Grundlegende Fragen

Die Natur erledigt ihre Aufgaben ohne Reue. Jedes Element in ihr verfolgt einen Plan: Überleben! Der Mensch als Teil der Natur sichert sein eigenes Überleben durch vielfältige Handlungen. Der Sinn dieser Unternehmungen liegt letztlich darin, in der Welt zu bleiben. Wir wissen, dass dies aber in letzter Konsequenz eine zeitlich begrenzte Angelegenheit ist. Individuelles Leben endet – früher oder später. Das Ziel des Überlebens kann also nicht vollständig erreicht werden. Das Begehren danach ist bedingungsmäßig unstillbar. Wozu also ein Ziel verfolgen, dessen Erreichung nicht vollständig unter eigener Kontrolle liegt?

Darauf gibt es vielfältige von einfachen bis zu sehr komplexen Antworten. Die Religion, Philosophie, Ethik oder Medizin und Biologie nähern sich dem Thema aus ihren Fachgebieten unterschiedlich. Sicher gibt es auch noch andere wissenschaftliche oder weltanschauliche Positionen, die Beiträge hierzu liefern. ich versuche es einmal ekklektisch. Dabei gehe ich davon aus, dass die Zielerreichung unter eigener Kontrolle des Menschen stehen muss, damit sie größtmögliche Aussicht auf Erfolg hat.

Individuelles Überleben kann nicht dauerhaft gesichert werden, Leben ist endlich. Das muß erst einmal gründlich begriffen werden, bevor man weiter nachdenkt. Das Leben jedes einzelnen Menschen wird irgendwann zu Ende sein. Menschen sterben. Das kann nicht ernsthaft phänomenologisch bestritten werden. Man kann dann verschiedene Stufen des Sterbens genauer anschauen und evtl. beschreiben, wie und wie weit Leben auf den verschiedenen Stufen (noch) identifiziert werden kann. Ich halte das für müßig bezgl. meiner Fragestellung: Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Unmöglichkeit dauerhaften individuellen Überlebens für den Einzelnen? Wenn ich von Leben schreibe, meine ich immer dieses individuelle Leben. Wenn Leben oder Überleben als biologisches Prinzip gemeint ist, kennzeichne ich das entsprechend.

Zuerst fällt mir ein, diese Grundtatsache hinzunehmen, sie zu akzeptieren (auch wenn sie einem nicht gefallen muß). Dadurch, dass Leben endlich ist, ergibt sich daraus für mich ein zeitlich endlicher Möglichkeitsraum. Eine erste Konsequenz ist: Leben trägt in sich einen Wert, unabhängig davon, was in diesem Leben getan oder unterlassen wird. Es ist wie ein Geschenk, für das man nichts getan hat. Wir können vor unserer Geburt nicht entscheiden, dass wir leben wollen. Dies liegt ausserhalb der eigenen Kontrolle. Die einzigen Freiheiten, die wir haben sind es, entscheiden zu können, WIE wir leben möchten, woraus ziemlich rasch folgert, WELCHE Möglichkeiten des Lebens wir wahrnehmen und WIE LANGE wir leben möchten (pointierter: WANN wir freiwillig tot sein wollen!).

WIE will ich leben? WELCHE Möglichkeiten will ich nutzen? WANN will ich tot sein? WIE will ich sterben?
Diese vier Hauptfragen kommen mir in den Sinn. Bestimmt gibt es noch jede Menge anderer Fragen oder Ideen. Mich interessieren erst einmal nur diese vier Fragen. Sie sind mir gewichtig genug. Eine vergleichsweise einfache Antwort auf alle Fragen wäre: Ich will leben, wie ich mag und alle Möglichkeiten nutzen. Wenn mir das nicht mehr möglich ist, will ich schnell und schmerzlos sterben. Ich vermute, dass ziemlich viele Menschen so denken oder empfinden. Die Antwort ist nur leider (auch wenn sie ziemlich plausibel erscheint) mit einigen Fallstricken versehen, die es einem ziemlich verleiden könnten, diese Antwort zu LEBEN.

