du bist meine Ruhestatt.
Oh Sohn, eses e, du Gestaltloser, der in den Gestaltlosen existiert,
der existiert, den Menschen zu erwecken (20),
durch den du mich reinigen willst zu deinem Leben gemäß deinem unvergänglichen Namen.
Deshalb ist der Wohlgeruch des Lebens in mir.
Ich habe ihn vermischt mit Wasser, entsprechend dem Vorbild aller Archonten,
(25) damit ich leben werde bei dir im Frieden der Heiligen, der du wirklich wahrhaftig existierst ( 68.1) in Ewigkeit.

Yatha bhutam

buddha

Yatha bhutam

 

Yatha bhutam (Sanskrit) lässt sich mit Batchelor am ehesten im „wie sich die Dinge herausgebildet / entwickelt haben“ übersetzen. Im Buddhismus wird zwischen alltäglicher, weltläufiger und höchster, spiritueller Wahrheit unterschieden. Im Bereich höchster Wahrheit liegt die Versuchung nahe, Yatha bhutam mit „wie die Dinge (wirklich) sind“ zu übersetzen. Damit wird eine SEINslehre, eine Ontologie behauptet bezüglich des wirklichen Wesens der Dinge. Davon hat der Buddha aber nirgends gesprochen.

 

Im Gegenteil! Der Buddha kümmerte sich weder um die mögliche Dualität eines Körper / Geist – Komplexes noch um letztendliche Fragen des Seins / Nicht-Seins. Ihm ging es um Aufmerksamkeit, Achtsamkeit eben dafür, WIE sich die Dinge, die unseren Sinnen als Phänomene begegnen WERDEN, wie sie sich entwickeln. Dabei nimmt er weder eine (radikal) konstruktivistische Position ein (Wir erschaffen die Wirklichkeit ausschliesslich in unserem Hirn) noch trat er für (ewig) beständige Seinsmerkmale des Existierenden ein.

 

Die Position des Buddhismus ist nicht wirklich schwer mit dem Verstand zu begreifen. Aber sie ist weitgehend unerhört in den Zeitaltern an den meisten Ohren vorüber geweht. Die Wechselwirkung von Menschen, Gegenständen etc. bildet heraus, wie die Dinge werden. Nicht wie sie sind, nicht wie sie wahrgenommen oder konstruiert werden! Es ist die unablässige Interaktion, die jeden Augenblick handgreiflich Wirklichkeit schafft. Es sind Phänomene, die mit Phänomenen interagieren. Kein Phänomen ist unabhängig vom anderen – in dieser wechselseitigen Abhängigkeit entsteht der Daseinskreislauf.

 

Alle Phänomene sind leer (sunya). Das ist die zentrale Aussage des Buddhismus. Das ist die höchste Wahrheit. Nicht in dem Sinn, als das (gleichsam durch die Hintertür) nur wieder eine Ontologie (freilich eine negativ definierte) eingeführt würde. Sondern im Sinne von Unbeständigkeit, sich laufend neu dynamisch etablierend und vergehend. Darin läßt sich beim besten Willen kein Eigen-Sein finden. Kein die Zeit überdauerndes Wesensmerkmal.

 

Alles hat kein Eigen-Sein. Wer ist dann eigentlich der Mensch, der ich bin? Warum ist alles gut – so wie es ist – oder noch besser: WIRD? Welche mannigfaltigen Anteile in mir machen mich aus? Gibt es welche, die unabhängig von meiner Beziehung zu anderen sind? Wieviel von dem, was ich gewohnheitsmässig „ich“nenne, unterscheidet sich von irgend einem anderen? Was in mir ist ganz anders als alles andere? Nichts – und wieder: Nichts! Es gibt keine auffindbare Differenz. Jedes Mal, wenn ich diskriminieren kann zwischen „meinem“ Eigenen  und etwas Anderem, was stelle ich dann fest? Was habe ich gefühlt, was kein anderer Mensch gefühlt hat? Was habe ich gespürt, gedacht, erlebt, erfahren? Worin unterscheidet sich mein Körper auch nur in einem einzigen Element vom Körper anderer Lebewesen? Je länger ich diese Betrachtungen anstelle, desto klarer wird mir gewiss: Es gibt kein eigentliches Sein, nichts Gesondertes, nichts Besonderes. Alles in mir gibt es irgendwoanders noch einmal – genau das Selbe. Es gibt keinen, der mir aufs Haar gleicht. Keinen, der „ich“ wäre neben mir.

