Welcher Konflikt liegt unserem Unfrieden zu Grunde?

ahimsa

In unseren Gesellschaften gibt es – trotz hohem allgemeinem Lebensstandard – Ungerechtigkeit. Die Ungerechtigkeit geht dabei von Werten aus, die formell und legalistisch die Gleichheit der Bevölkerung betonen, in der Realität aber Ungleichheit und Uniformität befördern. Ungleichheit ist tatsächlich eine vitale Grundtatsache der Differenz zwischen einzelnen Personen. Diese faktische Differenz unterscheidet trennscharf zwischen dem jeweils Eigenen und Fremden. Aber diese Differenz – oder Polarität – bezieht sich auf die Inhalte dessen, was jeweils als „eigen“ bzw. „fremd“ bezeichnet wird. Die Etikettierung und Aufspaltung schafft damit eine Ungleichheit, die gemeinsame Entwicklung erschwert oder unmöglich macht. Strukturell – und nicht inhaltlich – kann eine derartige Ungleichheit meines Erachtens nicht gefunden werden. Die Fragen, denen sich Menschen in ihren Leben gegenüberstehen, sind die gleichen. Das meine ich mit Struktur. Nur die Antworten, die sie darauf geben, unterscheiden sich. Das meine ich mit Inhalt.

Ich trete ein dafür, dass jeder Mensch – ungeachtet einer Etikettierung – und damit Engführung auf eine Gruppenzugehörigkeit – individuelle eigene Freiheitsrechte leben darf. Auch wenn die Entwürfe des Lebens und deren Umsetzung mir inhaltlich nicht gefallen, halte ich an diese Rechten fest. Das Recht des Einzelnen / der Einzelnen ihr / sein Leben frei gestalten zu dürfen ist für mich der wichtigste Maßstab zur ethischen Beurteilung von Werten, Haltungen, Handlungen und Verhalten. Über das Recht auf „freies Selbstsein“ geht mir kein anderes Recht. Es steht für mich an der Spitze einer Zielpyramide, daraus ergeben sich andere Rechte, wie nach Orientierung, Sicherheit, Beziehung und Zugehörigkeit, Leistung oder der (Eigen-)Mächtigkeit des Individuums.

Ich vertrete eine Ethik der Freiheit des Individuums. Damit sind weder Unter- noch Überordnung vereinbar. Gewalt ist das älteste Mittel zur Durchsetzung von Herrschaft – also der Unter- und Überordnung von Menschen gegenüber Menschen. Hierarchie beschreibt den Modus dieser Bewertung von Menschen bezüglich ihrer Position in der Gesellschaft. Hierarchien sind die dominierenden Ordnungsinstrumente einer Gesellschaft, die die Einzigartigkeit und Besonderheit des Individuums in letzter Konsequenz negiert. Daher wird Gewalt im Staat monopolisiert, mit dem Ziel, Abweichung von der Norm zu bestrafen. Ich wünsche mir eine – oder eher: viele Heterarchien. Nebenordnungen gesellschaftlichen Lebens ohne die Notwendigkeit, Herrschaft von Menschen über Menschen zu etablieren.

Der Anarchismus ist im wesentlichen die politische Theorie (und Praxis) Herrschaftsfreiheit zu begründen, zu bewahren und fort zu entwickeln. Der Individualanarchismus im Besonderen betont dabei die Freiheitsrechte des Individuums. Eng damit verbunden ist das Recht auf Eigen-Gesetzlichkeit. Der Mensch, der nach seinem eigenen Gesetz lebt – ja, der sich sein eigenes Gesetz zu geben im Stande ist – wird autonom genannt. Heteronomie bezeichnet den Modus, nach fremdem Gesetz leben zu sollen – oder zu müssen. Autonomie und Freiheit sind Geschwister für mich, die in ihrer Umarmung zärtlich und liebevoll nichts abweisen aber alles umarmen können.

Ich will nicht die bestehenden Gesetze abschaffen oder anderen meine Werte aufdrängen. Aber ich möchte dies auch nicht im umgekehrten Fall erleiden. So wenig, wie ich mich beherrschen lasse, will ich andere beherrschen. Diese Haltung stößt immer dann auf Widerstand, wenn sie entschlossen, ohne Bedingungen gelebt wird. Der Widerstand entsteht da, wo die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden spürbar werden. Jeder Schritt, den ich gehe, gehe ich in Richtung auf „das Fremde“. Und während ich mich nähere, muss niemand flüchten, weil ich nicht eindringe. Aber ich gehe – Schritt für Schritt. Und wenn viele einzelne Menschen Schritt für Schritt wagen in ihrer eigenen Freiheit und aus ihrer eigenen Autonomie entsteht Gemeinsamkeit. Genau die Art von Gemeinsamkeit, für die es sich meines Erachtens lohnt, zu leben. Eine Gemeinsamkeit ohne Zwang mit Lächeln und Freude im Gesicht.

Wenn Lächelnde gehen, treffen sie auf diejenigen, die stehen bleiben oder sich ihnen in den Weg stellen etc. Unfrieden im Volk entsteht da, wo die Stärke einer Gemeinschaft, die vorbehaltlos, bedingungslos und entschlossen für ihre gemeinsamen Werte gewaltfrei eintritt auf den Rest trifft. Wer soll jetzt weichen? Welcher Konflikt entsteht dann? Wer ist progressiv? Wer tanzt? Wer braucht Macht? Dort an dieser unsichtbaren Demarkationslinie zwischen denen, die – einzeln und frei – Schritt für Schritt ihre eigenen Leben schöpferisch gestalten und denen, die genau das nicht wollen, an dieser Grenze entsteht der ursächliche Konflikt, dem ich entschlossen entgegen gehe. Denn: ich habe nichts zu verlieren. Und wer diesen Weg mitgehen will, sei hiermit eingeladen.

Direktes Handeln, direkte Tat verändert die Lebenswirklichkeit Aller gleichzeitig. Für mich gibt es keine Feinde und keine Widersacher, weil ich vor nichts mehr weglaufe. In meinem Herzen ist Liebe, die keine andere Bedingung mehr stellt, als: Folge Dir selbst! Und ich bin tief überzeugt davon, dass dies am besten im „Miteinander Tun“ realisiert werden kann. Das ist freilich ein Kampf – aber es ist kein Krieg! Oder: es sind KriegerInnen, die diesen Weg gehen und freimütig die Gewalt ihrer Kämpfe zurücklassen. Und genau deshalb sind es die HeldInnen einer neuen Zeit – unsicher, scheiternd, sich selbst reflektierend, tanzend, weinend und lachend. Ganz und gar Menschen – Menschen dieser Erde. Willkommen!

 

 

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