Alle großen Dinge müssen zuerst furchterregende, monströse Masken tragen, um sich ins Herz der Menschheit einzuprägen.

Jim Morrison

Aus Oliver Stone’s „The Doors Biography“:
„‚Der Film wird in fünf Momenten beginnen‘, sagte die seelenlose Stimme an.
Wer keinen Sitzplatz hat, muß die nächste Vorstellung abwarten.‘
Wir schlängelten uns langsam, lässig in den Saal. Ein gewaltiges Orbitorium dumpfer Stille.
Als wir saßen, verdunkelt wurden, fuhr die Stimme fort:
‚Nicht neu ist des Abends Programm,
Sie haben es genossen, dann und wann.
Es zeigt Geburt, Tod oder auch ihr Leben,
Den Rest konnten sie sich selber geben.‘
Hatten Sie eine nette Welt während Ihres Todes?
Reich genug für einen Film?“

„Sind alle drin? Sind alle drin?
Sind alle, alle drin?
Die Zeremonie kann gleich beginnen.
Ich möchte Euch erzählen vom Schmerz
Und vom Verlust Gottes.
Umherirren, irren durch die hoffnungslose Nacht.
Hier draußen im Grenzbereich gibt es keine Sterne.
Hier draußen sind wir versteinert, stoned, unbefleckt.“

„Nietzsche sagte:
Alle großen Dinge müssen zuerst furchterregende, monströse Masken tragen,
um sich ins Herz der Menschheit einzuprägen.
Hört, Kinder, das Dröhnen der Nürnberger Nacht!
Und raus führt der Schamane in eine sinnliche Panik.
Er verhält sich wie ein Wahnsinniger.
Professionelle Hysterie.
Habt Ihr je Gott gesehen?
Ein Mandala, ein symmetrischer Engel.
Wir empfingen unsere endgültige Vision durch die Syphilis.
Kolumbus Schoß wurde mit grünem Tod gesättigt.
Ich berührte ihre Schenkel.
Und den Tod.
Diese Welt, dieses Energiemonstrum,
Ohne Anfang, ohne Ende.
Gleichermaßen ohne steigendes Einkommen.
Nichts enthüllend.
Diese Welt.
Diese Welt ist ein Pfad zur Macht.
Und sonst nichts. Gar nichts.“

„Jetzt bin ich zurückgekehrt in das Land der Aufrechten, der Starken und Weisen.
Brüder und Schwestern jenseits des bleichen Waldes und Kinder der Nacht,
Wer von euch will hetzen auf der Jagd?
Jetzt kommt die Nacht mit ihrer purpurnen Legion.
Zieht euch nun zurück in eure Zelte und in eure Träume.
Denn morgen betreten wir die Stadt meiner Geburt.
Ich möchte bereit sein.“

Pam: „Weißt du, daß ich auf meinem ersten Trip Gott gesehen habe?
Und ich habe einen Freund gesehen. Er war Jesus, aber er war auch Judas.
Weißt du, und dann wußte ich, daß irgendwie das das Geheimnis ist.
Wir sind alle eins. Das Universum ist eins.
Und daß alles, das geschieht, wundervoll ist.“

„In allen Gedichten stecken Wölfe, nur in einem nicht, dem wunderbarsten von allen:
Sie tanzt in einem Ring aus Feuer.
Und schüttelt ab die Bedrohung mit einem Schulterzucken.“

„Ihr Plastiksoldaten in einem Miniaturpapierfetzenkrieg!
Los kommt schon!
Wie viele Menschen wissen, daß sie leben?
wie viele Menschen wissen, daß sie wirklich leben?“

„Schließt eure Augen!
Seht ihr die Sterne?
Seht ihr die Schlange erscheinen?
Ihr Kopf ist vier Meter lang und zwei Meter breit.
Sie hat ein rotes und ein grünes Auge.
Wenigstens sieben Meilen lang.
Tödlich.
Seht ihr’s?
Die Geschichte der Welt ist auf ihren Schuppen.
Alle Menschen, alle Handlungen.
Wir alle sind nur Bilderchen auf ihren Schuppen.
Gott.
So gewaltig.
Und sie bewegt sich.
Sie verschlingt unser Bewußtsein.
Verdauende Macht.
Monster voller Energie.
Sie ist ein Monster.
Und wir?
Küssen wir die Zunge der Schlange!
Küssen wir die Schlange!
Aber, wenn sie Angst spürt, wird sie uns sofort fressen.
Aber, wenn wir sie ohne Angst küssen, führt sie uns durch den Garten.
Durch das Tor.
Zur anderen Seite.
Reitet auf der Schlange!
Ans Ende aller Zeiten.“

„Ich glaube an das lange, verlängerte Durcheinander der Sinne,
um das Unbekannte zu erreichen.
Oh, ich lebe im Unterbewußtsein.
Unsere blaße Vernunft verbirgt das Unendliche vor uns.“

Yatha bhutam

buddha

Yatha bhutam

 

Yatha bhutam (Sanskrit) lässt sich mit Batchelor am ehesten im „wie sich die Dinge herausgebildet / entwickelt haben“ übersetzen. Im Buddhismus wird zwischen alltäglicher, weltläufiger und höchster, spiritueller Wahrheit unterschieden. Im Bereich höchster Wahrheit liegt die Versuchung nahe, Yatha bhutam mit „wie die Dinge (wirklich) sind“ zu übersetzen. Damit wird eine SEINslehre, eine Ontologie behauptet bezüglich des wirklichen Wesens der Dinge. Davon hat der Buddha aber nirgends gesprochen.

 

Im Gegenteil! Der Buddha kümmerte sich weder um die mögliche Dualität eines Körper / Geist – Komplexes noch um letztendliche Fragen des Seins / Nicht-Seins. Ihm ging es um Aufmerksamkeit, Achtsamkeit eben dafür, WIE sich die Dinge, die unseren Sinnen als Phänomene begegnen WERDEN, wie sie sich entwickeln. Dabei nimmt er weder eine (radikal) konstruktivistische Position ein (Wir erschaffen die Wirklichkeit ausschliesslich in unserem Hirn) noch trat er für (ewig) beständige Seinsmerkmale des Existierenden ein.

 

Die Position des Buddhismus ist nicht wirklich schwer mit dem Verstand zu begreifen. Aber sie ist weitgehend unerhört in den Zeitaltern an den meisten Ohren vorüber geweht. Die Wechselwirkung von Menschen, Gegenständen etc. bildet heraus, wie die Dinge werden. Nicht wie sie sind, nicht wie sie wahrgenommen oder konstruiert werden! Es ist die unablässige Interaktion, die jeden Augenblick handgreiflich Wirklichkeit schafft. Es sind Phänomene, die mit Phänomenen interagieren. Kein Phänomen ist unabhängig vom anderen – in dieser wechselseitigen Abhängigkeit entsteht der Daseinskreislauf.

 

Alle Phänomene sind leer (sunya). Das ist die zentrale Aussage des Buddhismus. Das ist die höchste Wahrheit. Nicht in dem Sinn, als das (gleichsam durch die Hintertür) nur wieder eine Ontologie (freilich eine negativ definierte) eingeführt würde. Sondern im Sinne von Unbeständigkeit, sich laufend neu dynamisch etablierend und vergehend. Darin läßt sich beim besten Willen kein Eigen-Sein finden. Kein die Zeit überdauerndes Wesensmerkmal.

 

Alles hat kein Eigen-Sein. Wer ist dann eigentlich der Mensch, der ich bin? Warum ist alles gut – so wie es ist – oder noch besser: WIRD? Welche mannigfaltigen Anteile in mir machen mich aus? Gibt es welche, die unabhängig von meiner Beziehung zu anderen sind? Wieviel von dem, was ich gewohnheitsmässig „ich“nenne, unterscheidet sich von irgend einem anderen? Was in mir ist ganz anders als alles andere? Nichts – und wieder: Nichts! Es gibt keine auffindbare Differenz. Jedes Mal, wenn ich diskriminieren kann zwischen „meinem“ Eigenen  und etwas Anderem, was stelle ich dann fest? Was habe ich gefühlt, was kein anderer Mensch gefühlt hat? Was habe ich gespürt, gedacht, erlebt, erfahren? Worin unterscheidet sich mein Körper auch nur in einem einzigen Element vom Körper anderer Lebewesen? Je länger ich diese Betrachtungen anstelle, desto klarer wird mir gewiss: Es gibt kein eigentliches Sein, nichts Gesondertes, nichts Besonderes. Alles in mir gibt es irgendwoanders noch einmal – genau das Selbe. Es gibt keinen, der mir aufs Haar gleicht. Keinen, der „ich“ wäre neben mir.