 

Die Kombination aus Daseinsfaktoren wie den fünf Skhandas des Buddhismus (Körper, Gefühl, Wahrnehmung, Geist und Bewusstsein) ist in jedem Moment meiner Existenz einmalig und gesondert von allen anderen Phänomenen. Diese Gesondertheit ist zeitlich instabil. Laufend „zerfallen“ die Inhalte der Skhandas und es enstehen neue Inhalte in ihnen. Die „Welt“, das ist alles, was phänomenologisch als „Nicht-Ich“ erkennbar ist. Die Konfiguration dessen, womit wir mit der Welt interagieren ist in dauernder Veränderung begriffen. Der äussere Ausdruck unseres Ichs – die Person(a) – steht weder fest noch ist sie unabhängig von der Welt. Die Person entsteht in Abhängigkeit zu der Welt in jedem Augenblick erneut, sie ist in einem steten Wandlungsprozess begriffen. Was sich laufend verändert, ist nicht eigentlich. Es begründet keine identifizierbare Entität, die über Zeit und Raum identisch mit sich selbst bleibt. Die Dynamik des Daseins erlaubt uns nicht, an einem gesonderten „ich“ festzuhalten, weil wir dieses Ich nicht auffinden können – selbst wenn wir wirklich lange danach suchen.

 

Wir sitzen als Beobachter in einer offenen Weite. In ihr tauchen Phänomene auf, werden gross und erblühen, um wieder aus dem Blickfeld zu verschwinden. Irgendwann verschwinden auch wir selbst. DAS ist die Natur unterschiedlosen Werdens. Ein Pferd taucht am Horizont auf, wir beachten es nicht besonders, es trabt an uns vorbei und verschwindet. So geht es mit allen Phänomenen. Sie sind nicht von Dauer. Alles ist in Veränderung begriffen.

 

Wenn alles in Veränderung begriffen ist, woran sollen wir uns dann halten, wenn der Schmerz daran, wie es in einem Moment gerade ist, unaushaltbar wird? Wenn wir auseinandergerissen werden durch das, was aktuell ist? Was, wenn wir nicht in Seelenruhe wissen, dass Unbeständigkeit der Phänomene auch für diesen schmerzlichen Moment gilt? Weil wir übermannt, überwältigt sind? Weil wir dieser Schmerz sind? Wäre dieser Schmerz – um in unserem Bild zu bleiben – eines der Pferde: wir würden es in diesem Moment fokussieren, würden den Eindruck von ihm festhalten. Wir verleihen ihm Dauer und Substanz.

 

Dann nutzt uns unser Wissen nichts und wir leiden. Dieses Leiden wird sozusagen noch auf das „Schmerz-Pferd“ aufgesattelt. Schmerz plus das Leiden daran, dass er nicht vergeht. Wo wir doch tief und fest wissen, dass Alles vergeht! Dass nichts Eigen-Sein hat. Jeder Versuch, den Schmerz „los zu werden“, schlägt fehl. Nichts gelingt. Und wir fühlen uns unendlich einsam und abgesondert von allem. In der Isolation, die sich dann auf den Sattel des „Schmerz-Pferds“setzt, wird etwas Neues geschaffen: ein fokussierter Traum auf den Schmerz-Reiter samt Sattel und Pferd. Und gerade weil wir diesen Reiter schaffen, reitet er uns weiter. Er dient uns treu, weil er unser Geschöpf ist. Und wir haben ihn ausgestattet mit Aufmerksamkeit, die wir auf seinen Ursprung– den Schmerz – gelenkt haben. Eine Aufmerksamkeit freilich, die willentlich eben diesen Schmerz beseitigen will. Dieser Versuch ist es, der das Unterfangen in sich so beschwerlich und wenig aussichtsreich werden lässt. Denn so lange wir meinen, der Schmerz könne durch irgend eine Gewalt, irgend eine magische Operation „beseitigt“ werden, bestärken wir seine (trügerische) Existenz. Wir gebären ihn in eine „Dauerschleife“ von Existenz. Wir machen dabei aus einem Phänomen, das unbeständig ist, etwas Stabiles, etwas Dauerhaftes – ganz ähnlich, wie wir an unserem gesonderten Ich festhalten.

