Archiv der Kategorie: Gedanken

Prosa, Philosophie, Ethik und „Gedanken“ in Textform.

Das Streben nach Autonomie (1983)

»Das Streben nach Autonomie ist vor allem der Kampf gegen politische und moralische Entfremdung von Leben und Arbeit – gegen die Funktionalisierung für Fremdinteressen, gegen die eigene Verinnerlichung der Moral unserer Gegner – der Versuch, sich das Leben wieder anzueignen … Dieses Streben kommt zum Ausdruck, wenn Häuser besetzt werden, um menschenwürdig zu wohnen oder um die hohen Mieten nicht mehr bezahlen zu müssen, wenn Arbeiter krank feiern, weil sie die Fremdbestimmung am Arbeitsplatz nicht mehr aushalten, wenn die Arbeitslosen Supermärkte plündern …. Wenn sie sich nicht den bloßen Forderungen der Gewerkschaften nach Arbeitsplätzen anschließen, die ja doch nur Integration in Unterdrückung und Ausbeutung bedeuten. Überall da, wo Menschen anfangen, die politischen, moralischen und technischen Herrschaftsstrukturen zu sabotieren, zu verändern, ist es ein Schritt zum selbstbestimmten Leben. Unser Streben nach Autonomie muß einhergehen mit der öffentlichen politischen Auseinandersetzung mit Andersdenkenden … und dem ständigen Bemühen, unsere Ideen zu vermitteln, die hinter unserem Leben und hinter unseren Aktionen stehen.«

bundesweites treffen in lutter juli 1983

Kleiner Kommentar von meiner Seite – das klingt kämpferisch (vielleicht sogar rebellisch) – mir fehlt da der Aufbauwille, wobei: Die Bemühung, die eigenen Ideen zu vermiteln …  fragt sich nur, WIE?

 

Kapitel 7: Tu was Du willst – oder: Mach was Dir gefällt?

Pipi Langstrumpf
Pipi Langstrumpf

Im vorigen Kapitel haben wir uns die Bedingungen der Freiheit angeschaut. Nun wollen wir persönlichkeitspychologisch diese Bedingungen berücksichtigen. „Tu was Du willst!“ – ein Satz mit deutlichem Aufforderungscharakter. Ich forme den Satz einmal um, so dass die drei Kriterien für ein „handlungswirksames Ziel“ (Storch & Krause, 2010) für mich erfüllt werden (Tabelle 1). Offenkundig ist das nicht das Gleiche, wie im bekannten Lied „Mach, was Dir gefällt“ – oder doch?

 

Tabelle 1: Handlungswirksame Ziele nach Storch und Krause (2010)

Annäherungsziel – kein Vermeidungsziel

OK

Zielerreichung 100% unter eigener Kontrolle

Ich tu was ich will!

Zielformulierung verbunden mit positivem Affekt

OK

 

In dieser sprachlichen Form handelt es sich bezüglich des Zieltypus um ein „Haltungsziel“ oder „Mottoziel“ wie es im von Storch und Krause (2010) entwickelten Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) verwendet wird. Ein solches Ziel befindet sich im psychischen System eines Menschen auf oberster Systemebene – ein „Be-Goal“ in Anlehnung an die Kontrolltheorie (Powers, 1973) und die Zielhierarchie (Carver & Scheier, 1998). Dieser Zieltypus determiniert die darunter liegenden Ebenen der Zielhierarchie (Ergebnis, Verhalten, Taktik), die auch als „Do-Goals“ zusammengefasst werden können. Diese Determination muss uns nicht bewusst sein, ist allerdings neurobiologisch gut abgesichert (Grawe, 2004, S. 110). Be-Goals generieren laufend Ziele auf Ergebnisebene, die wiederum mannigfaltiges Verhalten und entsprechende Taktiken erzeugen. Zur Illustration wären auf Ergebnisebene bspw. „Ich erlebe jeden Tag mindestens einmal, dass ich …<Ergebnis xyz> erreicht habe durch mein eigenes Handeln“ oder auf Verhaltensebene „Ich verhalte mich so, dass ich mein Ergebnisziel erreiche <Verhalten xyz>“ und auf Taktikebene „Wenn ich spüre, dass ich von meinem Verhalten abweiche, dann mache ich… <Aktion xyz>“. Ohne dass wir diese hierarchische Zielhierarchie bewusst planen, läuft sie in uns Menschen die ganze Zeit in dieser Art ab. Das erklärt sich dadurch, dass auf oberster Systemebene bereits Haltungen fest etabliert sind.

Die spannende Frage ist: „Sind es unsere eigenen Haltungen?“ oder anders formuliert: „Sind unsere Be-Goals mit unserem Selbst kongruent?“. Deshalb können wir mit Techniken und Methoden des Selbstmanagements uns selbst regulieren, indem wir zunächst selbstkongruente Haltungsziele entwickeln und uns dann darum kümmern, dass sie Wirklichkeit werden können. All das hat mit Esoterik, Religion oder Hokuspokus herzlich wenig zu tun. Es handelt sich um angewandte Psychologie. Das Problem, mit dem wir uns konfrontiert sehen, bezieht sich direkt darauf, ob und wie gut es uns gelingt, uns selbst zu spüren und zu verstehen (Selbstzugang). Unsere Absichten, unser tatsächliches Tun und das Erkennen von Abweichungen im erwünschten Muster sind andere Bereiche, die dabei eine Rolle spielen.