 

Die Kombination aus Daseinsfaktoren wie den fünf Skhandas des Buddhismus (Körper, Gefühl, Wahrnehmung, Geist und Bewusstsein) ist in jedem Moment meiner Existenz einmalig und gesondert von allen anderen Phänomenen. Diese Gesondertheit ist zeitlich instabil. Laufend „zerfallen“ die Inhalte der Skhandas und es enstehen neue Inhalte in ihnen. Die „Welt“, das ist alles, was phänomenologisch als „Nicht-Ich“ erkennbar ist. Die Konfiguration dessen, womit wir mit der Welt interagieren ist in dauernder Veränderung begriffen. Der äussere Ausdruck unseres Ichs – die Person(a) – steht weder fest noch ist sie unabhängig von der Welt. Die Person entsteht in Abhängigkeit zu der Welt in jedem Augenblick erneut, sie ist in einem steten Wandlungsprozess begriffen. Was sich laufend verändert, ist nicht eigentlich. Es begründet keine identifizierbare Entität, die über Zeit und Raum identisch mit sich selbst bleibt. Die Dynamik des Daseins erlaubt uns nicht, an einem gesonderten „ich“ festzuhalten, weil wir dieses Ich nicht auffinden können – selbst wenn wir wirklich lange danach suchen.

 

Wir sitzen als Beobachter in einer offenen Weite. In ihr tauchen Phänomene auf, werden gross und erblühen, um wieder aus dem Blickfeld zu verschwinden. Irgendwann verschwinden auch wir selbst. DAS ist die Natur unterschiedlosen Werdens. Ein Pferd taucht am Horizont auf, wir beachten es nicht besonders, es trabt an uns vorbei und verschwindet. So geht es mit allen Phänomenen. Sie sind nicht von Dauer. Alles ist in Veränderung begriffen.

 

Wenn alles in Veränderung begriffen ist, woran sollen wir uns dann halten, wenn der Schmerz daran, wie es in einem Moment gerade ist, unaushaltbar wird? Wenn wir auseinandergerissen werden durch das, was aktuell ist? Was, wenn wir nicht in Seelenruhe wissen, dass Unbeständigkeit der Phänomene auch für diesen schmerzlichen Moment gilt? Weil wir übermannt, überwältigt sind? Weil wir dieser Schmerz sind? Wäre dieser Schmerz – um in unserem Bild zu bleiben – eines der Pferde: wir würden es in diesem Moment fokussieren, würden den Eindruck von ihm festhalten. Wir verleihen ihm Dauer und Substanz.

 

Dann nutzt uns unser Wissen nichts und wir leiden. Dieses Leiden wird sozusagen noch auf das „Schmerz-Pferd“ aufgesattelt. Schmerz plus das Leiden daran, dass er nicht vergeht. Wo wir doch tief und fest wissen, dass Alles vergeht! Dass nichts Eigen-Sein hat. Jeder Versuch, den Schmerz „los zu werden“, schlägt fehl. Nichts gelingt. Und wir fühlen uns unendlich einsam und abgesondert von allem. In der Isolation, die sich dann auf den Sattel des „Schmerz-Pferds“setzt, wird etwas Neues geschaffen: ein fokussierter Traum auf den Schmerz-Reiter samt Sattel und Pferd. Und gerade weil wir diesen Reiter schaffen, reitet er uns weiter. Er dient uns treu, weil er unser Geschöpf ist. Und wir haben ihn ausgestattet mit Aufmerksamkeit, die wir auf seinen Ursprung– den Schmerz – gelenkt haben. Eine Aufmerksamkeit freilich, die willentlich eben diesen Schmerz beseitigen will. Dieser Versuch ist es, der das Unterfangen in sich so beschwerlich und wenig aussichtsreich werden lässt. Denn so lange wir meinen, der Schmerz könne durch irgend eine Gewalt, irgend eine magische Operation „beseitigt“ werden, bestärken wir seine (trügerische) Existenz. Wir gebären ihn in eine „Dauerschleife“ von Existenz. Wir machen dabei aus einem Phänomen, das unbeständig ist, etwas Stabiles, etwas Dauerhaftes – ganz ähnlich, wie wir an unserem gesonderten Ich festhalten.

 

Wir könnten uns ja irgendwie „ablenken“, in dem wir die Kapazitäten unserer Aufmerksamkeit auf ein anderes Objekt, ein anderes Phänomen lenken. Das kann tatsächlich ein wenig lindern. Leider ist unsere Kraft begrenzt und wir können nicht dauerhaft unsere Aufmerksamkeit davon abwenden, was uns schmerzt. Es kommt wieder. Es taucht wieder auf – und wir stehen vor dem gleichen Dilemma, das wir mittlerweile zur Genüge kennen. Also versuchen wir, uns wieder abzulenken. Unser ich durchschaut diese verzweifelten Versuche natürlich genau – und lässt sich so leicht nicht aus dem Sattel werfen. Es ist die gefühlte Isolation des Ichs, das die Ablenkung vom Schmerz so grausam untergräbt. Denn der Schmerz hat eine isolierende Wirkungsweise, die der des Ichs gleicht.

 

Wenn wir uns weder ablenken können, noch den Schmerz aushalten können, was bleibt uns denn dann? Wir könnten uns töten! Das scheint eine ultimative Lösung des Problems zu sein. Ich glaube nicht, dass das so ist. Ganz entschieden halte ich das für nicht hilfreich. Weil das Problem dadurch nur scheinbar gelöst wird. Die Entkörperlichung nimmt das Subjekt aus der Geworfenheit, indem das Ich entfernt wird. Bei der Selbsttötung wird allerdings der Körper getötet – nicht das Ich! Das ist wesentlich für meine Einschätzung bezüglich der Selbsttötung. Das Problem wird nicht dort gelöst, woher es stammt, sondern der Körper muss dafür herhalten, ein Problem des Geistes zu entfernen. Bei grossem Mitgefühl mit dem unermesslichen Leiden, den Schmerz verursacht, meine ich: Das Ich zu töten und den Körper leben zu lassen könnte als ein wichtiger Schritt zur Befreiung betrachtet werden. Allerdings tue ich mich schwer mit dem „Töten“ – es ist ja nicht das Ich selbst, das die Wurzel des Problems ist. Es ist vielmehr eine Funktion des Ichs, das verursachend ist: Die Stabiliserung von impermanenten Phänomenen! Diese Funktion ist meines Erachtens die wurzelmässige Ursache des Problems. Wenn diese Funktion aufhört, eingesetzt zu werden, sollte auch das dadurch geschaffene Problem verschwinden. Der körperlichen Selbsttötung ist die Modifikation einer Ichfunktion meines Erachtens vorzuziehen.

 

Unser „Ich“ ist weder problematisch noch schlecht, es ist einfach nur ein Bündel von Inhalten der Daseinsgruppen in einem Moment des Lebens. Die Eigenart des Ichs, an bestimmten Inhalten – seien sie angenehm, unangenehm oder neutral – festhalten zu wollen, gerade diese Funktion schafft Leiden. In Sanskrit wird das Leiden auch „dukkha“ genannt. Dukkha ist etwas Süßliches, Wohlschmeckendes. „Leid ist süss“, könnte man in diesem Kontext also sagen. Tatsächlich sind die romantischen Lieder voll von süsslicher Leidenschaft. Selbst der Schmerz kann Lust auslösen. Aber eben nur so lange, wie der Fokus nicht auf dem Schmerz, sondern der Lust liegt. Selbst dieser Fokus auf die Lust ist nur eine Spielart der permanenzgenerierenden Ichfunktion. Denn Dukkha ist auch das, was „schwer zu ertragen“ ist.

 

Wenn ich ein Problem habe und keine Lösung, dann werde ich depressiv. Wenn ich demjenigen, der das Problem verursacht hat, sein Problem zurückgebe, dann bin ich nicht mehr depressiv. Dann hat der Andere ein Problem. Aber das ist nicht mehr mein Problem. Wer ist derjenige, der das Problem verursacht hat? Es ist die Funktion des Ichs, die aus unbeständigen Phänomenen dauerhafte macht, weil das Festhalten daran einen scheinbaren Lustgewinn oder die Vermeidung von Unlust bedeutet. Aber aus welchem Grund sollte das Ich am Schmerz festhalten? Welcher Gewinn, welcher Sinn liegt darin? Vermutlich gar keiner! Unser Ich hat sich allerdings daran gewöhnt, so zu verfahren. Vermutlich war das irgendwann einmal überlebenswichtig. Irgendwann einmal war die aufgerufene Funktion des Ichs lebensbejahend und hat positive Wirkungen entfaltet. Unser Ich ist in dieser Beziehung wohl etwas faul oder träge. Unsere Aufmerksamkeit wird – gegen unseren Willen – auf den Schmerz gelenkt. Wenn darin irgend ein Sinn zu finden sein könnte, dann vermag ich nur zu vermuten:„Schau genau da hin! Hier ist ein wichtiges Problem, dass du lösen solltest. Und solange es nicht gelöst ist, werde ich deine Aufmerksamkeit auf den Schmerz richten!“. So gesehen, dient uns das Ich dabei, das Problem zu lösen. Einmal mehr ein Grund, nicht das Ich, sondern gerade nur diese Funktion des Ichs zumodifizieren.