 

Wir könnten uns ja irgendwie „ablenken“, in dem wir die Kapazitäten unserer Aufmerksamkeit auf ein anderes Objekt, ein anderes Phänomen lenken. Das kann tatsächlich ein wenig lindern. Leider ist unsere Kraft begrenzt und wir können nicht dauerhaft unsere Aufmerksamkeit davon abwenden, was uns schmerzt. Es kommt wieder. Es taucht wieder auf – und wir stehen vor dem gleichen Dilemma, das wir mittlerweile zur Genüge kennen. Also versuchen wir, uns wieder abzulenken. Unser ich durchschaut diese verzweifelten Versuche natürlich genau – und lässt sich so leicht nicht aus dem Sattel werfen. Es ist die gefühlte Isolation des Ichs, das die Ablenkung vom Schmerz so grausam untergräbt. Denn der Schmerz hat eine isolierende Wirkungsweise, die der des Ichs gleicht.

 

Wenn wir uns weder ablenken können, noch den Schmerz aushalten können, was bleibt uns denn dann? Wir könnten uns töten! Das scheint eine ultimative Lösung des Problems zu sein. Ich glaube nicht, dass das so ist. Ganz entschieden halte ich das für nicht hilfreich. Weil das Problem dadurch nur scheinbar gelöst wird. Die Entkörperlichung nimmt das Subjekt aus der Geworfenheit, indem das Ich entfernt wird. Bei der Selbsttötung wird allerdings der Körper getötet – nicht das Ich! Das ist wesentlich für meine Einschätzung bezüglich der Selbsttötung. Das Problem wird nicht dort gelöst, woher es stammt, sondern der Körper muss dafür herhalten, ein Problem des Geistes zu entfernen. Bei grossem Mitgefühl mit dem unermesslichen Leiden, den Schmerz verursacht, meine ich: Das Ich zu töten und den Körper leben zu lassen könnte als ein wichtiger Schritt zur Befreiung betrachtet werden. Allerdings tue ich mich schwer mit dem „Töten“ – es ist ja nicht das Ich selbst, das die Wurzel des Problems ist. Es ist vielmehr eine Funktion des Ichs, das verursachend ist: Die Stabiliserung von impermanenten Phänomenen! Diese Funktion ist meines Erachtens die wurzelmässige Ursache des Problems. Wenn diese Funktion aufhört, eingesetzt zu werden, sollte auch das dadurch geschaffene Problem verschwinden. Der körperlichen Selbsttötung ist die Modifikation einer Ichfunktion meines Erachtens vorzuziehen.

 

Unser „Ich“ ist weder problematisch noch schlecht, es ist einfach nur ein Bündel von Inhalten der Daseinsgruppen in einem Moment des Lebens. Die Eigenart des Ichs, an bestimmten Inhalten – seien sie angenehm, unangenehm oder neutral – festhalten zu wollen, gerade diese Funktion schafft Leiden. In Sanskrit wird das Leiden auch „dukkha“ genannt. Dukkha ist etwas Süßliches, Wohlschmeckendes. „Leid ist süss“, könnte man in diesem Kontext also sagen. Tatsächlich sind die romantischen Lieder voll von süsslicher Leidenschaft. Selbst der Schmerz kann Lust auslösen. Aber eben nur so lange, wie der Fokus nicht auf dem Schmerz, sondern der Lust liegt. Selbst dieser Fokus auf die Lust ist nur eine Spielart der permanenzgenerierenden Ichfunktion. Denn Dukkha ist auch das, was „schwer zu ertragen“ ist.