Um dies besser einordnen und verstehen zu können, ist ein persönlichkeitspsychologischer Rahmen hilfreich: die Theorie der Persönlichkeit-System-Interaktionen (PSI). Persönlichkeit zu definieren als „das für ein Individuum charakteristische Muster des Denkens, Fühlens und Handelns“ (Myers, 2008, S. 587) kann als Ausgangspunkt für viele verschiedene Ansätze (psychoanalytisch, humanistisch, sozial-kognitiv, Trait- Ansatz) zur Persönlichkeitstheorie verstanden werden. Für unser Thema relevant sind alle drei Aspekte. Die PSI (Kuhl, 2010) zeichnet sich durch die Berücksichtigung von Interaktionen zwischen vier Makrosystemen innerhalb der Persönlichkeit eines Menschen aus (Abb. 1). Dies eröffnet die Beschreibung von Persönlichkeitsakzentuierung bis hin zur Störung als aktuelles Ergebnis interaktioneller Prozesse unter Berücksichtigung der (einseitigen) Bevorzugung einzelner (oder mehrerer) Systeme zum Beispiel im STAR-Modell (Kuhl, 2000b, 2010). Erstreaktionen sind in der PSI die Verhaltensweisen, die unmittelbar und schnell auf erlebte Situations-Reiz-Konstellationen erfolgen (Kuhl, 2000a). Zweitreaktionen sind veränderbar und lernbar und ermöglichen eine „Überformung“ der weitgehend überdauernden stabilen Erstreaktionen (Kuhl, 2000a). Die Faktoren Selbstwirksamkeitserwartung und die Bildung selbstkongruenter Ziele werden innerhalb der PSI thematisiert. Die sich aus der PSI ergebenden klassifikatorischen Begriffe Handlungs- und Lageorientierung eröffnen ein Verständnis dafür, warum Menschen manchmal wie gelähmt unfähig sind, zu handeln (Lageorientierung) oder vor lauter Tun nicht so genau ihren langfristigen Absichten folgen (Handlungsorientierung).

AbbPSI

Abbildung 1: Makrosysteme nach Kuhl (2010)

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf (Kuhl, 2010) und fassen diese zusammen. Dies soll ein systematisches Verstehen des Denkens (IG), Intuierens bzw. Handelns (IVS), Fühlens (EG) und Empfindens (OES) erleichtern (Heckhausen & Heckhausen, 2010, S. 458). Damit werden die oben genannten wesentlichen Aspekte einer Persönlichkeit hinreichend theoretisch abgedeckt. Das OES als Möglichkeit, Inkongruenzen zu erkennen, ermöglicht innerhalb eines Soll-Ist-Wert-Vergleichs das Erkennen eines Mangels. Und diese Feststellung eines Mangels ist grundlegend für Bedürfnisse. Im Objekterkennungssystem können wir eine Handlungsalternative bearbeiten. Im Intentionsgedächtnis maximal zwei. Alles was über drei Items geht, braucht unbewusste Bearbeitung des ausgedehnten Extensionsgedächtnisses und des Selbst.

Komplizierte Fragestellungen können schnell durch unsere unbewusste parallele Verarbeitung (EG) beantwortet werden (Kuhl, 2010). Wenn diese mit unseren bewussten Absichten (IG) abgeglichen werden (Kuhl, 2010), können wird durch eigene Erzeugung positiven Affekts (oder Ermutigung anderer) ins Handeln (IVS) kommen (Kuhl, 2010, S. 83–92). Und diese einzelne Handlung setzt den Punkt, aus dem eine erneute bewusste absichtliche Bewertung (OES) erfolgen kann (Kuhl, 2010, S. 93– 101). Die PSI ermöglicht uns eine Deutung und ein Verständnis der inneren Prozesse der (eigenen) Persönlichkeit.

Die erste Modulationsannahme (M1: Willensbahnung) assoziiert die selbstregulatorische Kraft, positiven Affekt (wieder)herzustellen mit der Umsetzung zielrealisierenden Verhaltens. Nicht nur konkretes zielrealisierendes Handeln löst positiven Affekt aus, sondern positiver Affekt wirkt günstig auf die Umsetzung von Handlungen aus dem IG in die IVS. Die Forderung nach Aufbau positiven Affekts zur neurobiologischen Vorbahnung (Grawe, 2004) verweist auf den gleichen Umstand des dopaminergen Systems.

Die zweite Modulationsannahme (M2: Selbstwachstum) besagt, dass durch die Herabregulierung negativen Affekts (A-) eine Integration der gemachten Erfahrungen im Sinne von Speicherung im Extensionsgedächtnis (und auf die eigene Person bezogen: ins Selbst) erfolgt. Ein zu langes Verweilen im Erkennen von Unzulänglichkeiten und Fehlern (OES) bspw. nach dem Erleben negativen Affekts ermöglicht keine Herabregulierung des damit verbundenen negativen Affekts und behindert damit Zuversicht und Selbstwirksamkeitserwartung.

Kehren wir zum Ausgangspunkt unseres Ausflugs in die Persönlichkeitspychologie zurück. „Ich tu was ich will!“ ist ein Haltungsziel, das meine Absicht (IG) bezeichnet, etwas (nämlich: was ich will) in Tun (IVS) umzusetzen, nachdem ich bei der Formulierung darauf geachtet habe, dass diese selbstkongruent (EG) ist. Sollte mir etwas „dazwischenkommen“ nutze ich das OES, um den Fehler zu erkennen.