 

Der Lösungsweg entfaltet sich. Wie kann die Ichfunktion derart modifiziert werden, dass sie dem Erleben bezogenen Eingebundenseins in unser gemeinsames Leben nicht mehr entgegensteht? Was ist zu tun? Wie muss es getan werden, damit Erfolg damit erreicht werden kann? Wenn ich das Bild des erträumten Schmerz-Reiters bemühe, muss die Isolation aus dem Sattel geworfen werden. Das Leiden daran, den Schmerz zu spüren muss aufgegeben werden. Der Schmerz muss erkannt werden als unbeständig und ohne „Eigen-Sein“ und dabei losgelassen werden. Die Isolation aus dem Sattel werfen, den Sattel des Leids aufgeben, das Schmerz-Pferd loslassen: dann bleibt nichts übrig von demSchmerz-Reiter. Er ist wieder da, wo er vorher war: in der Leere unterschiedslosen Werdens.

 

Wo soll ich beginnen, das Problem zu lösen? Beim Reiter, dem Sattel oder dem Pferd? Woher soll ich die Kraft nehmen, das überhaupt zu tun? Wenn es leicht wäre, hätte ich das doch längst getan! In mir steigen Zweifel auf, ob es überhaupt möglich sein kann, diesen Weg zu gehen. Diese Zweifel untergraben die Lösung, sie sind Teil des Problems! Wir mögen kognitiv all’ das verstehen und sehen uns trotzdem ausser Stande, irgend etwas Sinnvolles damit anzufangen. Zu abgehoben oder theoretisch sehen wir in den Schilderungen kein praktikables Handlungsprogramm, das wir„durchführen“ können.  Wir spüren keine persönliche Relevanz, kein Ergriffensein von all’ dem. Das ist gut so – und es ist ausdrücklich beabsichtigt. Es gibt nämlich nichts zu tun, nichts zu machen!

 

Welchen Ratschlag sollte ich dem Menschen schon geben, der Schmerzen leidet? Wie käme ich dazu, mir anzumassen, ihm mehr als meine Hilfe anzubieten – nicht: sie ihm aufzudrängen? Jemand, der hilflos und entkräftet dem ihn ganz ausfüllenden Schmerz ausgeliefert ist, den kann ich nicht mit Ratschlägen traktieren. Und praktische Handlungsanleitungen, die emotionale Ergriffenheit mitbedeuten, wären Gift für den Zustand des Menschen, der mich um meine Hilfe ersucht. Es würde das Festhalten nur intensivieren. Was ist objektiv? Was ist der Sache nach gerade los? Dazu braucht es nicht Gefühl,sondern Verstand. Das muss nicht der schwere Ernst sein, das kann auch ganz leicht daherkommen.

 

Leicht bei klarem Bewusstsein mit eingeschaltetem Verstand kann der Lösungsweg begangen werden. Der richtige Weg (zumindest der, den ich für richtig halte) ist nicht schwer. Er ist so verblüffend leicht, dass er auf den ersten Blick wie ein Witz, ein Scherz aussieht. „Alles hat kein Eigen-Sein“ hatte ich ganz zu Beginn dieses Textes geschrieben. Was würde geschehen, wenn dieser Satz für mich Gültigkeit hätte, wenn ich mich dazu entschlösse, zu akzeptieren, dass „es“ so für mich stimmig ist? Wenn Eigen-Sein (also die Zeit überdauernde Eigenschaften eines Phänomens, die es vom Rest aller anderen Phänomene sondert) nicht aufgefunden werden kann, was bedeutet das dann für„Alles“? Vielleicht das nicht „Eigen-Sein“ ist, sondern „Alles“ wird? Dieses„Alles wird“ beschreibt positiv den Zustand des sich in Abhängigkeit Herausbildenden, in dem nichts Gesondertes zu finden ist.

 

Das „Ich“ ist der Prototyp des „Gesondert-Seins“. Da wir die Prämisse „Alles hat kein Eigen-Sein“– zumindest probatorisch – akzeptiert haben, ist es genau so positiv – oder„gut“, dass „Alles wird“. Es muss nicht erst gut werden, es ist bereits jetzt in diesem Moment, in dem wir vor Schmerz überwältigt am Boden liegen, gut. Das klingt zynisch im Angesicht des Schmerzes, des Leids und der Isolation, die der Mensch erleidet. Aber es ist gar nicht zynisch gemeint, sondern das ist Mitgefühl ohne jede Spur süsslichen Mit-Leidens. Mitgefühl, das nicht schon wieder Dukkha schafft. Mitgefühl aus klarem Geist und Verstand. Mitgefühl, das sich niemals aufdrängt. Mitgefühl, welches das Leiden enden will – aus ganzem Herzen. Mitgefühl, das die Persönlichkeit des Anderen achtet, ohne sich in den dysfunktionalen Ichfunktionen zu „verstricken“.

 

Daher trägt der Satz „ALLES WIRD“ eine schmerzstillende, leidaufhebende und isolationsabwerfende Bedeutung insich. Genau diese kann hilfreich genutzt werden. Parallel zum Schmerzerleben wird das lebendige Bild dieses Satzes aktiviert. Dabei werden die tieferen Schichten des Menschen (sein Wesen, sein Selbst) geweckt. Gemeinsam mit dem bewussten Verstand wird eine Spannung erzeugt, die die Kraft entstehen lässt, dem Festhalten am Schmerz zu begegnen: mit Kraft aus dem Selbst und dem Verstand. Es gibt praktische Anleitungen dazu, wie genau so etwas getan werdenkann. Diese können aber nur praktisch weiter gegeben werden, wenn sie denn jegegeben werden können. Man sollte nicht glauben, ich wisse etwas, was dem anderen Menschen verborgen ist. Alles wird – so ist es gut! YATHA BHUTAM

 

Nachtrag (13/09/13):

Wenn das Pferd samt Sattel und Reiter stahlbetoniert die Sicht versperrt, weil der Mensch traumatische Erfahrungen erlitten hat: Was mache ich dann nach der harten Arbeit, den ganzen Beton wegzuhämmern? Habe ich dann noch genug Kraft und Mut, mich auch noch mit dem Rest zu beschäftigen? Vertrauen: Vertrauen und der Glaube daran, dass Mitgefühl und Liebe alles an den rechten Platz rückt: in die Mitte des Menschen. Der Mensch hat ungeheure Kraft und er ist mutig. Wenn er weiss, was er tut, kann er tun, was er will.

Praktische Intelligenz aus SelbstLIEBE

Ich durfte erleben, dass Menschen die unmöglichsten Situationen – diejeningen, die sie in ihrem Wesenskern am stärksten herausforderten – mehr als überlebt haben.

Nicht als Fassade oder Maske über ihrem Selbst einer augesetzten Haltung, die in den Stunden danach (allein oder einsam) in sich zusammen brechen.

Nicht in einer duldenden, sich selbst opfernden Weise, die sie verletzt am Boden liegend zurücklässt an einem Ort, den keiner mehr sieht, weil er den Augen der Welt entzogen ist.

Nicht in einer arroganten, die Berührung durch die Zumutung der Herausforderung wirsch ablehnenden gewaltbereiten Abwehrhaltung.

Nicht in einer ignoranten, die Bedrohung des Eigenen nicht wahr und ernst nehmenden Pose.

Nicht in einer depressiv-schüchternen Haltung, die den Sturm, die Flut über sich ergehen lässt in der Hoffnung, man könne sich später wieder herstellen, sich reparieren und wieder heil werden.

Nicht in einer Haltung, die das eigene Selbst als unwürdig und wertlos begreift und daher meint, „es letztlich zu verdienen“.

Stattdessen habe ich stärkste und sanfteste Menschen kennen lernen dürfen.
Sie stellen sich in Stolz und Würde den Zumutungen.
Sie begrüssen die Chancen des eigenen Selbstwachstums darin.
Sie „umtanzen“ die darin auftauchenden Widerstände –
ohne ihr eigentliches ZIEL aus dem SINN zu verlieren.
Sie sind bereit, die eigene Ver-HALTUNG, die Fehl-HALTUNG als Fehler zu zu geben.
Sie sind offen für das, was ihnen in dieser bedrückenden, niederschlagenden Situation mit ihnen geschieht.
Sie behalten die Spürung zu sich selbst, zu ihrer eigenen Bestimmung.

Ich habe alles das erlebt, ich war beteiligt, ich habe es mit erlebt, es erfahren, es begriffen, verstanden und in mich als Bild aufgenommen. Ich habe in langen Gesprächen nachgefragt, ob meine Wahrnemung für die Beteiligten korrekt sind bezüglich ihrer Handlungen. Dies wurde mir so bestätigt, wie ich es gerade beschrieben habe. Ich habe das darin liegende Formgebende für mich übersetzt und extrahiert. Ich habe geprüft, ob mir es etwas nutzen würde, so handeln zu können. Ich konnte meinem Grund nach „JA“ und „GO“ dazu sagen. Ich habe überprüft, ob es noch Vorbehalte dagegen gibt. Ich konnte bislang keine finden. Es gibt nichts, dass mich daran hindert und es gibt gute Gründe, die in mir Gefühle der Freude erzeugen, es in meine HALTUNG zu integrieren. Also habe ich begonnen, ES zu üben.