 

Wenn ich ein Problem habe und keine Lösung, dann werde ich depressiv. Wenn ich demjenigen, der das Problem verursacht hat, sein Problem zurückgebe, dann bin ich nicht mehr depressiv. Dann hat der Andere ein Problem. Aber das ist nicht mehr mein Problem. Wer ist derjenige, der das Problem verursacht hat? Es ist die Funktion des Ichs, die aus unbeständigen Phänomenen dauerhafte macht, weil das Festhalten daran einen scheinbaren Lustgewinn oder die Vermeidung von Unlust bedeutet. Aber aus welchem Grund sollte das Ich am Schmerz festhalten? Welcher Gewinn, welcher Sinn liegt darin? Vermutlich gar keiner! Unser Ich hat sich allerdings daran gewöhnt, so zu verfahren. Vermutlich war das irgendwann einmal überlebenswichtig. Irgendwann einmal war die aufgerufene Funktion des Ichs lebensbejahend und hat positive Wirkungen entfaltet. Unser Ich ist in dieser Beziehung wohl etwas faul oder träge. Unsere Aufmerksamkeit wird – gegen unseren Willen – auf den Schmerz gelenkt. Wenn darin irgend ein Sinn zu finden sein könnte, dann vermag ich nur zu vermuten:„Schau genau da hin! Hier ist ein wichtiges Problem, dass du lösen solltest. Und solange es nicht gelöst ist, werde ich deine Aufmerksamkeit auf den Schmerz richten!“. So gesehen, dient uns das Ich dabei, das Problem zu lösen. Einmal mehr ein Grund, nicht das Ich, sondern gerade nur diese Funktion des Ichs zumodifizieren.

 

Der Lösungsweg entfaltet sich. Wie kann die Ichfunktion derart modifiziert werden, dass sie dem Erleben bezogenen Eingebundenseins in unser gemeinsames Leben nicht mehr entgegensteht? Was ist zu tun? Wie muss es getan werden, damit Erfolg damit erreicht werden kann? Wenn ich das Bild des erträumten Schmerz-Reiters bemühe, muss die Isolation aus dem Sattel geworfen werden. Das Leiden daran, den Schmerz zu spüren muss aufgegeben werden. Der Schmerz muss erkannt werden als unbeständig und ohne „Eigen-Sein“ und dabei losgelassen werden. Die Isolation aus dem Sattel werfen, den Sattel des Leids aufgeben, das Schmerz-Pferd loslassen: dann bleibt nichts übrig von demSchmerz-Reiter. Er ist wieder da, wo er vorher war: in der Leere unterschiedslosen Werdens.

 

Wo soll ich beginnen, das Problem zu lösen? Beim Reiter, dem Sattel oder dem Pferd? Woher soll ich die Kraft nehmen, das überhaupt zu tun? Wenn es leicht wäre, hätte ich das doch längst getan! In mir steigen Zweifel auf, ob es überhaupt möglich sein kann, diesen Weg zu gehen. Diese Zweifel untergraben die Lösung, sie sind Teil des Problems! Wir mögen kognitiv all’ das verstehen und sehen uns trotzdem ausser Stande, irgend etwas Sinnvolles damit anzufangen. Zu abgehoben oder theoretisch sehen wir in den Schilderungen kein praktikables Handlungsprogramm, das wir„durchführen“ können.  Wir spüren keine persönliche Relevanz, kein Ergriffensein von all’ dem. Das ist gut so – und es ist ausdrücklich beabsichtigt. Es gibt nämlich nichts zu tun, nichts zu machen!

