BLEIB ALIEN – Passt aufeinander auf!

20130320-094441.jpgHey Alien – bleib wie Du bist! „Du darfst“ sagt schon der Deckel deiner Diätmagarine. Erst wenn Du der Welt und Deinem Inneren so richtig fremd gegenüberstehst, hast Du ne Chance, irgend etwas von persönlicher Bedeutung in deinem Leben an zu gehen, oder nennen wir es doch beim Namen: es zu verändern.

Solange wir etwas verändern möchten in unserem Leben, gibt es Elemente, die uns unpassend erscheinen. Die nicht zu dem Bild, das wir von uns haben oder von den – mehr oder weniger bewussten – Ansprüchen an uns selbst passen.

Wir wollen schneller laufen, höher hinauf auf der Karriereleiter klettern, uns verbunden fühlen mit anderen, uns besser verstehen, den perfekten Song aufnehmen. Diese Absichten haben alle etwas gemeinsam: So wie es gerade jetzt – in diesem Moment ist – ist nicht genug!

Irgendwie muss es anders werden, in unserer Phantasie ist der anzustrebende  Zustand „besser“ als der, den wir vorfinden. Die Beschäftigung mit den Gefühlen und Gedanken, die uns dabei quälen, erzeugt negativen Affekt. Deshalb ist es so unangenehm, sich mit etwas in uns auseinander zu setzen, das für uns nicht stimmig ist.

Ärgerlicherweise stellt sich diese Stimmung – selbst wenn die Absicht in die Tat umgesetzt wurde – kurz danach erneut ein. Wir stellen wieder irgendeinen Mangel an oder in uns fest, den wir reparieren oder beheben wollen. Und gehenerneut ans Werk. Wir quälen uns, tun etwas zielführendes – und erreichen unsere Ziele.

Es ist erkennbar, dass das ein kontinuierlicher Prozess der Anpassungsleistung an eigene Normen und Werte ist. Wenn es denn nur die eigenen Werte wären, wäre das ja sogar noch hinnehmbar und wohlwollend der Individuation, der Selbstwerdung zuzuordnen.

Leider stammen unsere eigenen Ansprüche oft genug aber von aussen, irgendwoher – von irgendwem. Manchmal wissen wir gar nicht bewusst, woher das alles kommt. Und dennoch verfolgen wir diese Ziele mit Selbstdisziplin oder -kasteiung auf Teufel komm raus. Eine Kleidergröße weniger, eine perfekte Präsentation, eine tolle Kindergeburtstagsfeier, wundervolle Tischdekorationen. Beispiele gibt es genug dafür!

Und dann gibt es auch die nagenden, selbstzersetzenden Problemfelder, in denen wir gerne so und so wären, weil das unserem Idealbild entsprechen würde. Wir wären gerne jemand anderes. Oder wir wären gerne so wie „früher“. Bevor wir uns eingeigelt haben in unseren Zweierbeziehungen, Eigentumswohnungen oder lustigen DauerstudentInnen-WGs. Wir hätten gern wieder mehr Elan, wären gern wieder ein bisschen mutiger. Auch hier findet jedeR sicher genügende eigene Beispiele.

Und es ist kein bisschen tröstlich, dass es fast jedem Menschen immer wieder so in ihrem / seinem Leben geht. Es ist sogar höchst bedrohlich: die Vorstellung zu einem Heer von Menschen zu gehören, die mit sich selbst nicht im Frieden sind. Zu allem Überfluss will mensch das erst Recht nicht: ein Schaf inder Herde sein (brrr – das ist dann fast das grausligste!).

Aber es geht noch härter! Da schnippeln Rasierklingen die Arme entlang, da schluchzen Mädchen in ihre Kissen, da saufen Jungs sich einen an und fallen lallend auf die Schneidezähne. Und ich kenne aus meiner Biographie noch einige schön krasse Beispiele von fehlender Selbstliebe, die ich hier aus Gründen der Selbstachtung nicht ausbreite. Aber ich kenne sie – und ja ich hasse es, so zu sein.

Abhängig zu sein, mich nach Zugehörigkeit sehnen, anders zu denken und zu fühlen, mich wie ein Alien auf Heimaturlaub zu fühlen. Alle diese Situationen gehen letztlich zurück auf einen empfundenen Mangel. Es handelt sich also – psychologisch gesprochen – um Bedürfnisse. Nach Freiem Selbstsein, Bindung, Leistung, Kontrolle: um mal nur die häufigsten vier Bedürfnisklassen zu nennen.