ES ist willentlich für mich nicht gut zu bewerkstelligen. Ich kann mich nicht dazu zwingen. Ich spüre sonst unmittelbar den abwehrenden, mich schützenden Impuls alles und jedes um mich herum niederzutrampeln. Ich bin spontan eher bereit, jegliche Berührung im Kern zu ersticken, als zuzulassen, dass mein Kern verletzt werden könnte. Wenn ich also willentlich versuche, Schutz und Geborgenheit ohne Verhärtung und Gewalt / Grausamkeit zu erlangen, bricht mein Begehren danach mehr oder weniger rasch in sich zusammen.

Also bin ich tiefer getaucht. Und dort habe ich gesehen, dass es eine Situation gibt, die mir ermöglicht, der WELT zu trotzen ohne meine Züge dabei verzerren zu müssen. Darin bin – und bleibe – ich offen für die sich mir (entgegen)stellenden Herausforderungen, ich behaupte mein Eigenes ruhig und klar. Ich behalte meine Würde und meinen Stolz. Und ich kann annehmen, was mir geschenkt wird. Jeder Tyrann da draussen kann die „Knöpfe“ meiner Schmerzprogramme drücken, solange ich ihn nicht „aus den Angeln“ hebe. Dazu brauche ich Handlungsfähigkeit und Flexibilität, ich brauche schnelles gekonntes Handeln, damit keiner verletzt wird. Ich brauche umfängliche, ganzheitliche Wahrnehmung, Ernst zu nehmen, Aufmerksamkeit, die in den Raum geht, die Bereitschaft schnell zu fokussieren und wieder loszulassen. Ich kenne diese Situation, in der ich wohl geordnet, in meiner Form bleibe und aus meiner Mitte, aus meinem Grund handeln (nicht reagieren!) kann. Ich bin und bleibe ich selbst, ohne mich formlos aufzulösen und mit dem anderen Menschen zu verschmelzen. Ich muss mich auch nicht verhärten und verspannen oder mich abtöten.

Und dort – in diesem BEWUSST-SEIN bin ich. Und ich kann in dieses BEWUSST-SEIN leicht und einfach eintreten. Hier liegt die praktische Intelligenz meines SEINS. Mein konkretes Handeln ist von tiefer Liebe zu meinem WESEN gekennzeichnet. So gelingt es mir, meinen gestählten WILLEN so zu benutzen, dass er zu einem Werkzeug des wahren KRIEGERS in mir wird. Das leibliche GegenwärtigSEIN erlaubt dem KÖNIGlichen Bestimmer in mir, aus und für diese Liebe einzutreten. Ich bleibe empfänglich für die Lehren der jeweiligen Situationen, indme ich meine Verstand bestimmungsgemäss nutze und meinem MAGIER die nötigen Informationen zukommen lasse, die er braucht, um gegebenenfalls zu transformieren, was noch schattig west. Ich gebe freigiebig mit meinen Emotionen als LIEBHABER. Das bewahrt mich wirksam davor, abhängig und süchtig zu werden. Die Energie für all diese Prozesse kommt aus der Mitte, die mich verbunden bleiben lässt. Dort treibt ES mich voran, aber: immer zu MIR, zu MIR – im Feld gemeinsamer Interaktion bleiben wir und werden wir, wer wir wesentlich sind.

 

Und hier die Übersetzung in kurze, knappe, hoffentlich verständliche Worte basierend auf der PSI-Theorie von KUHL.

Stresssituationen sorgen dafür, dass Menschen sich nicht immer so verhalten, wie es eigentlich und wesenhaft zu ihnen passt.
Eine wesentliche Begründung hierfür ist der Verlust des eigenen Selbstzugangs.
Sobald in einer (belastenden) Stresssituation der Selbstzugang wieder hergestellt werden kann, kann mit der (objektiv weitrehin belastenden) Situation so umgegangen werden, dass man so bleibt, wie man im Kern ist.
Erstes Erfordernis, diese Erkenntnis praktisch umzusetzen ist es: Die belastende Stresssituation korrekt zu erkennen: Dafür braucht es Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, die alle Bedingungen im Blick behält (das nennt KUHL das Objekt-Erkennungs-System – OES).
Diese ERKENNUNG der Situation wird als Bedingung (der WENN-Teil eines WENN-DANN-PLANS) verstanden. Im DANN-Teil des Plans wird die Stressroutine durch einen STOP-Befehl umgehend unterbrochen.
Der Selbstzugang wird hergestellt (zum Beispiel durch Visualisierung / Erinnerungshilfen) –> KUHL nennt dieses System das Extensions-Gedächtnis (EG), das parallel und schnell verarbeitend alle Rand- und Kernpaarmeter berücksichtigt und selbstkongruente Handlungsmuster anbietet. Diese werden rasant als Absicht formuliert in konkreten Handlungsweisen und im Gedächtnis gehalten und abgeglichen mit den vor der Situation verfolgten Absichten (KUHL nennt dieses System das INTENTIONSGEDÄCHTNIS (IG)) –> Dies ist unser WILLE. Die konkrete Handlung wird dann rasch und ohne weitere Verzögerung in die INTUITIVE VERHALTENSSTEUERUNG geschickt (Kuhl –>IG). Dieses dann gezeigte Verhalten ist selbstkongruent, zielkonform zu unseren verfolgten Absichten, situationsangepasst bezueglich der erkannten Lage im OES und erzeugt unmittelbar positiven AFFEKT.

That´s all. Das ist trainierbar. Und weil es trainierbar ist, ist die Hilflosigkeit überwunden. Jedes Scheitern ermöglicht umfängliche Lernerfahrungen und führt zu einer verbesserten Mustererkennung. Jedes Vorbild dient dem Aufbau von ausgedehnten hoch angereicherten Erfahrungen im SELBST. Jedes Mal, wenn der Wille so genutzt wird, wird das ICH gestärkt. Und der positive Affekt, der dabei entsteht, ist das wirksamste langfristige Antidepressivum.

Wulfhild und Waldtraut (Julius Wolf)

Die schlanke Bode fließt im Thale
Um manchen Berg und Felsenhang,
Macht her und hin manch liebe Male
Umweg und krummen Wiedergang.

Doch eh’ von den granitnen Riesen
Den Durchlaß donnernd sie erzwingt,
Im breitern Grunde Wald und Wiesen
Ihr muntrer Wellentanz umspringt.
Manchmal verzieht sie wohl die Lippe
Und schmollt und bäumt sich launisch auf,
Daß Schaum umsprudelt Stein und Klippe,
Die ihr versperrn den flinken Lauf;
Schnell aber ist sie wieder heiter,
Strahlt silberhell und blinkt und glänzt,
Versäumt sich hier, läuft rasch dort weiter
Und spielt und lächelt, bunt bekränzt.
Die hellen Wiesen läßt sie trinken
Aus der Hand und aus dieser bald,
Und bald zur Rechten, bald zur Linken
Schmiegt sie sich an den dunklen Wald
Und lockt ihn, daß er niedersteige,
Zu baden sich in ihrem Thau,
Und überhängend seine Zweige
In ihrem blanken Spiegel schau!
Da sehn von oben Buch’ und Erle
Und Wolken, Sonn’ und Mond hinein,
Und unten ziehn Forell’ und Schmerle,
Glashell liegt Sand und Kieselstein.
Und zu dem Fächeln und dem Säuseln
Im schattenkühlen Laube stimmt
Im klaren Fluß das Wellenkräuseln,
Mit Rauschen, Plätschern, Murmeln schwimmt,
Was in den märchenkund’gen Quellen
Aus schatzgefüllten Tiefen schied,
Im Zwiegesang von Wind und Wellen
Erklingt ein träum’risch Zauberlied.