 

Welchen Ratschlag sollte ich dem Menschen schon geben, der Schmerzen leidet? Wie käme ich dazu, mir anzumassen, ihm mehr als meine Hilfe anzubieten – nicht: sie ihm aufzudrängen? Jemand, der hilflos und entkräftet dem ihn ganz ausfüllenden Schmerz ausgeliefert ist, den kann ich nicht mit Ratschlägen traktieren. Und praktische Handlungsanleitungen, die emotionale Ergriffenheit mitbedeuten, wären Gift für den Zustand des Menschen, der mich um meine Hilfe ersucht. Es würde das Festhalten nur intensivieren. Was ist objektiv? Was ist der Sache nach gerade los? Dazu braucht es nicht Gefühl,sondern Verstand. Das muss nicht der schwere Ernst sein, das kann auch ganz leicht daherkommen.

 

Leicht bei klarem Bewusstsein mit eingeschaltetem Verstand kann der Lösungsweg begangen werden. Der richtige Weg (zumindest der, den ich für richtig halte) ist nicht schwer. Er ist so verblüffend leicht, dass er auf den ersten Blick wie ein Witz, ein Scherz aussieht. „Alles hat kein Eigen-Sein“ hatte ich ganz zu Beginn dieses Textes geschrieben. Was würde geschehen, wenn dieser Satz für mich Gültigkeit hätte, wenn ich mich dazu entschlösse, zu akzeptieren, dass „es“ so für mich stimmig ist? Wenn Eigen-Sein (also die Zeit überdauernde Eigenschaften eines Phänomens, die es vom Rest aller anderen Phänomene sondert) nicht aufgefunden werden kann, was bedeutet das dann für„Alles“? Vielleicht das nicht „Eigen-Sein“ ist, sondern „Alles“ wird? Dieses„Alles wird“ beschreibt positiv den Zustand des sich in Abhängigkeit Herausbildenden, in dem nichts Gesondertes zu finden ist.

 

Das „Ich“ ist der Prototyp des „Gesondert-Seins“. Da wir die Prämisse „Alles hat kein Eigen-Sein“– zumindest probatorisch – akzeptiert haben, ist es genau so positiv – oder„gut“, dass „Alles wird“. Es muss nicht erst gut werden, es ist bereits jetzt in diesem Moment, in dem wir vor Schmerz überwältigt am Boden liegen, gut. Das klingt zynisch im Angesicht des Schmerzes, des Leids und der Isolation, die der Mensch erleidet. Aber es ist gar nicht zynisch gemeint, sondern das ist Mitgefühl ohne jede Spur süsslichen Mit-Leidens. Mitgefühl, das nicht schon wieder Dukkha schafft. Mitgefühl aus klarem Geist und Verstand. Mitgefühl, das sich niemals aufdrängt. Mitgefühl, welches das Leiden enden will – aus ganzem Herzen. Mitgefühl, das die Persönlichkeit des Anderen achtet, ohne sich in den dysfunktionalen Ichfunktionen zu „verstricken“.

 

Daher trägt der Satz „ALLES WIRD“ eine schmerzstillende, leidaufhebende und isolationsabwerfende Bedeutung insich. Genau diese kann hilfreich genutzt werden. Parallel zum Schmerzerleben wird das lebendige Bild dieses Satzes aktiviert. Dabei werden die tieferen Schichten des Menschen (sein Wesen, sein Selbst) geweckt. Gemeinsam mit dem bewussten Verstand wird eine Spannung erzeugt, die die Kraft entstehen lässt, dem Festhalten am Schmerz zu begegnen: mit Kraft aus dem Selbst und dem Verstand. Es gibt praktische Anleitungen dazu, wie genau so etwas getan werdenkann. Diese können aber nur praktisch weiter gegeben werden, wenn sie denn jegegeben werden können. Man sollte nicht glauben, ich wisse etwas, was dem anderen Menschen verborgen ist. Alles wird – so ist es gut! YATHA BHUTAM

 

Nachtrag (13/09/13):

Wenn das Pferd samt Sattel und Reiter stahlbetoniert die Sicht versperrt, weil der Mensch traumatische Erfahrungen erlitten hat: Was mache ich dann nach der harten Arbeit, den ganzen Beton wegzuhämmern? Habe ich dann noch genug Kraft und Mut, mich auch noch mit dem Rest zu beschäftigen? Vertrauen: Vertrauen und der Glaube daran, dass Mitgefühl und Liebe alles an den rechten Platz rückt: in die Mitte des Menschen. Der Mensch hat ungeheure Kraft und er ist mutig. Wenn er weiss, was er tut, kann er tun, was er will.