Nun könnte man ja einwenden: „Das Ziel ist viel zu unkonkret und schwammig“. Ja – und: Nein! Haltungsziele können gar nicht spezifisch sein, dies ist der Ergebnisebene vorbehalten, in der bspw. Leistungsziele (S.M.A.R.T.) formuliert werden. Und schwammig mag es für jeden anderen sein, für MICH nicht, ich spüre deutlichen positiven Affekt bei jedem einzelnen Wort dieses Mottos. So mag es übrigens auch dem ein oder anderen Menschen gegangen sein, dem dieser Satz begegnet ist. Und genau darin liegt auch die „Gefahr“ oder Brisanz dieses Satzes. Er ist zunächst einmal historisch die Referenz auf die Ideen eines Anderen. Ganz entscheidend ist es also, jede Selbstinfiltration tunlichst zu vermeiden. Und dies wird am Besten dadurch erreicht, dass VORHER die eigenen Bedürfnisse, die nicht bewusst sind, erkundet werden. Dies kann bspw. durch projektive Verfahren (Bilderwahl) erreicht werden. Aus den Assoziationen aus dem Unbewussten zu dem (intuitiv nach positivem Affekt EG –> IVS) ausgewählten Bild wird dann ein Mottosatz „gebaut“. Dann erst wird dieses Haltungsziel weiter „angereichert“: durch bewusste Erinnerungshilfen, die als Zielauslöser fungieren (Gegenstände, Farben, Gerüche etc.) und unbewusst wirkende Primes, die die ganze Zeit das neu gebildete neuronale Netz (Haltungsziel) stärken und unterstützen. Dieser „Ressourcenpool“ (Storch & Krause, 2010) dient der Multicodierung. Durch die verschiedenen Codes kommt es zu einer schrittweisen Automatisierung entlang der Zielhierarchie hin zum zielrealisierenden Verhalten. Als mobile Erinnerungshilfe kann eine „Verkörperung“ (Embodiment) hinzukommen. Um den Transfer in den Alltag zu sichern, können dann entlang von Situationstypen (A, B, C) weitere Selbstregulationsmaßnahmen geplant werden.

Ich habe sachlich und wissenschaftlich begründbar über Selbstmanagement (Kanfer et al., 2011), ZRM (Storch & Krause, 2011) und PSI (Kuhl, 2010) geschrieben. Wenn man diesen Weg einschlägt, dann ist man bereits ein „Star“ seines Lebens. In dieser Helligkeit des eigenen Selbst – und den unweigerlichen Schatten – bewegen wir uns.

Es könnte alles so schön sein, wenn es da nicht noch ein paar „Fallstricke“ geben würde. Diese werden intensiv besprochen bei dem Thema Willensfreiheit im nächsten Kapitel.

Literaturverzeichnis:

Carver, C. S. & Scheier, M. (1998). On the self-regulation of behavior. Cambridge, UK ;, New York, NY, USA: Cambridge University Press.

Fuhr, F. (2012). MOVER – Modell zur Motivation und Volition für effiziente therapeutische Interventionen unter Ressourcenperspektive. Mannheim. BoD Verlag GmbH

Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Heckhausen, J. & Heckhausen, H. (Hrsg.). (2010). Motivation und Handeln (4. Aufl.). Berlin, Heidelberg: Springer.

Kanfer, F. H., Reinecker, H. & Schmelzer, D. (2011). Selbstmanagement-Therapie: Ein Lehrbuch für die klinische Praxis (5. Aufl.). Berlin: Springer.

Kuhl, J. (2000a). A functional-design approach to motivation and volition: The dynamics of personality systems interactions. In M. Boekaerts, M. Zeidner & P. R. Pintrich (Hrsg.), Handbook of self-regulation (2. Aufl., S. 111–169). San Diego, Calif.; London: Academic

Kuhl, J. (2000b). A theory of self-development: Affective fixation and the STAR Model of personality disorders and related styles. In J. Heckhausen (Hrsg.), Motivational psychology of human development. Developing motivation andmotivating development (S. 187–211). Amsterdam ; Oxford: Elsevier.

Kuhl, J. (2010). Lehrbuch der Persönlichkeitspsychologie: Motivation, Emotion und Selbststeuerung. Göttingen ;, Bern, Wien, Paris, Oxford, Prag, Toronto, Cambridge, Mass, Amsterdam, Kopenhagen, Stockholm: Hogrefe.

Myers, D. G. (2008). Psychologie (Springer-Lehrbuch, 2. Aufl.). Heidelberg: Springer.

Powers, W. T. (1973). Behavior: the control of perception. Chicago: Aldine Pub. Co.

Storch, M. & Krause, F. (2010). Selbstmanagement – ressourcenorientiert: Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell, ZRM (Psychologie Praxis, 4. Aufl.). Bern: Huber.

 

Kapitel 6: Die Bedingungen der Freiheit, 6 Positionen

Flamme der Freiheit (Budapest)
Flamme der Freiheit (Budapest)

Im letzten Kapitel wurde das Selbstbeziehungsmodell von Gilligan genutzt, um ein „Tanzfeld“ zu beschreiben. Dieses Kapitel wird sich mit den Bedingungen der Freiheit beschäftigen. Dabei werden wir uns mit Deterministen, Kompatibilisten usw. beschäftigen.