An lauschig stillem Plätzchen saßen
Des Grafen und des Köhlers Kind
In einer Uferbucht und maßen
Ums Haupt sich blumiges Gewind.
Wulfhilde band mit seinem Zwirne
Waldtraut zum Kranz Vergißmeinnicht,
Und Waldtraut flocht für Wulfhilds Stirne
Frischgrüne Blätter voll und dicht.
Wulfhilde wollte in dem Kranze
Für sich kein blumenbunt Geflecht,
Das Laubwerk nur mit dunklem Glanze
Der ernsten Eiche war ihr recht.
Und wie sich Blum’ an Blume fügte,
Zur Ründung wuchs der Blätter Schaar,
Schlang Jede, prüfend, ob’s genügte,
Ihr Kränzlein um der Andern Haar.
Wie ähnlich war und wie verschieden
Der beiden holden Mädchen Art!
Zwiefach gesondert und gemieden,
Zu Einem wiederum gepaart.
Sie glichen sich wie aus dem Meere
Zwei Perlen, fast im Ebenmaß,
Und wie die duft’ge Walderdbeere
Der edlen Gartenananas.
Wulfhildens Wuchs zwar überragte
Der Freundin zartern Gliederbau,
Die zu ihr aufsah, wenn sie fragte,
Doch Beider Augen waren blau.
Um Wulfhilds Schönheit wogte golden
Der frei gelösten Locken Fall,
Um Waldtrauts Schläfen, der Vielholden,
Wand sich lichtbrauner Flechten Schwall.
Doch ähnlich wie bei Schwestern zogen
Sich alle Linien weich und rund,
Der Brauen sanft geschwungne Bogen
Und Rosenwangen, Purpurmund.
In Wulfhilds ganzem Wesen regte
Sich ihrer Herkunft stolze Kraft,
Jedoch ein Zug von Schwermuth legte
Ihr Lächeln selbst in milde Haft.
Aus Waldtrauts Augen aber lachte
Schalkheit und Herzens Lieb’ und Lust,
Und was sie sprach, und was sie dachte,
Kam wie aus eines Kindes Brust.
Die Tage, die die Wunde heilten
An Waldtrauts Schulter, machten auch,
Daß die zwei Mädchenseelen theilten
Der innersten Gedanken Hauch.
Wenn Eine, was sie wußte, sagte,
Ihr Ohr die Andre willig lieh,
So lehrte diese, jene fragte,
Und liebend lernten Beide sie.
»Mich soll es wundern,« frug zur Stunde
Waldtraut, »ob du es wirklich weißt,
Aus welcherlei Betracht und Grunde
Vergißmeinnicht dies Blümchen heißt.«
»Nun,« sprach Wulfhild, »das soll bedeuten,
Daß, wem geschenkt die Blume ist,
In Heimlichkeit vor andern Leuten
Den lieben Geber nicht vergißt.«
»Ja wohl! so heißt es aller Enden,«
Lacht Waldtraut, »doch es ist nicht wahr,
Es hat ganz anderes Bewenden,
Gieb Acht! ich mach’ dir’s offenbar:
Wenn Einem schon die Wünschelruthe
Auf einen Schatz im Boden schlägt,
Thut’s Noth, daß er an seinem Hute
Die seltne blaue Blume trägt;
Die öffnet ihm die dunklen Tiefen,
Er sackt nun ein, so viel er kann,
Die Drachen, die beim Horte schliefen,
Sehn zu und hindern nicht den Mann.
Er legt den Hut ab mit der Blume,
›Greif’ einen Griff, streich’ einen Strich!‹
Tönt’s aus der Tiefe Heiligthume,
Hat er genug, heißt’s: ›Packe dich!’
Er rafft nun Alles schnell zusammen,
Denkt jetzt an Hut und Blume nicht
Und eilt, verfolgt von rothen Flammen,
Da ruft’s ihm nach: ›Vergiß mein nicht!‹
Das Blümchen ist’s; ließ’ er’s im Stiche,
Fänd’ er des Weges nicht zurück
Und seiner Schätze Glanz verbliche,
Drum an dem Blümchen hängt sein Glück.
Nun läßt man dies hier dafür gelten,
Weil’s blau ist, nennt’s Vergißmeinnicht.
Die echt’ ist’s nicht, die blüht gar selten,
Und wer sie findet, sagt es nicht.«
»Giebt es denn Schätze? fragt bedächtig
Wulfhild, »sind in der Tiefe Schoß
Nicht böse Geister übermächtig,
Feindlich gesinnt dem Menschenloos?«

»Gewiß! und wehe, wem als Meister
Ein Unhold je den Sinn bethört!
Doch giebt’s im Wald auch gute Geister,
Hast nie von Moosfräulein gehört?
Holzschläger, die drei Kreuze schneiden
In umgestürzten Baum, daß dann
Sich vor den wilden Nachtgejaiden
Moosweibchen darauf flüchten kann,
Beschenken sie in allen Ehren
Mit grünen Zweigen, dicht belaubt,
Die sich in eitel Gold verkehren,
Die Buschgroßmutter heißt ihr Haupt.
Und zieht der große Schimmelreiter,
Der Wode und sein wüthend Heer,
So geht als Menschenfreund und Leiter
Der treue Eckart vor ihm her
Und warnet vor dem Halsumdrehen,
Vor Hexenspuk und Zauberbann
Und Allem, was das Kreuz nicht sehen
Und Hahnenkraht nicht hören kann.
Beim Trinken geht in ihrem Kreise
Als Becher um ein Pferdehuf,
Hält einen Fuß im Wagengleise
Der Wandrer, thut ihm nichts ihr Ruf.«
»Sprich nicht so laut davon, mir grauet,«
Mahnt Wulfhild, »denk’ ich Jener nur,
Sag’, hast du jemals sie geschauet?
Fandst du im Wald schon ihre Spur?«

»Ich nicht, doch vieles Wundervolle
Erzählte mir Großmütterlein
Von Wod und seinem Weib, Frau Holle,
Oft zieht sie mit ihm, oft allein.
Einst war ihr goldner Pflug zerbrochen,
Da kamen klagend aus dem Tann
Die guten Heimchen vorgekrochen
Und holten ihr den Zimmermann.
Sie heißt die Eiserne, die Wilde,
Und schüttelt sie ihr Bett, o weh!
Dann schneit’s auf Berge und Gefilde,
Drum heißt sie auch Jungfrau im Schnee.
Sie lohnt und straft die Spinnerinnen
Und spricht: Wie’s Haar, so auch das Jahr!
Doch Niemand darf zur Rauchnacht spinnen,
Wer’s thut, begiebt sich in Gefahr.
Als mein jung Schwesterlein verschieden
Und Mutter weinte Tag und Nacht,
Hat sie allein zu Ruh und Frieden
Großmutter endlich doch gebracht.
Die sagt’ ihr, eine Mutter habe
Sich einst zu trösten nicht vermeint,
Auf ihres lieben Kindes Grabe
Die langen Nächte durch geweint.
Da zieht ganz nahe ihr zur Seite
Vorbei im Mondschein hell und klar
Frau Holle und hat im Geleite
Von Kindern eine große Schaar.
Und hinten, ganz zuletzt im Zuge
Ein Kindlein wankt mit müdem Schritt,
Schleppt sich mit großem, schweren Kruge
Und ächzt und stöhnt und kann nicht mit.
Der Weinenden das Auge flimmert, –
Es ist ihr Kind! das läßt den Schwarm,
Wirft sich an ihre Brust und wimmert:
»Ach! wie so warm ist Mutterarm!«
Dann aber fleht’s mit leisem Stammeln:
»Nicht weinen mehr! sei froh wie einst,
Ich muß ja all die Tränen sammeln
In meinem Kruge, die du weinst,
Sieh doch! ich kann ihn kaum noch heben,
Voll ist er, daß er überfließt,
Und ach! so schwer, daß er im Schweben
Mein ganzes Hemdchen mir begießt!«
Da nahm Urlaub von ihrem Leide
Die Mutter – und die meine auch.«
Wulfhild und Waldtraut schwiegen beide,
Bis daß ein Vöglein sang im Strauch.
Schnell über Waldtrauts Antlitz wieder
Flog’s wie ein goldner Sonnenstrahl,
Und zwitschernd wie des Vogels Lieder
Frägt sie: »Kennst ihn? kennst den nicht mal!?
Mein Liebling ist’s, Rothkehlchens Reigen!«
»Dein Liebling!« lacht Wulfhild, »jetzt bald
Sag’ mir, wie viel auf allen Zweigen
Hast du der Liebsten wohl im Wald?
Denn deinen Liebling nennst du Jeden,
Den du grad siehst, und hörst ihm zu,
Möcht’st wohl mit Jedem heimlich reden,
Du Schelm! mein Liebling selber du!«

»O höre doch die süße Stimme!
Die hat mir’s nun mal angethan,
Der Waidmann mag es nicht, der Grimme,
Denn es warnt Kibitz und Fasan;
Es schützt das Haus vor Blitz und Wetter,
Beißt sich herum mit Fink und Spatz,
Da sitzt es! sieh! hier durch die Blätter,
Sieh doch den kleinen rothen Latz!
Liegt Einer drin im Wald erschlagen,
Rothkehlchen schafft ihm Grabesruh,
Mit Blumen, die es bringt getragen,
Deckt es des Todten Antlitz zu.«