Der allein stehende Mensch (aus dem Kohelet)

Der Kohelet besteht zu drei Vierteln aus mehr oder weniger negativen Aussagen. Er ist daher gut gerignet, Dysphorie und traurige Grundstimmung ordentlich zu stabilisieren.

7 Und wieder habe ich etwas unter der Sonne beobachtet, das Windhauch ist. 8 Es kommt vor, dass jemand allein steht und niemanden bei sich hat. Ja, er besitzt nicht einmal einen Sohn oder Bruder. Aber sein Besitz ist ohne Grenzen und überdies kann sein Auge vom Reichtum nicht genug bekommen. Doch für wen strenge ich mich dann an und warum gönne ich mir kein Glück? Auch das ist Windhauch und ein schlechtes Geschäft. 9 Zwei sind besser als einer allein, falls sie nur reichen Ertrag aus ihrem Besitz ziehen. 10 Denn wenn sie hinfallen, richtet einer den anderen auf. Doch wehe dem, der allein ist, wenn er hinfällt, ohne dass einer bei ihm ist, der ihn aufrichtet. 11 Außerdem: Wenn zwei zusammen schlafen, wärmt einer den andern; einer allein – wie soll er warm werden? 12 Und wenn jemand einen Einzelnen auch überwältigt, zwei sind ihm gewachsen und eine dreifache Schnur reißt nicht so schnell.

Ich bin jenseits

Hier bin ich mit meinem Verstand und meinen Fähigkeiten. Dort sind unsere Ahnen mit ihren Erinnerungen und Erfahrungen. Hier wie dort Teile von Möglichkeiten, die zu mir passen. Ich wähle aus dem ganzen Feld mit Geist, Seele und Körper – und handle. Neue Erinnerungen schaffe ich und reihe sie ein in den Strom. Allein aus mir heraus, verbunden mit den Alten: bin ich – ein Schöpfer meines eigenen Lebens. Aus dieser Fülle teile ich mit denen, die bei mir sind und bei denen ich bin. Das braucht schon Flexibilität, sich nicht „auf eine Seite“ zu schlagen und sich weder mit meiner Eigenheit noch meiner Verbundenheit zu IDENTIFIZIEREN. Denn ich bin der, der jenseits der beiden Seiten (Extreme) lebt.

Feigheit

Eugen Roth: Feigehit
Eugen Roth: Feigheit

Wenn ich Furcht davor habe, nicht den Anforderungen einer Situation zu genügen, kann ich mich feige verhalten. Feigheit – etymologisch aus dem altgermanischen heisst so viel, wie: „dem Tode verfallen“. Wenn ich mich feige verhalte, fühle ich mich schutzlos und „irgendwie“ klein(er), als ich müsste. Ich mag es gar nicht, feige zu sein. Über das konkrete Verhalten hinaus, werfe ich mir dann oft vor, meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden zu sein.

Die Abwertung meines Selbst in solchen Momenten der Feigheit dient einer „Abstrafung“ dieser Reaktion auf entstandene Situationen. Ich will nicht ein Mensch sein, der sich feige verhält. Die Tendenz, mehr von mir zu verlangen, als von anderen Menschen und mein „Versagen“ bezüglich meiner eigenen Anforderungen als „feindlich“ zu begreifen, erleichtert es nicht, mit solchen „Niederlagen“ umzugehen.