Woran erkennen wir, dass Freiheit überhaupt vorliegen könnte? Welche Kriterien oder Bedingungen müssten erfüllt sein :

  1. „Die Person muss eine Wahl zwischen Alternativen haben; sie muss anders handeln bzw. sich anders entscheiden können, als sie es tatsächlich tut. (Die Bedingung des Anders-Handeln- oder Anders-Entscheiden-Könnens)
  2. Welche Wahl getroffen wird, muss entscheidend von der Person selbst abhängen. (Urheberschaftsbedingung)
  3. Wie die Person handelt oder entscheidet, muss ihrer Kontrolle unterliegen. Diese Kontrolle darf nicht durch Zwang ausgeschlossen sein. (Kontrollbedingung).“ (Quelle)

Je nachdem, welche der Bedingungen nun als erfüllt oder wichtig bezeichnet werden, entstehen unterschiedliche Sichtweisen (oder Lehrmeinungen) darüber, was als „frei“ gelten könnte. Diese Sichtweisen lassen sich in sechs Positionen einteilen:

Kompatibilismus – Freiheit und Determinismus sind miteinander vereinbar.
Inkompatibilismus – Freiheit und Determinismus sind miteinander unvereinbar.
Libertarier – Eine Unterform der Inkompatibilisten. Die Argumentation läuft so: Weil es Freiheit gibt, ist die Positiion des Determinismus unbegründet und ist zurück zu weisen.
Weicher Determinist – Eine Unterform des Kompatibilismus. Auch wenn der Determinismus gültig ist, wird Freiheit gleichzeitig nicht bestritten, sondern akzeptiert.
Freiheitsskeptiker – Es gibt keine Freiheit.
Harter Determinismus – Weil der Determinismus wahr ist, gibt es keine Freiheit. Eine Unterform des Inkompatibilismus und der Freiheitsskeptiker.

Wenn dieses Bezeichnungsvokabular verwendet wird, kannst Du ja mal versuchen, Deinen eigenen Freiheitsbegriff einzuordnen. Welche Positionen wurden im vorliegenden Text bisher verwendet? Im nächsten Kapitel werden wir versuchen,einen theoretischen Hintergrund für den Zusammenhang von Persönlichkeitspsychologie und Handlungsfreiheit zu entwerfen, bei dem die drei Bedingungen der Freiheit in einem bestimmten Verhältnis zueinander berücksichtigt werden. Wir werden sehen, welche der Positionen für uns am Passendsten erscheint.

 

 

Kapitel 3: Wählen – oder: Fuck Your Crew

fycIm vorigen Kapitel ging es darum, was wir fühlen, wenn wir uns frei fühlen. Wenn über Freiheit und Verantwortung geschrieben wird, wird fast immer über das Wählen des Menschen räsoniert. Eine Wahl zu haben, sei es beim Wollen oder Handeln macht für das deutsche Rechtssystem einen Unterschied. Wer keine Wahl hat, also alternativlos will oder handelt, wird anders behandelt, als jemand, der – ohne Stress, Zwang und bei „klarem Kopf“ – ihre / seine Wahl getroffen hat.

Dies kann in einen negativen und einen positiven „Geschmack“ unterteilt werden. Negativ wäre jeweils eine – wie auch immer geartetete – Abwehr, eine Vermeidung. Positiv hingegen wäre eine aufsuchende zielgerichtete Wahl in irgendeine Richtung.

Zur Illustration begeben wir uns – mal wieder – in einen Film. In „Falling Down“ gibt es eine Szene in einem Burger-Laden. Michael Douglas will ein Omelette von der Frühstückskarte, was zu – sagen wir: unterschiedlich zu klassifizierenden Wahlhandlungen – in der Interaktion mit dem Burgerladen-Personal führt.

0:15 „Hallo, was darfs sein?“ – glaubt irgendwer, dass Sheila „gewählt“ hat, diesen geschmeidigen Intro-Satz zu sagen?

0:16 „Ich hätte gern eine Wham-Fries, ein Omelette mit Schinken …“ – Klare Sache: positive Handlungsfreiheit, ob er sich entschieden hat, genau hier zu essen, ob er Hunger haben will ? Wer weiss? Willensfreiheit ? Hm , wir werden sehen …

0:20 „Tut mir Leid, wir machen kein Frühstück mehr, dafür gilt jetzt die Mittagskarte.“   – Das ist ja hübsch flexibel, fast schon automatisch, was da wie „aus der Pistole geschossen“ rüberkommt. Und sowas von „abwehrend“! Klare negative Willens- und Handlungsfreiheit. Was das Lächeln dabei bedeuten soll? Keine Ahnung ! Aber frei gewählt scheint das nicht zu sein. Passt jedenfalls gar nciht zur inhaltlichen Aussage.

0:21 „Ich will aber lieber frühstücken!“ – Oha! Zielgerichteter gehts kaum: positive Willens- und Handlungsfreiheit.

0:22 „Wie ich sagte: Das gibts jetzt nicht!“ – Das Verhängnis nimmt seinen Lauf … war das frei? Und wenn ja, warum? Und wozu sagt sie das? Muss sie? Bestimmt da jemand, dass sie das sagen muss?

0:23 – 0:35 kurzer Schlagabtausch, in dem gleich mal „eskaliert“ wird und der „Bestimmer“ der Situation (der Geschäftsführer Rick) gerufen wird. Der wiederholt den Käse gerade nochmal. Rick hätte ziemlich sicher anders entscheiden oder handeln können. Oder doch nicht?

01:08-01:09 „Ich will nicht ihr Kumpel sein, Rick. Ich will nur eins: Frühstücken“ – Ja da haben wir die bekannte Kombination naus Abwehr dessen, was man nicht will (Kumpel sein) und dem, was man wirklich will (Frühstücken). Will er das wirklich oder hat er nur Kohldampf? Begehrt er zu frühstücken, oder gibt es eine freie positive Willensentscheidung. Tja, wer weiss?