»O Märchenweisheit ohne Ende!
Dir schwatzen’s wohl die Vögel vor
Am Zaubertag der Sonnenwende,
Und Blumen flüstern dir’s ins Ohr?«
»Kann sein!« lacht Waldtraut, »Kraft und Namen
Weiß ich der ganzen Kräuterei,
Geht Einer in den grünen Samen
Zu horchen, hört er Mancherlei.
Und denkst du denn, die Blumen alle
Sind stumm? O jedes Blättchen spricht
Mit tief geheimem Laut und Schalle,
Wir Menschen hören es nur nicht,
Dein Ohr ist taub nur ihrem Singen,
Und damit ist uns Recht geschehn,
Man könnt’ ja sonst vor all dem Klingen
Sein eigen Wort nicht mehr verstehn.«
»Jetzt halte still dein Sonntagsköpfchen,«
Spricht Wulfhild, »fertig ist dein Kranz,
So! ei wie hübsch! manch braunes Zöpfchcn
Lugt vor, siehst aus, als ging’s zum Tanz.«
»Auch der!« sagt Waldtraut, »und nun bücke
Ein wenig dich zu mir herab,
Daß ich dir in die Locken drücke,
Was ich für dich gewunden hab’,«
In Waldtrauts Haar das sternenlichte,
Das leichte, zarte Blumenband
Stand ihrem lieblichen Gesichte
Wie ein Geschenk aus Feeenhand.
Doch Wulfhilds stolzes Haupt verschönte
Des vollen Kranzes Eichengrün
Und ließ die jungfräulich Gekrönte
Wie eine holde Fürstin blühn.
Mit Freuden hält und halb mit Zagen
Waldtraut auf sie den Blick geprägt
Und spricht gedankenvoll: »Sie sagen,
Wer grüne Eichenblätter trägt,
Der liebt mit steter, fester Treue,
Nichts ist, was seinen Willen bricht,
Ob Leid ihn drücke, Glück ihn freue,
Er rühmt sich seiner Liebe nicht.«
»Glück?« seufzt Wulfhild und schüttelt leise
Und lächelt trübe vor sich hin,
»So hoch ich meine Liebe preise,
So tief auch liegt mir Leid im Sinn.«

»Du zweifelst noch in stummen Klagen?
Wer bangt und seinem Glück nicht traut,
Soll Espen und Wachholder tragen
Und röthlich blühend Heidekraut,
Das deutet frohe Augenweide,
Gemischt mit bittern Schmerzen oft,
Und mahnt, daß Einer sich entscheide,
Und zeigt, daß Eine auf ihn hofft.«

»Ich hoffe nicht und will nicht mahnen,
Mich schmerzt, was meine Augen sehn,
Wer mich nicht liebt, soll auch nicht ahnen,
Wie meine stillen Wünsche gehn.«

»So trag’, als fordertest zum Streite
Du Einen, blauen Rittersporn
Und weis’ ihn von dir in die Weite
Mit einem spitzen Rosendorn.«

»Laß sein, lieb Kind, nichts mehr von Schmerzen!
Zeig’ mir ein fröhliches Gesicht
Und sage mir so recht von Herzen,
Wer trägt denn wohl Vergißmeinnicht?«
»Vergißmeinnicht, wem das empfohlen,
Der mag sich Trostes Wohl versehn,
Der liebt und wird geliebt verstohlen,
Doch darf er’s noch nicht eingestehn.«

»Mir aber hast du’s doch gestanden,
Was mir nicht lang verborgen blieb,
Wie sich zwei junge Herzen fanden
Im Wald, – du hast den Jäger lieb;
Wie werden roth nun deine Wangen,
Du liebes, braunes Reh, schau’ an!«
Und Waldtraut lächelte befangen
Und sang ein schelmisch Liedchen dann.

Ich ging im Wald
Durch Kraut und Gras
Und dachte dies
Und dachte das,
Da hört’ ich es kommen und gehn, –
Husch! husch!
Hintern Busch!
Da hat mich ein Jäger gesehn.

Hab’ mich geduckt,
Durchs Laub gespäht
Und wollte fort,
Da war’s zu spät,
Sein Hündlein kam spürend getrappt
Husch! husch!
Hmter’m Busch,
Da hat mich der Jäger ertappt.

Er frug, warum
Ich mich versteckt,
Ob er mir Furcht
Und Angst erweckt,
Ich sagte: O daß ich nicht wüßt’!
Husch! husch!
Hinter’m Busch –
Husch! hat mich ein Jäger geküßt.

Wulfhild hat ihren Arm geschlungen
Um Waldtrauts Nacken, drückt ans Herz
Die Freundin, wie das Lied verklungen,
Doch plötzlich schreit sie auf in Schmerz,
Und Waldtraut, selber schreckergriffen,
Frägt schnell: »Was ist dir? was geschah?«

»Ein garstig Thier hat mich gekniffen
Mit seinen Zangen, da! sieh da!«
»Hirschkäfer, o!« schilt Waldtraut zornig
Und nimmt ihn von der Schulter sich,
»Mit dem Geweih, gezackt und dornig,
Was unterstehst du, Brauner, dich!?
Er denkt, du wolltest mich beleid’gen,
Brächt’st mich in deinen Armen um,
Wulfhild, drum wollt’ er mich vertheid’gen, –
Hornschröter, sei doch nicht so dumm!«
Sie hält Wulfhildens Hand umfangen
Und spricht: »Man sagt ihm Böses nach,
Er trüge mit den großen Zangen
Uns glüh’nde Kohlen auf das Dach;
Das ist nicht wahr, ich kenn’ ihn besser,
Wir Köhler wissen, was er thut,
Unschuldig ist er, doch ein Fresser,
Der in der Eichenlohe ruht.
Fleuch’, Großer, fleuch’ auf gutem Winde
Zur Eiche, die beim Fuchsfang steht,
Hat einen Spalt in kranker Rinde,
Draus saftig Harz hernieder geht.«
Des Schröters Fühler hoch sich recken,
Als spitzt’ er lauschend so das Ohr,
Dann hebt er seine Flügeldecken,
Und brummend schwingt er sich empor. –
Die von dem Kranze übrig blieben,
Die Blumen nahm Waldtraut und schlang
Mit frischen, jungen Eichentrieben
Zu einem Sträußchen sie und sang:

Blaublümlein spiegelten sich im Bach
Und riefen den eilenden Wellen nach:
Vergißmeinnicht!
Die lachten: Wir müssen zum Meere hin,
Und aus den Augen ist aus dem Sinn,
Vergißmeinnicht!

Blauäuglein hatte ein Mägdelein,
Die strahlten dem Knaben ins Herz hinein:
Vergißmeinnicht!
Der Knabe zog in die Welt hinaus,
Da blühte und welkte manch Blumenstrauß.
Vergißmeinnicht!

Und als er allein auf unendlicher See,
Da grüßten ihn Sterne, da faßt’ ihn ein Weh,
Vergißmeinnicht!
Aus rauschenden Wogen sangen herauf
Die Tropfen im Meere aus Bächleins Lauf:
Vergißmeinnicht!

»Vergessen! ja, wer’s kann im Leben,«
Sprach Wulfhild halb zu sich, »der mag
Sich seiner Sorgen wohl begeben,
Doch wer vor Augen jeden Tag
Ein Glück, so nah, so gern besessen
Und dennoch ewig unerreicht,
Ach, Kind! der lernt wohl nicht vergessen,
Wenn auch die letzte Hoffnung weicht.
Ich sollte schweigen und muß reden,
Was mir aus vollem Herzen bricht,
Es heißt, die Zeit vertröste Jeden,
Mir sagt das Leid: vergiß mein nicht!
Weiß auch ein Lied, – soll ich’s dir singen?
Von einem Herzen ohne Ruh,
Dir wird es fremd und thöricht klingen,
Und doch hat’s Wahrheit, – höre zu!«

Leer ist der Tag, er geht zu Ende,
Fort, heißes, unbarmherziges Licht!
Komm, süße Trösterin Nacht und sende
Herauf mir mein liebes Traumgesicht.

Dann seh’ ich ihn wieder mit Entzücken,
Den Stern meines Lebens, der mir verblich,
Und ich darf an die sehnende Brust ihn drücken,
Und es träumet mein Herz, er liebte mich.

Seine Hand so warm, seine Lippen so wonnig,
Und er spricht es zu mir, das berückende Wort,
Seine Stirn so klar, sein Auge so sonnig,
Durch alle Himmel trägt er mich fort. –

Und das Alles nicht wahr, geträumt und gelogen!
Und vom dämmernden Morgen der kühle Bescheid:
Todt Liebe und Hoffnung, verschmäht und betrogen,
Lebendig nur Schmerz und unendliches Leid.
Nicht lieben zu dürfen, nicht hassen zu können,
O grausame Qualen, wer hat euch erdacht?
Und wollen die Tage das Glück mir nicht gönnen,
So belüge denn du mich, sinkende Nacht!

Waldtraut, als hätt’ sie kaum verstanden
Und ahnte doch der Freundin Schmerz,
Saß schweigend, ihre Augen fanden
Den Weg in Wulfhilds trauernd Herz.
An Wulfhilds Wimpern aber glänzten
Der kummerschweren Thränen zwei,
Das stand der Eichengrünbekränzten
Wie Schnee dem blüthenreichen Mai;
Doch rang sie die Bewegung nieder
Und reichte Waldtraut ihre Hand
Und lächelte und sprach dann wieder,
Zur liebsten Freundin hingewandt:
»O laß mein Schmerz dich nicht bethören,
Du bist ja glücklich, kennst kein Leid,
Laß noch ein frohes Lied mich hören!«
Und wieder sang die holde Maid.

Alle Blumen möcht’ ich binden,
Alle dir in einen Strauß
Und mit Kränzen dich umwinden,
Daß du lachend säh’st heraus.

Alle Vögel möcht’ ich fangen,
Alle dir nach meinem Sinn,
Wenn sie in den Zweigen sangen,
Wies ich stets zu dir sie hin.