Mir erscheint bedeutungsvoll, dass die Etikettierung meines Verhaltens als „feige“ eine Bewertung und keine Beschreibung meines Verhaltens enthält. Eigene Leistung nicht aus dem Selbst stammend zu attribuiieren – hingegen „Versagen“ ausschliesslich auf eigene Unzulänglichkeiten zurückzuführen: So „baut“ man sich eine starre Persönlichkeitsformation, die getragen wird von Glaubenssätzen. Diese stabilisieren die „automatische“ Bewertungsroutinen.

Ein Verhalten, das nicht von Mut, Tatkraft und Lebendigkeit flexibel im Leben „tanzt“ gefällt mir nicht. Aber es geschieht. Und ich kann in den betreffenden Situationen (vielleicht) gar nicht anders handeln. Jedenfalls konnte ich es faktisch nicht. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass ein hilfreicherer Weg, als der der „automatischen alten Verhaltens- und Bewertungsroutinen“ angesagt ist. Dabei versuche ich, zu analysieren, wie die Situation entstanden ist. Und kann vielleicht ein „Muster“ erkennen. Mit dieser Mustererkennung im Hinterkopf kann ich versuchen, die Routinen an den Stellen zu unterbrechen, in denen ich Signalen gewahr werde, die der Situation „vorauslaufen“.

Damit verlasse ich den Bereich des Selbstmitleids und der Selbstabwertung und kehre zurück auf einen Weg, auf dem ich aktiv mein Leben und mein Befinden reguliere. Feigheit kann begegnet werden, indem die Bedingungen ihres Entstehens von mir begriffen, verstanden – und angenommen werden. Annehmen heisst: Das ist ein Teil von mir, der mir dient – auch wenn er mir nicht gut gefällt. Wenn ich feige war, dann ist das eine Chance, den Entstehungsbedingungen meiner Feigheit regulierend zu begegnen.

Neun Tugenden (Havamal)

Neun Tugenden
     Neun Tugenden

Im Havamal finden sich folgende neun Tugenden:

  • „Mut: die Tapferkeit zu tun, was zu tun ist.
  • Ehre: Das Bewußtsein, aus sich heraus etwas wert zu sein, und den Wunsch, Respekt zu zeigen, wenn man diese Eigenschaft in der Welt trifft.
  • Wahrheit: Die Bereitschaft, ehrlich zu sein und zu sagen, was man für wahr und richtig hält.
  • Treue: Der Wille, zu seinen Göttern, seinen Leuten und zu sich selbst zu halten.
  • Willensstärke: Die Bereitschaft, in Aufrichtigkeit hart zu sich selbst zu sein, und bei Bedarf auch zu anderen.
  • Gastfreundschaft: Die Bereitschaft, sein Hab und Gut mit seinen Gefährten zu teilen, vor allem weit weg von zuhause.
  • Fleiß: Der Wille, hart zu arbeiten, und dies als Freude an sich zu betrachten.
  • Eigenverantwortung: Der Wille zur Selbständigkeit nicht nur für einzelne Menschen, sondern auch für Familien, Gemeinschaften und Länder.
  • Ausdauer: Der Wille, bei Fehlschlägen das Scheitern anzuerkennen und, wenn der Zweck gut und richtig ist, weiterzumachen, bis Erfolg errungen wird.“ (Quelle)

Ich hatte schon einmal einen längeren eigenen Beitrag zum Havamal und zum jüdischen Kohelet geschrieben, allerdings muss ich den alten Havamal-Text noch suchen. Solange ich ihn nicht gefunden habe, können Euch die genannten neun Tugenden vielleicht Anlass sein, darüber nachzudenken und nachzuspüren, ob und inwieweit sie für Euch hilfreich und wahr sein könnten. Ich lade Euch jedenfalls gerne dazu ein. Auf Englisch gibt es eine umfangreiche Betrachtung hierzu.