Ich persönlich finde ja die Stelle 01:42 nett „Das ist nicht unsere Verkauspolitik.“ Schöner kann man gar nciht ausdrücken, wie man sich „entschuldigen“ mag, in dem man in der Hierarchie des Gehorsams sich auf eine anonyme „Verkaufspolitik“ beruft. Es scheint, als sei hier nur ein Akteur so richitg frei – und der packt gleich mal ein gewichitges Argument aus.

01:55 „Wolln mal sehen, ob man das nicht ändern kann?!“ – Michael Douglas will kein Mittagessen (negative Willensfreiheit) – er will frühstücken (positive Willensfreiheit) und er unterstreicht das mit einer Geste des „guten Willens“ – er packt seine Maschinenpistole aus (positive Handlungsfreiheit). Mit seinem begleitenden Kommentar weist er auch gleich darauf hin, dass er nicht bereit ist, sich seine Handlung aufzwingen zu lassen durch die Burgercrew (ich denke da gerade an den Aufkleber: FUCK YOUR CREW), feines Beispiel für negative Handlungsfreiheit.

2:20 „Sie brauchen alle ihre Vitamine (A, B und C) – schiesst aus Versehen in die Decke)“ – prima Beispiel für einen durch und durch unfreien Willen ohne dass Handlungsfreiheit erkennbar wäre. Sprich: Das würden wir vermutlich nicht als Freiheit betrachten. Oder doch? Und wenn ja, warum?

Schaut Euch den folgenden Abschnitt in Ruhe an. Ihr könnt ja mal versuchen, zu analysieren was da passiert (positive und negative Willens- und Handlungsfreiheit – oder gar keine Freiheit).  Das lässt die Frage näher rücken, wie autonom Akteure sind, wie „authentisches Handeln“ aussehen könnte, davon handelt das nächste Kapitel.

Kapitel 2: Nochmal mit Gefühl

kapitel2Manchmal fühlst Du dich frei, manchmal nicht. Welche Situationen erzeugen in Dir das Gefühl, frei zu sein? Welche lassen in dir das Gefühl aufsteigen, unfrei zu sein? In Kapitel 1 wurden Willens- und Handlungsfreiheit und positive sowie negative Freiheit voneinander unterschieden. Lasst uns beide Geschmäcker und beide Gewürze kosten.

 

Willensfreiheit:
Negative Freiheit: Frei von Zwängen, Unterdrückung oder Notwendigkeit, die ausserhalb des eigenen Willens wirken verbunden mit der Frage nach einem „Warum?“.
Positive Freiheit: Entscheidungsfreiheit in dem Bewusstsein, auch anders entscheiden zu können mit einem damit verbundenen „Wozu?“.

Handlungsfreiheit:
Negative Freiheit: Handeln als reaktive Abwehr gegen aufgezwungene Handlungsdirektiven. Warum muss ich so – und nichts anders – handeln?
Positive Freiheit: Handeln als aktive und schöpferische Gestaltung in eine Richtung, das eine Antwort auf die Frage nach dem „Wozu?“ gibt.

Sammle selbst Beispiele für die Ausprägungen dieser vierfeldrigen Matrix! Analysiere, welche Gefühle in den Beispiel-Situationen bei Dir entstanden sind, welche verdrängt wurden, welche gestört, welche genutzt haben könnten. Denn Freiheit ist körperlich-materiell spür- und fühlbar. Wie fühlt es sich an, frei zu sein? Welchen Freiheitsgeschmack probierst Du am liebsten? Welcher schmeckt Dir am besten?

Wenn Du soweit bist, können wir uns anschauen, ob Du eigentlich in Deinen Beispiel-Situationen bestimmte Muster, Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erkennst. Vielleicht gibt es unbedingte und bedingte Freiheit? Vielleicht gibt es förderliche und weniger förderliche Umstände für die Freiheit(en)?

Zur Illustration wieder ein Filmzitat. Diesmal aus „Die Frau des Zeitreisenden“:
„Clare: ‚Du hast mich reingelegt. Du bist zu der Wiese gekommen und hast einem kleinen Mädchen das Herz und den Verstand verwirrt. Glaubst du etwa ich hab mir dieses Leben gewünscht? Diesen Mann, der verschwindet ohne irgendeine Vorwarnung! Denkst du, irgendjemand wünscht sich das?! Wer will denn das?‘ Henry: ‚Du hast die Wahl.‘ Clare: ‚Ich hatte nie die Wahl.“

Wir werden sehen, ob es so etwas wie eine Wahl gibt. Oder: Ob es alternativlos zu akzeptieren ist, was eben gerade geschieht …

Kapitel 1: Was ist Freiheit?

kapitel1Kaum ein Begriff ist in der Ideengeschichte der Menschheit öfter strapaziert worden, als „die Freiheit“. Das deutsche Nomen „Freiheit“ ist eine Derivation des Adjektivs „frei“, es wird auch als Abstraktum bezeichnet, weil es auf eine nicht-dingliche Bedeutung verweist. Im Germanischen und Kymrischen (Keltischen) lässt sich „frei“ auf „rhydd“ zurückführen.