Alle Schätze möcht’ ich heben,
Alle aus der Tiefe Schoß,
Daß ich dir sie könnte geben
Und du würdest reich und groß.

Ach! was kann ich, und was hab’ ich!
Bin ich doch so arm wie du,
Was ich hatte, ach! das gab ich,
Und mich selbst, mich selbst dazu.

Im Grase thaut’s, die Blumen träumen
Von ihrem bunten Honigdieb,
Und oben flüstert’s in den Bäumen:
Schläfst du? schläfst du, mein trautes Lieb?
Der Mond scheint durch den grünen Wald.

Ein Aestlein wankt mit leisem Wiegen,
In dunkler Blätterheimlichkeit
Regt sich ein Kosen, Schweben, Schmiegen:
Dir treu, dir treu in Ewigkeit!
Der Mond scheint durch den grünen Wald.

Nun wird es still in Luft und Zweigen,
Ein wonnig Athmen hebt die Brust,
Dich küßt die Nacht mit süßem Schweigen,
Ruh’ aus, ruh’ aus von Lieb’ und Lust,
Der Mond scheint durch den grünen Wald.

Es schlüpfte durch Gebüsch und Ranken
Ein frischer, kühler Wisperhauch,
Ein Schauern, Zittern dann und Schwanken
Begann in jedem Baum und Strauch.
Von ungefähr heran geflogen
Durchs Laub ein mächtig Rauschen brach,
Und als vorüber das gezogen,
Folgt’ ihm ein langes Flüstern nach.
Es war des Abendwindes Wehen,
Der über Blatt und Blüthe strich,
Als ob im Wald er auf den Zehen
Sich heimlich durch die Dämm’rung schlich.
Die Mädchen brachen auf und trafen,
Vom Birschgang kommend mit dem Stahl
Und ihrer Beute froh, den Grafen
Und Albrecht nah der Burg im Thal.
Bruno trug mit verbrochnem Laube
Des Grafen Rehbock nach dem Schloß,
Und Ludolf hinter sich im Staube
Schleift’ einen Wolf, den Albrecht schoß.
So wie das Herz Jedwedem pochte,
War auch der Gruß, den Jeder bot,
Und wer am liebsten schweigen mochte,
Der schwieg, war reden ihm nicht noth.
Waldtraut verrieth mit warmen Blicken
Dem jungen Jäger ihr Gefühl,
Wulfhild erwiederte mit Nicken
Den Gruß des Vetters stumm und kühl.
Der Graf sah sinnend, lächelnd Beiden
Tief in die Augen, stand und stand,
Als könnt’ er von dem Bild nicht scheiden,
Das er hier doppelt vor sich fand.
Der Junker sprach: »Schau! liebe Muhme,
Wie schön steht dir das Eichengrün!
Doch warum keine einz’ge Blume
Läßt du in deinem Kranze blühn?«
»Wir theilten,« sprach mit leisem Beben
Wulfhild, »die sommerliche Zier,
Um Waldtraut lichte Blüthen schweben,
Der Eiche zähes Blatt ward mir.«
»Und wenn ich beide Euch vergleiche,
Find’ ich die Wahl nach Fug und Pflicht,
So schütze denn, du starke Eiche,
Das liebliche Vergißmeinnicht!«
Sprach mild der Ritter, als bewegte
Schon längst entschwundne Seligkeit
Den hartgewöhnten Mann und regte
Sich ihm ein längst bezwungnes Leid.
»Du Waldtraut,« sprach er freundlich weiter,
»Du bittest nie, sagst niemals: gieb!
Sag’s heute! bin so froh und heiter,
Ich thu’ dir, was ich kann, zu lieb!«

»Dank Euch, Herr Graf! so bitt’ ich heute,
Daß Ihr den großen Eber schlagt,
Der Saat und Frucht der armen Leute
Verwüstet, wie sie mir geklagt.«
»Und weiter weißt du nichts zu sagen?
Ei, Kind, bei meiner Waidmannsehr!
Sollst bald an deinem Halse tragen
Des groben Keilers scharf Gewehr,«
Lacht’ Hackelberend, »morgen gehen
Zu Holz wir, wo er stecken mag.«
»Und wir, Großmütterlein zu sehen,
Und bleiben dort den ganzen Tag,«
Sagt Wulfhild; mit beredtem Schweigen
Dankt Waldtraut, blickt den Jäger an,
Und Alle wenden sich und steigen
Nun wohlgemuth zur Burg hinan.
Schwül ist die Luft, nicht Mond, nicht Sterne
Streu’n ihr verheißungsvolles Licht,
Aus dunklen Wolken in der Ferne
Unheimlich Wetterleuchten bricht.

Julius Wolff

Der allein stehende Mensch (aus dem Kohelet)

Der Kohelet besteht zu drei Vierteln aus mehr oder weniger negativen Aussagen. Er ist daher gut gerignet, Dysphorie und traurige Grundstimmung ordentlich zu stabilisieren.

7 Und wieder habe ich etwas unter der Sonne beobachtet, das Windhauch ist. 8 Es kommt vor, dass jemand allein steht und niemanden bei sich hat. Ja, er besitzt nicht einmal einen Sohn oder Bruder. Aber sein Besitz ist ohne Grenzen und überdies kann sein Auge vom Reichtum nicht genug bekommen. Doch für wen strenge ich mich dann an und warum gönne ich mir kein Glück? Auch das ist Windhauch und ein schlechtes Geschäft. 9 Zwei sind besser als einer allein, falls sie nur reichen Ertrag aus ihrem Besitz ziehen. 10 Denn wenn sie hinfallen, richtet einer den anderen auf. Doch wehe dem, der allein ist, wenn er hinfällt, ohne dass einer bei ihm ist, der ihn aufrichtet. 11 Außerdem: Wenn zwei zusammen schlafen, wärmt einer den andern; einer allein – wie soll er warm werden? 12 Und wenn jemand einen Einzelnen auch überwältigt, zwei sind ihm gewachsen und eine dreifache Schnur reißt nicht so schnell.

Zwei Seiten, die zusammen gehören

Die Trennung der beiden Pole (Verstand und Gefühl) wird mir als ganzer Person nicht gerecht. Ich habe die Emotionen und Gefühle einseitig bevorzugt. Das war insoweit notwendig und wichtig, weil sie für mich lange Zeit unfassbar waren, unverständlich. Ich musste lernen, zu fühlen. Das habe ich gut hingekriegt, jetzt wird es Zeit, den Ausgleich herzustellen. Nicht in einem statischen Sinn, bei dem Gefühlstiefe ebensowenig möglich ist wie scharfes analytisches Denken. Sondern dynamisch, flexibel, situations- und personenangepasst.Verletzlichkeit ist nicht schlecht, schlecht ist aber für mich, wenn sie auftritt, wenn ich sie nicht brauchen kann. Das gleiche gilt für meine harsche Selbstkritik mit mir selbst. Ich werde mir nicht die Kehle aufschlitzen, aber es wird Zeit mit dem Sterben aufzuhören, es ist höchste Zeit, die Leichtigkeit im Leben zu erleben. Ich bin tief genug getaucht und hoch genug geflogen.

 

 

How long how long will I slide
Seperate my side I don’t
I don’t believe it’s bad
Slit’in my throat
It’s all I ever…

I heard your voice through a photograph
I thought it up it brought up the past
Once you know you can never go back
I’ve got to take it on the otherside

Centuries are what it meant to me
A cemetery where I marry the sea
Stranger things could never changed my mind
I gotta take it on the otherside
Take it on the otherside
Take it on
Take it on

How long, how long will I slide
Seperate my side I don’t
I don’t believe it’s bad
Slit’in my throat
It’s all I ever

Pour my life into a paper cup
The ashtrays full and I’m spillin‘ my guts
She wants to know am I still a slut
I’ve got to take it on the otherside

Scarlet starlet and she’s in my bed
A candidate for my soul mate bled
Push the trigger and pull the thread
I’ve got to take it on the otherside
Take it on the otherside
Take it on
Take it on

How long, how long will I slide
Seperate my side I don’t
I don’t believe it’s bad
Slit’in my throat
It’s all I ever

Turn me on take me for a hard ride
Burn me out leave me on the otherside
I yell and tell it that It’s not my friend
I tear it down, I tear it down
And then it’s born again

How long, how long will I slide
Seperate my side I don’t
I don’t believe it’s bad
Slit’in my throat
It’s all I ever had (how long)
I don’t
I don’t believe it’s bad
Slit’in my throat
It’s all I ever

888

CircleVision
CircleVision – zwischen beiden Bildern liegt ein ganzes Jahr. Rechts meine Collage meines Herzens-Wunschs. Links der Ort, an dem ich ihn rituell bekräftigt habe. Ich bin meiner Intuition gefolgt, einem Blick, einem Kreis, einem Reh – ich bin angekommen. Meine Vision wurde Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die grösser ist als ich allein. Danke.