Senkatana (Antjie Krog)

Antije Kroog
Antije Kroog

Die Autorin Antjie Krog war an der Versöhnungskonferenz im Süden Afrikas aktiv beteiligt und veröffentlicht zu Moral und Ethik. „Kann man als Weiße „schwarz werden“?, so fragt sich Krog – und unternimmt ausgehend von einem persönlichen Ereignis im Jahr 1992 eine Reise durch Zeit und Raum, zurück bis zur historischen Figur des Basotho-Königs Moshoeshoe, der im 19. Jahrhundert sein Auskommen mit den ersten westlichen Missionaren und Siedlern suchte. Stärker als zuvor umreißt Krog noch einmal die Frage einer spezifisch afrikanischen Perspektive auf Geschichte und deren Repräsentation, auf Inklusion und Exklusion. „Verbundenheit“ war übrigens das politische Motto für Moshoeshoes soziale Praxis. Krog, geehrt mit zahlreichen internationalen Preisen und Ehrendoktortiteln, vollzieht diese bis heute auf ihre Weise, nicht zuletzt als Lyrikübersetzerin aus anderen afrikanischen Sprachen. „Es gibt“, so Krog im besagten Gespräch mit Manfred Loimeier, „viele Stimmen und viele Farben, aber worauf es ankommt, ist die Farbe des Herzens.“ Ihres ist, man darf es getrost sagen, durch und durch schwarz“ (Quelle). „Der Grund, warum man Poesie mag, liegt darin, dass man sie hört, wenn man sie liest“. (In: Manfred Loimeier: Wortwechsel. Gespräche mit afrikanischen Autorinnen und Autoren. Horlemann Verlag 2002, S. 120-127).

Im folgenden Gedicht aus der Sesotho-Sprache geht es darum, was es bedeutet, nur ein Einzelner zu sein. Es ist Teil eines Schauspiels über Senkatana, das auf ein bekanntes Basotho-Märchen zurückgeht. In ihm verschlingt der Drache Kodumodumo das gesamte Volk der Basotho und schwillt davon so gewaltig an, dass er schließlich in den Passstraßen des Hochgebirges stecken bleibt. Von allen Menschen überlebt einzig Senkatana. Er ist mutterseelenallein auf der Welt, kann tun, was er will, ist frei, und dennoch wehklagt er mit lauter Stimme:

ich kann mich selbst nicht finden /
denn ich befinde mich nicht bei den anderen /
worüber soll ich mich freuen, wenn ich ganz allein bin? /
wovon soll ich befreit werden, wenn nur ich da bin? /
warum sollte irgend etwas schön sein /
wenn nur meine Augen es sehen? /
ihr seid es, die mein ich hervorrufen /
ich bin es, der sein ich durch euch denkt /
ihr denkt mein ich aus /
ich wähle euch nicht /
dass es euch gibt, erschafft mich /
wir sind gemacht, mit anderen zu sein /
oder wir werden hungrig bleiben mitten im Überfluss.

Die fünf Sterbephasen nach Kübler-Ross

Interviews mit Sterbenden
Interviews mit Sterbenden

Das von Kübler-Ross entwickelte Modell wurde in ihrer Publikation „Interviews mit Sterbenden“ veröffentlicht. Ursprünglich bezieht es sich auf die zyklischen Prozesse, die in den 5 Sterbephasen geschehen können. Auf der Homepage der Erika Kübler-Ross Foundation  finden sie sich nochmal genauer dargestellt. Sie werden allerdings auch als „fünf Phasen der seelischen Entwicklung schwerkranker Menschen“ bezeichnet.

Diese 5 Phasen sind:

1 Leugnung
2 Zorn
3 Verhandlung
4 Depression
5 Akzeptanz

Ein wesentliches Gefühl hierbei ist natürlich Trauer. Sterben kann nicht nur auf den körperlichen Tod bezogen werden, sondern es bezieht sich auch auf Verlustprozesse jeder Art. Die folgende deutschsprachige kurzgefasste Zusammenfassung der Sterbephasen von Christoph Student vom Hospiz Stuttgart kann hilfreich sein.