„Mit dieser Übereinstimmung setzen sich [diese beiden Sprachen] von den übrigen Sprachen ab, in denen *prijo ursprünglich „eigen“, dann „vertraut, lieb“ bedeutet. […] Die Bedeutung „eigen“ zu ig. per(e)i – „nahe, bei“  („das, was bei mir ist“) […] muss ursprünglich lokale Bedeutung gehabt haben.“ (Kluge & Seebold, 2002, S. 314). Das englische „Freedom“ steht dem deutschen Wort „Freiheit“ am nächsten und bezeichnet das Fehlen von Zwang bzw. Beschränkung, während „Liberty“ dem lateinischen „libertas“ näher steht und den Aspekt der Wahlmöglichkeit unter verschiedenen Alternativen betont (bopuc, 2006). „Freedom“ wäre somit als die Abwesenheit von Zwang, „Liberty“ hingegen als Anwesenheit freier Wahlmöglichkeit(en) zu verstehen.

In der Philosophie werden beide Freiheitsbegriffe als negative („Freiheit von“) und als „positive Freiheit“ („Freiheit zu“) unterschieden. Historisch haben sich nacheinander bspw. Kant, Schopenhauer und Nietzsche intensiv mit dem Freiheitsbegriff beschäftigt. Kant definiert Freiheit als „das „Vermögen […], eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen“ (Kant, 2009, S. 581). Dieser transzendentalen Idee folgt ein möglicher positiver Freiheitsbegriff bei Kant, der eng mit der Selbstbestimmung (Autonomie) verbunden ist. Durch die Autonomie wird der Mensch in die Lage versetzt, sich selbst jenseits seiner Neigungen und Triebe zu bestimmen. (Kant, 2011) Schopenhauer grenzt eine mögliche philosophische Begriffsbestimmung von einem allgemeinen Begriff der Freiheit ab: „„Dem empirischen Begriff der Freiheit zufolge heißt es: ‚Frei bin ich, wenn ich thun kann, was ich will ‘: und durch das ‚was ich will‘ ist da schon die Freiheit entschieden. Jetzt aber, da wir nach der Freiheit des Wollens selbst fragen, würde demgemäß diese Frage sich so stellen: ‚Kannst du auch wollen, was du willst!’“ (Schopenhauer, 1836, S. 6–7) Der Bedeutungsvergleich der beiden englischen Begriffe kann lose mit den beiden Begriffen, die Nietzsche mit „Freiheit von“ (freedom – als negative Freiheit) und „Freiheit zu“ (liberty –als positive Freiheit) wählt, in Beziehung gesetzt werden.

Freiheit kann unterschieden werden in Bezug auf Willens- oder Handlungsfreiheit. Dies klingt bereits bei Schopenhauer an. Wie frei sind Menschen darin, zu wollen, was sie wollen? Wie frei sind sie zu handeln, was sie wollen? Sind sie denn überhaupt frei, zu handeln? Gibt es Alternativen für das eigene Wollen und Handeln?

Wir hatten gefragt: „Was ist Freiheit?“ Eine erste Annäherung an eine mögliche Antwort ist: Freiheit ist eine Idee, eine gedankliche Konstruktion – oder: ein abstrakter Begriff. Und dazu fällt mir folgendes Filmzitat aus V wie Vendetta ein: „Mr. Creedy: „Warum stirbst du denn nicht?“ V: Unter dieser Maske befindet sich mehr als nur Fleisch. Unter dieser Maske befindet sich eine Idee Mr. Creedy. Und Ideen sind kugelsicher!“.

Das ist womöglich auch das schwierigste Problem mit der Freiheit. Du kannst sie vor Dir hertragen, an sie glauben etc. – ohne jemals den Geruch der Freiheit zu riechen oder im Schein der Feuer zu tanzen. Das ist aber gerade das Zentrum und der Titel dieses Büchleins:  das Feuer zu riechen und frei zu tanzen (smell fire-dance freely)!

Wie das gehen kann? Wir werden sehen – und fühlen … im nächsten Kapitel

Literaturverzeichnis

 

bopuc. (2006). freedom vs. liberty. Zugriff am 21.06.2013. Verfügbar unter http://bopuc.levendis.com/weblog/archives/-2006/01/07/freedom_vs_liberty.php.

Kant, I. (2009). Kritik der reinen Vernunft (Vollst. Ausg. nach der zweiten, hin und wieder verb. Aufl. 1787, vermehrt um die Vorr. zur ersten Aufl. 1781.). Köln: Anaconda.

Kant, I. (2011). Kritik der praktischen Vernunft. Köln: Anaconda.

Kluge, F. & Seebold, E. (2002). Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (24. Aufl.). Berlin: de Gruyter.

Schopenhauer, A. (1836). Ueber den Willen in der Natur, eine Eröterung der Bestätigungen, welche die Philosophie des Verfassers durch die empirischen Wissenschaften erhalten hat. Verfügbar unter http://books.google.de/books?id=_8AIAAAAQAAJ.

Einleitung: Ein kleiner 4-Punkte-Plan für Liebende

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Ursprünglich war dieser einleitende Text seperat erschienen. Er gibt aber gleichzeitig einen guten strukturellen Überblick über dieses Büchlein SMELL FIRE – DANCE FREELY (SFDF).