Wenn Du liebst (was eine höchst subjektive Angelegenheit ist), dann bist Du „beseelt“ und herzoffen dafür, dich zu binden. Jede Bindung, die nicht auf Liebe beruht und sich auf ihr gründet, ist – wie der alte Aleister ganz Recht vermutet – ein Fluch! Solche verfluchten Bindungen sind im wahrsten Sinn die „Hölle auf Erden“. Jeder vernünftige Mensch muss diese Höllen-Bindungen weit von sich weisen im Namen des „Besten in sich selbst“ (AYN RAND) – im Namen ihrer schöpferischen Freiheit.

Wer das Ansinnen auf eine solche Bindung nicht empört und resolut zurückweist, wird mit den daraus resultierenden Ein- und Beschränkungen irgendwie überleben müssen. Sie wird zum Sklaven – und „Sklaven sollen dienen“. Wer also zur Dienerin sich berufen fühlt, soll solche Bindungen, Ehen, etc. eingehen, Verträge unterzeichnen und sonstwie versuchen, die aus zittriger Unsicherheit stammenden „Schäfchen ins Trockene“ zu bringen. Sie werden alle ziemlich nass werden, befürchte ich – und sich im besten Fall einen Schnupfen holen. Der kommt und geht – und hoffentlich geht er wieder!

Unter den Konzepten romantischer Liebe liegt ein Feld der Sehnsucht nach Verbundenheit, die uns beseelen kann. Wenn wir dann auf einen unserer Seele angenehmen Menschen treffen, ist das ein günstiger Moment (Kairos), den wir nicht achtlos vorüber ziehen lassen sollten. Die Kelten haben dies spirituell mit dem Begriff des ANAM CARA beschrieben, jemand der für unser spirituelles Wachstum unentbehrlich ist. „You can call me a romanic fool!“ – ein Narr, der die Ebene unter (oder über?) der Romantik intuitiv spürt, wird sich nicht schämen, wenn seine Liebe närrisch wirkt.

Denn in einem (für den Verstand nicht zu fassenden) Vertrauen springt er immer wieder in ein Feld, in dem nichts zu kontrollieren ist. In dem Macht versagt! Weil er sich nicht beschränkt, abwertet oder irgendwie kleiner macht, als er ist, kann sie Zutrauen finden. Weil der Zirkel, den er bildet, rund ist, kann sie ihr eigener Kreis bleiben. Weil keine Bedürftigkeit und keine „Absicht nach Erfolg“ das Zusammen-Sein vergiftet, können beide frisches Wasser aus tiefer Quelle geniessen.

Wir sorgen uns alle um unsere Autonomie und Freiheit. Das ist ein wesentliches Fundament, zur Liebenden werden zu können. Nur freie Menschen können lieben – auf Augenhöhe, Herz an Herz. Die Scham vor der Nacktheit dem anderen Menschen gegenüber, die Zurückhaltung, manchmal die Reserviertheit sind unabdingbare Voraussetzungen in eine Haltung der Liebe einzutreten. Wer nur schamlos meint drauflosrennen zu können, wird vermutlich nirgendwo ankommen. Scham löst sich erst in Verbundenheit auf, nicht im „Gepose“ eigener Selbstwichtigkeit.

Freiheit ist der Schlüssel, der die Tore der Liebe öffnet und offen hält. Ohne Freiheit kann es keine authentische Bindung geben. Ich kann nur heilen, wenn ich ganz bei mir bin. Ohne dieses „Bei-sich-selbst-bleiben“ kann ich niemals bei einem anderen Menschen bleiben, ohne mich aufzugeben.

Wenn ich nie erlebe, wie das ist: das Freiheit und Verbundenheit sich küssen, wie will ich dann wissen, wie sich das anfühlt? Wenn ich nicht riskiere, zurückgewiesen zu werden – Wenn ich nicht riskiere, meine Selbstbeschränkung und Unberührbarkeit aufzugeben (nur mal ausprobierend) – Wenn ich nicht bereit bin, mich zu binden, woraus besteht denn dann meine Freiheit – Wie weit gehe ich in meinem eigenen Raum und wie gross wird mein „Feld“? Liebe ist die ultimative Herausforderung an die freiesten Geister.

Diese freien Geister haben ebenso Ängste vor Verlust, Einsamkeit, einem unangenehmen Allein-Sein. ABER: Sie wehren diese Ängste nicht mehr ab. Sie entwickeln MUT und KRAFT, aus der Angst in sich selbst zu gehen. Schritt für Schritt sorgen sie für sich selbst, werden freier und freier, lassen los, was sie bindet. Ja – der Liebende Mensch bindet gerade NICHTS. Weil sie an nichts mehr festhalten, können Liebende sich auf einander verlassen. Weil sie unumschränkt frei sind, zu tun, was sie wirklich wollen, vertrauen sie einander an, was unsagbar scheint. Weil sie Angst haben, sich zu verlieren, sorgen sie dafür, dass sie nicht zerbrechen. Sie sorgen für ihre Ganzheit – jede für sich, jeder für sich.

Aus dieser Selbstsorge entspringt der Quell wirklicher freier Liebe, die fähig ist, zu dulden, dass jeder Liebende existentiell frei ist und bleibt: ob sie kommt oder ob er geht. So eine Liebe kannst du nicht „fühlen“ oder „denken“. So eine Liebe brennt in deinem Herzen wie Feuer aus den tiefsten Schichten der Erde – So eine Liebe reisst die Luft der Himmel auf und lässt das Wasser in Sturzbächen auf die Liebenden prasseln. Deshalb führt individuelle Freiheit irgendwann zu dem Punkt, an dem eine Erweiterung der Freiheit für den Einzelnen / die Einzelne nicht mehr möglich ist, ohne sich einer neuen Liebe zu „ergeben“.

Liebe hat die Macht, den freien Menschen nicht zum Diener sondern zur Herrin ihres Schicksals zu machen, nur deshalb sind Liebe und Verbundenheit, Freiheit und Gebundensein miteinander verwoben. Das Netz, das die Liebenden weben ist feingliedrig, zart und voller Verästelungen. Es gibt keine Garantien für Morgen, keine Absolution, kein Bedauern und kein Mitleid für Gestern. Ein Heute strahlt licht und weit über den Tälern unserer Sehnsucht nach ultimativer Freiheit – denn nichts anderes sind Bindung und Liebe anderes: als die ultimative Freiheit des freien Menschen seines eigenen neuen Zeitalters. In diesem Äon schaffen wir die Familien eines Heute, das nur durch die Liebe begründbar ist und nur aus der Liebe heraus Kraft, Entschlossenheit und Mut schöpft.

Wer das nicht will, kann nicht aus und in dieser Liebe leben. Du musst das aus tiefstem Herzen und weitester Seele WOLLEN, sonst wirst Du Dir selbst weh tun. Drum prüfe weise jede, die sich anschickt, Liebende zu werden genau, ob sie das wirklich WILL. Jeder Mann, der so lieben will, wird lernen müssen, zu „vertrauen, ohne etwas zu erwarten“ (BUCAY). Genau das ist damit gemeint, einen Willen zu entwickeln, der unabhängig ist vom „Gelüst nach Erfolg“ (Crowley). Der Wille, zu lieben steht daher schützend und bewahrend über der Liebe. Das ist der Stern, der „in jedem Menschenherzen glüht“. Finde dich selbst als Stern mit anderen Sternen. Das ist Freiheit – wahrhaftige und vollständige Freiheit. Die Richtschnur des Umgangs mit anderen Menschen ist die Liebe. Liebe ist das Gesetz – Liebe unter Willen.

(geschrieben am Neumond im Juli 2013 für die Liebenden, für die Eremiten und die Menschen der Erde – gemeinsam schaffen wir das neue Äon – jeden Tag und jede Nacht – ohne Unterlass – in Freude, in Ekstase und voll guten Willens!)

Nachtrag (13/07/13): Diese Hymne auf Freiheit und Verbundenheit trägt auch Schatten in sich. Ich verstehe heute , dass unkontrollierbare Emotionen genauso wenig mit dem Liebeskonzept vereinbar sind, wie eine Abschottung gegenüber jedem Fühlen. Irgendwo in der Mitte spielt sich das Leben. Ich bewege mich in die Richtung der Mitte …

Nachtrag (30/09/13): Wenn Träume Wirklichkeit werden, schweigt jedes Machen und Wollen. Sein ist grösser und überwältigender als jedes Werden. Wenn das Sein Dich am Schopfe packt und Dein Herz schwingt, wenn die Wirklichkeit durchbricht … dann geschieht das Wunder.

 

 

Weil wir die Liebenden sind … sind wir verbunden und frei!

Wenn MANN geht, kommt FRAU.
Wenn FRAU geht, bleibt MANN.

Wenn MANN kommt, geht FRAU.
Wenn FRAU kommt, bleibt MANN.

Wenn FRAU bleibt, bleibt auch IHR MANN.
Wenn MANN bleibt, bleibt auch seine FRAU.

WIR gehen, um zu kommen.
WIR kommen, um zu bleiben.
WIR bleiben, weil WIR lieben.

Weil wir die Liebenden sind,
Sind wir in unserem
Gehen, Kommen und Bleiben
VERBUNDEN und FREI !

Liberty, Love, Life, Light