Und der Clou, den ich nicht zuletzt bei Brenée Brown gefunden habe, ist verblüffend einfach, aber treffend: Die Grundannahme, nicht genug zu sein, sich selbst nicht wertschätzen zu können, wegen Grund a, b, c etc. ist ein automatisches Bewertungssystem, das wir normalerweise bewusst gar nicht in den Blick bekommen.

Es tut sein Schattenwerk im Unbewussten und beschert uns hohe Kneipenrechnungen, eingeschlagene Zähne, zerbrochene Beziehungen, abgebrochene Stiefelabsätze und elende Selbstanklagen. Wir telefonieren mit unseren besten Freundinnen, wir zerstören unser Mascara beim Flennen, wir treten gegen Schaufenster und bleiben mit den Springerstiefeln in der Fensterfront hängen (ja das ist mir passiert! – und es tat weh!).

Wir sollten uns an diesen kleinen aufmunternden Text erinnern, wenn wir mal wieder meinen, wir seien die hässlichste, doofeste Tante oder der zu weiche, bekloppte und böse Onkel. Aus welchen Gründen auch immer – wir lieben uns in diesen Momenten nicht wirklich. Und wir haben genau so viele gute Gründe uns zu ändern, wie wir Gründe haben, genau so zu bleiben, wie wir sind. Nur sehen wir das natürlich in dieser Situation nicht.

Wir sehen auch nicht, dass Leben nicht nur aus Entweder-Oder-Situationen besteht, sondern dass es einen Bereich des Sowohl-als-Auch und des „FUCK OFF – ich mach gar nix“ geben könnte. Ich betone: könnte! Denn wir wollen so gerne dazu gehören, zu den Erfolgreichen, zu denen, die es geschafft haben, die sich disziplinieren, verorten können und wissen wer sie sind – aber nicht warum.

In diesen Situationen empfehle ich die Alienation auf die Spitze zu treiben und einfach zu sagen: „Ich muss gar nix! Nicht jetzt, nicht heute und morgen vielleicht auch nicht! Und dann bin ich halt verwirrt und will mich ändern, und dann flenn ich halt und dann kotz ich halt in irgendeinen V-Ausschnitt (hab ich auf nem Aufkleber gelesen!). Genau dieses Chaos ist Teil von etwas, das LEBENDIGKEIT heisst, von Unvollkommenheit, von Verletzlichkeit – und von Offenheit dafür. Denn genau in diesen Situationen wird es richtig produktiv: Wir bleiben ALIEN! Wir bleiben LEBENDIG! Und dann: Dann ändern wir uns vielleicht irgendwie, aber ganz sicher ohne Stress und ohne Massregelvollzug. Eben als menschenfreundliche Aliens…

In diesem Sinne mit den Worten von Roky Erickson : BLEIB ALIEN

Noch ein kleiner Nachspann: Ohne Humor kann ich gar nicht mehr über meine eigene Vielschichtigkeit und Verworfenheit, meine eigene Unvollkomenheit schreiben. UNd wenn mir hunderte von Menschen (Verzeihung: Aliens!) begegnen, die darunter höllisch leiden (so wie ich so oft und immer wieder) bestätigt das nur meine leise Vermutung, dass es „keine Perfektion im irdischen Leben“ gibt. Und meine Vermutung speist sich aus hundertfacher Erfahrung in meinem eigenen Leben – und den gespiegelten Erfahrungen anderer Menschen (alter, junger, männlicher, weiblicher!). Ich will niemand damit „durch den Kakao ziehen“ – ausser mich selbst vielleicht.

Wir müssen alle lernen – ich wiederhole: lernen – uns selbst zu vergeben, uns mehr lieb zu haben, auf uns – und aufeinander aufupassen. Ich passe auf die Menschen auf, die mir begegnen.


Ich lasse mich von ihnen berühren – und ab und zu berühre ich sie auch. Ich will genommen werden wie ich bin und nicht, wie ich sein könnte! Ich will geliebt werden, weil ich es einfach so wert bin (und ich bin es, jawoll!). Und weil ich selbst lerne, die „Gaben der Unvollkommenheit“ in mir zu kultivieren, empfehele ich es wärmstens auch meinen Mitmenschen.

Von mir gibt es kein Mitleid. Damit würde ich mich nur auf eine höhere Stufe als die Menschen stellen, die mir begegnen. Es wäre arrogant, zu meinen, ich sei irgendwie besser oder schlauer als irgend jemand anderes. Aber, hey: Die anderen sind auch nicht schlauer als ich! Jedenfalls nicht immer! Und das ist gut so!

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