1. Ergründe allein für Dich selbst, wer Du im Innersten bist. Erkenne darin, was Dich wirklich ausmacht. Denn dies ist wahrhaftig Dein Wille. Den musst Du allein kennen und kannst ihm immer trauen. (Stäbe – Freiheit)

2. Lass jede Deiner Handlungen diesem Willen folgen. So wird jeder einzelne Akt ein Akt der Liebe. Denn etwas Edleres oder Besseres könntest Du niemals geben oder empfangen – als Dich ganz und gar. Und: indem Du dies tust, löst sich Deine sorgsam bewachte Gesondertheit auf: Du liebst! (Kelche – Liebe)

3. Es gibt Beziehungen und Bindungen zu Menschen, die Dir kurzfristig Vergnügen oder Qual bereiten. Schmerz und Freude sind zeitlich begrenzte Angelegenheiten. Auf ihnen gründet Liebe nie – und sie werden auch nicht aus Liebe geboren! Sie kommen und gehen – und bedeuten nichts! (Schwerter – Leben)

4. Sei fest und entschlossen, Deinem Willen, Deiner Liebe und der Ewigkeit der Liebenden zu folgen. Gehe sicher, strauchle tollpatschig – aber gehe ohne Bedingungen bis zum Ende des Wegs. Den ganzen Weg in Stolz und Ekstase zu gehen, führt Dich zur Krone des Lebens in Treue, die nicht einmal im Tod endet. (Scheiben – Licht)

Beginnen wir mit der Freiheit

Der Hormonstatus eines Menschen. Oder: Ich bin (k)ein Mann. Punkt.

mittunVerena Stefan in einem taz-Interview: „Die soziologische Pyramide besteht fort: Die Spitze ist weiß, heterosexuell und männlich. Alles andere ist weniger wert. Wenn man zur Frau erklärt wird, wird man zu einem Wesen gemacht, das in die Kategorie „anders“ gehört. Deshalb wollte ich mich nicht zur „Frau“ reduzieren lassen. Ich wollte ein Mensch sein.“

Aus ähnlichen Gründen will ich ein Mensch sein – und nicht (nur) auf „Mann“ reduziert werden von anderen Menschen – oder von mir selbst?! Es wird noch ein Weg für mich zu gehen sein, mich SELBST nicht zum „Mann“ zu reduzieren. Ein Satz, den ich heute gehört habe, hat mich für diese Eigenreduzierung – also: Beschränkung – sensibilisiert. Ich sollte für mich selbst aufhören Männlichkeit mit meinem Hormonstatus zu verwechseln.

Ich brauche mir auch nicht zu wünschen, „anders“ (in der Diktion Verenas also: weiblich) zu sein, um ein ganzer Mensch zu werden. Und mein Wunsch selbst wiederholt die Uneigentlichkeit der darin enthaltenen Kategorisierung. Anders gesagt: Während eine Sehnsucht nach einem „Weiblichen“ in Differenz zu einem „Männlichen“ von mir empfunden wird, wiederhole ich genau die von mir ABGELEHNTE Bewertungs- und Kategorisierungs-Routine – freilich mit umgekehrter (Aus-)Richtung.

Der Link zum vollständigen Interview

Mut, Kraft und Entschlossenheit

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Eine Gesellschaft besteht aus einzelnen Menschen, die miteinander sich austauschen, sich unterstützen oder auch sich gegenseitig bekämpfen und einander ausgrenzen. Gesellschaft ist nicht anonyme Masse, sondern Menschen bilden Gesellschaften.

Solange Menschen über andere Menschen in ihrem Alltag Herrschaft – also sanktionierte / sanktionierbare Gewalt – ausüben, ergeben sich die Notwendigkeiten, die bestehenden Gesetze durchzusetzen, Strafen anzuwenden, Drohungen aufrecht zu erhalten. Der damit etablierte Legalismus suggeriert, dass die Gesetze, die pauschal als legal eingestuft werden, eine in sich liegende Notwendigkeit, sie zu befolgen, in sich tragen. Was sollte auch ein Gesetz, eine Verordnung, ein Bussgeldkatalog, würde man sich nicht daran halten?

Die Exekution der Gesetze ist in einem Staat – dem Machtapparat einer organisierten Herrschaftsausübung – monopolisiert. Die Polizistinnen sind Teil dieser arbeitsteiligen Exekutive, die eine der Säulen der geteilten Gewalt ist (Jurisdiktion / Rechtsprechung und Legislative / Gesetzgebung wären zwei weitere). Der Begriff „Gewaltenteilung“ könnte treffender nicht sein. Mehrheitlich und massenhaft versteht sich das deutsche Volk als eine demokratisch verfasste Gesellschaft, ich teile Kultur, Sprache und Bräuche des Volks, dessen Teil ich bin.

Die meisten Gesetze dienen der Aufrechterhaltung und Stabilisierung bestehender – funktionierender – Machtverhältnisse. Das kann man gut finden – muss mensch aber nicht! Solange – ja solange – die Gesetze befolgt werden. Welche Gesetze sind unerträglich für mich? An welche will ich mich nicht halten – und wozu? Oder um an die Wurzel des Themas zu gehen: Brauchen Menschen Gesetze – und wenn ja: wie viele und wie kommen sie zu Stande? Brauchen Menschen Herrschaft und Gewalt zur Durchsetzung der Herrschaft – und für wen, wozu und warum (also mögliche Begründungszusammenhänge)?

Viele der Menschen, die ich mag und mit denen ich zu tun habe, kümmern sich darum, ihr eigenes Leben und das Leben ihrer Familien und FreundInnen so zu organisieren, dass sie materiell, emotional, geistig und für ihre Träume zufrieden und glücklich sein können. Die meisten brauchen hierfür weder Gesetze zu übertreten noch Gewalt anzuwenden. Für mich ist der Normalzustand meines Lebens, die bestehenden Gesetze – soweit sie mir bekannt sind – zu halten. Viele von ihnen sind im Kern getragen von ethischen Haltungen, die ich teile: Würde des Menschen, Recht auf Eigentum, Sozialstaatsprinzip um nur einige zu nennen.