Woher weiss ich denn, was ich mag? Und ändert sich das im Zeitablauf nicht? Es erinnert mich an einen Slogan einer Diätproduktlinie, die dem konsumierenden ICH die Erlaubnis erteilt, zu „bleiben, wie ich bin“. Dieses „bleiben“ ist aber gerade gar nicht möglich! Und was ist mit dem, was man nicht mag? Wer mag schon gerne Klo putzen? Wenn ich es nicht putze, habe ich allerdings recht schnell ein Problem! Oder ist das gar kein Problem, sondern nur scheinbar so? Selbsthilferatgeber sind voll davon, einem Hinweise darauf zu geben, wie man herausfinden kann, was man mag. Oder auch: was man nicht mag. Selbst wenn ich weiss, was ich mag, heisst das noch lange nicht, das ich es auch haben oder tun kann. Ausserdem tritt relativ schnell eine Sättigung ein, wenn man alles, was man mag (auch noch schnell!) bekommt. Der Hedonismus fasst die Position dieser Antwort ganz gut zusammen. Und dieser hat einige Grenzen, mal ganz abgesehen von möglichen moralischen Einwânden. Also gehe ich an die Sache nochmal anders heran. Was passiert denn, wenn ich tu, was mir gerade beliebt, was mir gefâllt, also: was ich mag? Vermutlich wird mir ziemlich schnell langweilig, oder ich gerate in ernste Entscheidungsdilemmata. Ein Stück Sahnetorte oder Leberwurstbrot? Oder beides – und in welcher Reihenfolge? Ins Kino, ein Buch lesen, schwimmen gehen? Uff! Das artet in Freizeitstress aus. Und ist es das, was wir irgendwann meinten, als wir sagten: Ich will leben, wie ich mag? Mir kommt der Song von Pippi Langstrumpf in den Sinn: … Ich mach, was mir gefällt …“. Mit nem Haus, nem Äffchen und nem Pferd und guten Freunden erlebt sie ne Menge Abenteuer. Sie nutzt den Möglichkeitsraum ihres Lebens, könnte man sagen. Aber wir sind ja nicht alle vom Schlage einer Pippi Langstrumpf, einer roten Zora, Robin Hoods oder Klaus Störtebeker. Abenteuer zu erleben scheint aber das Erlebnis, zu machen, was man mag, ganz gehörig zu beeinflussen. Die Lebensentwürfe oder -plänchen sind offenkundig ziemlich individuell. Welch Kontrast zum still meditierenden Zen-Buddhist, den Mönchen und Nonnen der Weltreligionen. Und doch scheinen alle, so etwas wie ein „selbstkongruentes“ Leben zu führen, wenn man ihren Äusserungen hierzu Glauben schenken darf. Und wie sieht es mit der achtzigjährigen Pippi aus? Ohne Pferd und Äffchen (die sind nämlich beide schon über die Wupper!). Also zurück zum Anfang, zur Frage: WIE will ich leben? Ich denke, unser Ausflug zu verschiedenen aber selbstkongruenten Ideen hat v.a. Eines gezeigt: die Antwort ist hochgradig individuell beantwortbar. Kann man leben, ohne sich diese Frage gestellt zu haben? Na klar, null problemo! Ich glaube jeder von uns kennt einige Menschen, die diese Frage wirklich und ehrlich noch nicht einmal begreifen, geschweige denn die Tragweite verstehen. Vielleicht gehören wir sogar manchmal dazu! Ich halte die Frage für wichtig. Wenn ich nicht wenigstens ne leise Ahnung davon habe, WIE ich leben möchte (oder will), was veranstalte ich denn dann während meiner Lebenszeit? Ist Leben dann wertvoll für mich? Ist es kostbar, gar ein Geschenk? Oder nur die zeitliche Abfolge von mehr oder weniger gleichen Tätigkeiten? Welcher Sinn liegt dann in meinem Leben? Meine eindringliche Bitte an meine Leserinnen und Leser. Stellt Euch die Frage immer wieder. Überprüft, ob Euch die Antworten passen, gefallen, verängstigen, schrecken oder Euch amüsieren. Aber stellt Euch die Frage, stellt Euch Euerem eigenen Leben! Die Konsequenz daraus, diese Bitte zu ignorieren, führt letztlich dazu, irgendwann einmal keine Antwort mehr geben zu können und äußerst leidvoll Abschied nehmen zu müssen vom Leben. Klar, sterben müssen wir alle, aber: wieviel Leid und Schmerz muss damit verbunden sein?

Kommen wir zur zweiten Frage: WELCHE Möglichkeiten will ich nutzen? Es ist die zweite Frage, weil Möglichkeiten sich aus den Werten und Haltungen, die in der Antwort der ersten Frage stecken, erst ergeben. Sie werden erst als Möglichkeiten erkennbar, wenn sie im persönlichen „Wertekorridor“ liegen. Denn sonst erscheint Alles als möglich. „Everything goes!“ oder „Geht nicht – gibt’s nicht“ sind die Plattheiten, die uns unbegrenzte Auswahl (unabhängig von unseren Fähigkeiten und unseren Werten) suggerieren. Für den reflektierten Menschen geht eben nicht „alles“. An dieser Stelle habe ich eine Pause gemacht, um eine Spitzmaus zu beobachten, die sich über meine Brotkrumen hermacht und habe dann die Wolken am Himmel angeschaut. Gedankenleer und still, ohne irgendetwas anderes als gerade dies tun zu wollen. Die Rezeption gehört genau so zum Möglichkeitsraum wie die Aktion. Für mich ist die Kontemplation, das „nicht etwas in der Welt tun,“ sehr befriedigend. Und wenn die Schalen der Waage gefüllt sind mit Alleinsein, verlangt Etwas in mir nach Ausgleich. Dann zieht „es“ mich in die Welt mit ihren farbenprächtigen Verlockungen. Nicht, dass in mir nicht auch Farben wären. Aber sie sind eher gedeckt. Manchmal sind es nur Schattierungen von grau, weiss und schwarz. Für mich ist (trotz der Einzigartigkeit und des Wertes von) Leben ne Menge Banalität, Selbstverständlichkeit und ironische Komik darin. Beispielsweise stelle ich mich, was handwerkliche Sachen angeht, ziemlich ungeschickt an, was jeder bestätigen wird, der mich kennt. Ich traue mir das oft auch nicht zu. Aber das ist ein anderes Thema.. In mir selbst gibt es Auslöser und Beweger hin zu möglichen Handlungen. Die Welt bietet mannigfaltige Handlungen (oder Ersatzhandlungen?) an, lädt offenherzig ein, mitzumachen (manchmal kostet das allerdings „Schmerzens-„geld).

Die beiden Fragen nach dem eigenen Tod und dem (selbstgewählten) Moment des Sterbens überlasse ich zunächst einmal Dir allein, liebe LeserIn, lieber Leser …

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