Es macht mir gar nichts aus, mich an dieses Set von Gesetzen zu halten, weil ich mich sowieso so verhalten würde. Das ist aber natürlich ganz etwas anderes, als es den GesetzgeberInnen vorschwebt (zumindest verstehe ich das so). Denn die Nichteinhaltung von Gesetzen ist fast immer strafbewehrt und hängt gerade nicht von meiner eigenen persönlichen Zustimmung ab. Die Gesetze des Staates gibt es nur als Bündel im Ganzen – oder vielleicht auch gar nicht? Der Faschismus italienischer Prägung hat dieses Prinzip herrschender konzentrierter Machtausübung symbolisch in den „fasces“, den Bündeln von Macht dargestellt. Daher rührt auch unser Begriff Faschismus.

Faschismus bündelt Macht. In diesem simplen Satz lässt sich ein Teil des Phänomens Faschismus beschreiben. Staaten tendieren strukturell immer dazu, solche Bündelungen – manchmal zeitweise, lokal oder themenspezifisch – vorzunehmen. Dieser Aspekt des Faschismus ist der Idee einer Herrschaft von Menschen über Menschen strukturell inhärent. Oder einfacher: Selbst demokratisch verfasste Staaten zeigen immer wieder Tendenzen in Richtung des Faschismus. Und zwar nicht aus Bosheit, sondern aufgrund der Organisation der zugrundeliegenden Prämissen der Gesellschaft(en).

Wenn wir uns den Faschismus in Aktion vorstellen wollen, müssen wir nur unser eigenes Verhalten anschauen und beobachten. Wo und wie setzen wir unsere Macht gebündelt durch? Wann setzen wir Machtmittel ein? Wieviel Spass macht es uns, bestimmen zu können, wie der „Hase läuft“? Wann halten wir den Einsatz von (körperlicher) Gewalt für legitim? Diese Vorstellungen werden uns sehr wahrscheinlich nicht gefallen. Wer möchte schon in seinem Verhalten „faschistische Tendenzen“ erkennen – wenn er / sie gerade kein erklärter Faschist ist?

Es sind die Strukturen gesellschaftlichen Lebens, die so etwas wie Herrschaft und Gewalt ermöglichen. Nicht die Gesetze schaffen Herrschaft, sondern die Ideen dahinter, die Haltungen, die uns glauben machen, wir bräuchten Gesetze und Exekution der Gesetze. Wir fürchten uns vor der Freiheit, wie schon der bedenkenswerte Titel eines Buchs von Erich Fromm ist. Und Adorno stellte bereits fest: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“! Unser Volk hat gute Gründe so zu leben, wie es geschieht.

Wenn wir damit nicht einverstanden sein sollten, wir uns vielleicht eine herrschaftsfreie, gewaltlose Gesellschaft wünschen, müssen wir den Arsch hochkriegen, um etwas dafür zu tun. Wir werden so eine Gesellschaft nicht geschenkt bekommen. Dafür ist die „Furcht vor der Freiheit“ vermutlich noch zu gross und mächtig. Also bleibt uns vielleicht keine Wahl, als die von uns ersehnte Gesellschaft, eine befreite Gesellschaft und ein Volk der Freien eigenständig aufzubauen. Dabei werden wir immer wieder in Konflikt mit den Gesetzen des Staates kommen, je weiter wir gehen. Wir können Frieden, Freiheit, Herrschaftsfreiheit (also: Anarchie) und Gewaltlosigkeit meines Erachtens nur erreichen, indem wir bei jedem unserer Schritte die Ziele (das Wohin und Wozu) strukturell beachten: Also wird Frieden nicht mit friedlosen Mitteln erreichbar sein etc.

Im Konflikt mit dem Herrschaftsanspruch des Staates, in dem wir leben werden uns immer wieder auch PolizistInnen begegnen. Die Art des Umgangs mit Ihnen ist für mich – nach reiflicher Reflektion – ein sensibler Gradmesser für unsere eigene Integrität. Solange wir nicht begreifen, dass diese Menschen keine Feinde sind, sondern ihre Leben dafür einsetzen, wovon sie glauben, es sei ethisch und moralisch korrekt – solange wir also deren eigene Integrität – nicht wertschätzen, werden wir an der falschen Stelle kämpfen. Wir werden unsere Kraft in die falsche Richtung schicken. Und wer mir Gewalt und Herrschaft aufzwingen will, wird in mir einen erbitterten Widersacher finden. Aber ich weigere mich, die Methoden des Faschismus zu meinen zu machen. Ich weigere mich, einen Krieg zu führen, der nur wieder neue Herrschaft etabliert. Ich weigere mich, Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von Macht zu akzeptieren.

Es geht! Wir können anders leben! Es liegt in jeder Frau und jedem Mann, in ihrer / seiner Einzigartigkeit, sich einzubringen. Es geht! Wir brauchen uns nicht davor zu fürchten, schwach, verletzbar oder klein zu wirken. Das ist die Garantie dafür, zu siegen. Siegen heisst: In Freiheit leben! Dazu brauchen wir Mut, Kraft und Entschlossenheit: genau die Werte, die wir alle teilen, wenn – ja wenn wir Kriegerinnen und Krieger sind. Feigheit ist keine Option. Und bevor wir feige sind, handeln wir lieber! Es gibt andere Wege – und jede und jeder von uns kann sie gehen! Wir werden reich beschenkt werden dafür – in diesem Leben!